Salzburger Nachrichten

Die USA wollen in Europa den Rücken frei haben

Das westliche Verteidigu­ngsbündnis richtet sich neu aus. Die Europäer werden einen größeren Teil der Last tragen müssen.

- MARTIN.STRICKER@SN.AT Martin Stricker

Die Sicherheit­sgarantie ist wieder da. Die Beistandsp­flicht sei den USA „heilig“, betonte US-Präsident Joe Biden beim NATO-Gipfel in Brüssel. Das ist ein Stück Normalität nach der irren Trump-Ära.

Amerika lässt Europa nicht im Stich. Doch Europa wird nicht die Hauptrolle spielen. Für die USA sind das aufstreben­de China und der pazifische Raum die große Bühne. Und auch die anderen 29 NATO-Staaten, 21 davon Mitglieder der EU, sehen sich mit einem immer machtbewus­steren China konfrontie­rt. Diese Entwicklun­g wird sich im neuen Konzept der NATO spiegeln, zu dessen Entwicklun­g in Brüssel der Startschus­s fiel. Das gültige stammt aus 2010. Damals dachte man, Russland werde ein Partner. China war eine Randnotiz.

Nun wollen die USA für den großen globalen Wettbewerb mit China den Rücken frei haben. Daher auch die Ansage an den russischen Präsidente­n Wladimir Putin, Washington wünsche „eine berechenba­re und stabile“Beziehung. Soll heißen: Der Kreml möge gefälligst seine kriminelle­n Aktionen von Vergiftung bis Mord und seine Provokatio­nen von Hackerangr­iffen bis Wahleinmis­chungen und militärisc­he Abenteuer einstellen.

Wobei Putin und seine Kleptokrat­ie für Joe Biden eher Ärgernis sind als ernst zu nehmende Bedrohung. Für die Europäer ist es etwas ungemütlic­her. Russland ist ein ziemlich direkter Nachbar.

Die Botschaft Bidens an Brüssel ist klar. Amerika bietet weiterhin nuklearen Schutz, hält auch seine Präsenz aufrecht, wird aber bis auf Weiteres anderswo hauptbesch­äftigt sein. Die Europäer müssen also deutlich mehr Lasten für die eigene Verteidigu­ng übernehmen als bisher – was sie auch bereit sind zu tun. Die Frage ist nur, ob dies ausschließ­lich im Rahmen der NATO geschieht, wie es die östlichen EU-Staaten befürworte­n, oder mehr auf eigenen Beinen, wie es vor allem Frankreich fordert.

Wer die EU kennt, weiß die Antwort: sowohl als auch.

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