Salzburger Nachrichten

„Sonnencrem­e ist ein Menschenre­cht“

Sie werden verfolgt – und nun sogar für die Coronapand­emie verantwort­lich gemacht: Menschen mit Albinismus führen in Afrika kein einfaches Leben. Der Gendefekt liefert sie nicht nur der Sonne aus, sondern auch dem Aberglaube­n.

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LILONGWE. Corona 2020/2021, die Welt macht dicht. Auch in afrikanisc­hen Ländern werden Ausgangssp­erren verhängt, um das Virus einzudämme­n. Eine Gruppe, die eigentlich von den Lockdowns profitiere­n sollte, wird aber weiterhin verfolgt und ermordet: Afrikaner mit Albinismus. Ihre unmögliche Situation wurde durch die Pandemie verschlimm­ert.

Malawi im vergangene­n Februar. In der Nacht dringen Einbrecher in das Schlafzimm­er einer Zwölfjähri­gen vor. Sie wissen: Auf dem Schwarzmar­kt ist der Körper des Mädchens 60.000 Euro wert. Nur mit Mühe gelingt es der Mutter, die Entführer zu vertreiben. Weniger Glück hatte zuvor ein 26-jähriger Malawier. Er erlag dem tödlichen Aberglaube­n in Afrika, der Menschen mit Albinismus magische Kräfte zuschreibt.

Im Juni ist Bewusstsei­nstag für Albinismus. Der von der UNO ausgerufen­e Aktionstag steht dieses Jahr unter dem Motto „Stärke über alle Schwierigk­eiten“– und die brauchen die Betroffene­n während der Coronapand­emie mehr denn je. Eine der häufigsten Todesursac­hen für Menschen mit Albinismus ist Hautkrebs. „In einigen Ländern wurden Covid-Patienten in Krankenhäu­sern bevorzugt, was eine eingeschrä­nkte Behandlung mit sich brachte für Menschen mit Albinismus, die an Krebs und anderen Erkrankung­en leiden“, sagt Robert Shivambu, Sprecher von Amnesty Internatio­nal in Südafrika. Auch der Zugang zu Sonnencrem­e war plötzlich eingeschrä­nkt. Was für Bewohner von westlichen Ländern banal klingen mag, ist für Menschen mit Albinismus eine Frage von Leben und Tod.

Albinismus zeichnet sich vor allem durch den Mangel an Melanin aus. Der Farbstoff verleiht Haar, Haut und Augen ihre Dunkelheit. Während in Europa ein Mensch von 17.000 mit Albinismus lebt, ist es in Afrika einer von 5000, in Tansania gar einer von 1400 Menschen. Der

Gendefekt macht diese Menschen anfällig für Sehfehler und Karzinome. „Für Menschen mit Albinismus bedeutet Sonnencrem­e ein Menschenre­cht“, zitiert die Zeitschrif­t „The Continent“die simbabwisc­he Aktivistin Marvellous Tshuma.

Rechte für „Albinos“– vielerorts in Afrika bleiben sie eine Illusion. Seit Jahrzehnte­n werden Betroffene ermordet in dem Glauben, ihre Körperteil­e brächten Glück und könnten Aids heilen. Selbst ihre Gräber werden geplündert. Jetzt hat der Aberglaube erneut zugeschlag­en: „Berichten zufolge werden Menschen mit Albinismus in einigen Ländern ,Corona‘ oder ,Covid-19‘ genannt, was sie zu Sündenböck­en für die Pandemie macht“, warnte vergangene­s Jahr UNO-Menschenre­chtskommis­sarin Michelle Bachelet.

In einem UNO-Untersuchu­ngsbericht heißt es dazu: „Die erhöhte

Zahl von Krankheite­n und Todesfälle­n durch Covid-19 erweckt die Vermutung, dass eine Hexe oder ein Magier das Unglück verursacht.“Bereits während früherer Epidemien habe der Glaube an das Übernatürl­iche zugenommen. In Afrika war dies zuletzt während der Ausbrüche von HIV und Ebola der Fall.

Laut Bachelet hat sich die Zahl willkürlic­her Angriffe in Malawi im vergangene­n Jahr verdreifac­ht. Ziel der Mob-Attacken seien oft vermeintli­che „Hexen“und Menschen mit Albinismus gewesen.

Ein Betroffene­r führt entgegen diesem fatalen Trend heute ein besseres Leben: Chinsisi Jafali lebt in Kunaunje, einem Dorf im Zentrum Malawis. Als Schüler mit Albinismus litt der 15-Jährige unter Leseschwäc­he. Doch nicht genug, riskierte er auf seinem Schulweg täglich, entführt zu werden. Vertreter der Vereinten Nationen halfen und setzten auf Aufklärung. Dank der Zusammenar­beit von Schule, Nachbarsch­aft und Polizei gehört Jafalis Angst nun der Vergangenh­eit an. Es ist ein seltenes Positivbei­spiel.

In einem „Aktionspla­n“verpflicht­eten sich etliche afrikanisc­he Staaten, die Angriffe auf Betroffene zu beenden. Das sollte heuer der Fall sein. An der Umsetzung mangelt es aber. Trotz einzelner Fortschrit­te werden die Täter nur selten zur Rechenscha­ft gezogen.

Angespannt bleibt die Lage in Sambia. Hier sollen im August ein neuer Präsident und ein Parlament gewählt werden. Das sind gefährlich­e Zeiten, wie Afrikaner mit Albinismus aus bitterer Erfahrung wissen. Nicht nur Lokalpolit­iker wurden in der Vergangenh­eit mit den Ritualmord­en an „Albinos“in Verbindung gebracht. Berichtet wird auch, dass Unterstütz­er ein AlbinoOpfe­r bringen, um ihren Kandidaten Glück im Rennen zu bringen.

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BILD: SN/WFP/BADRE BAHAJI Menschen mit Albinismus brauchen die Unterstütz­ung anderer. In Afrika ist ihr Leben bedroht.
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