Wolken entlarven das Leid der Erde
Klima, Flüchtlinge, Demokratie, aufbereitet als kritische, gesellschaftlich relevante, manchmal spielerische Kunstprojekte – dafür gibt es jedes Jahr den Prix Ars Electronica. Auch ein Projekt aus Salzburg wurde ausgezeichnet.
Wenig bleibt Flüchtlingen. Sogar ihre Erinnerungen müssen sie bisweilen mühsam zusammenklauben. „Das ist ein bedrohliches Thema“, sagt Jürgen Hagler, Leiter des Ars Electronica Animation Festival bei der Bekanntgabe der Gewinner des Prix Ars Electronica am Montag. Einer der Gewinner ist der aus China stammende Guangli Liu. Er hat sich in seiner Arbeit „When the Sea Sends Forth a Forest“um das Metathema der Erinnerungsverluste am Beispiel einer Flüchtlingswelle in den 1970er-Jahren gekümmert. Die Roten Khmer übernahmen Kambodscha. Viele Chinesen mussten damals weg aus dem Land. Was an Archivmaterial zu finden war, baute Guangli Liu zu einem düsteren animierten Dokufilm, für den er die Goldene Nica in der Kategorie „Computer Animation“bekam. Die 3D-Animation und das Originalmaterial erzeugen ein außergewöhnliches Spannungsverhältnis. Es gehe ihm nicht um eine Beurteilung der Geschichte, sagt der Künstler. Vielmehr wolle er einen „Raum schaffen, in dem das kollektive Gedächtnis“dargestellt werden könne.
Geschichte und Zukunft, klassisches Archivmaterial und neueste technologische Mittel – das alles kann stellvertretend stehen für viele Projekte, die beim Prix Ars Electronica ausgezeichnet werden. Stets an der Schnittstelle zwischen rasender und rasend aufregender neuer Technologie und ewigen Fragen des Umgangs mit dem Planeten wird gekreist.
Auch ein Salzburger Projekt ist unter den Ausgezeichneten: das Spieleprojekt „Black Day“, das gold extra mit Jugendlichen der Mittelschule Lehen im Rahmen des Forschungsprojekts „schnitt # stellen“produziert hat. Es bekam einen Preis in der U14-Nachwuchskategorie. „Nach einem Prix Ars Electronica U14 im vorigen Jahr und dem Gewinn des European Youth Culture Awards ist das die dritte große Auszeichnung für unser Forschungsprojekt“, sagt Sonja Prlic von gold extra. Untersucht werden die Schnittstellen von Medienkunst und medienkultureller Alltagserfahrung von Jugendlichen. In der Mixed-Reality-Spielereihe geht es unter anderem darum, einen Weg als „Influencer“zu finden durch einen „Dschungel aus zwielichtigen Produkten“. Kombiniert werden Elemente von Brettspielen, Adventure Games, Media Art und Comics.
Das Salzburger Projekt gehörte zu den 3158 Einreichungen aus 86 Ländern für die heurige Ausgabe. Bei den Einreichungen machten sich die Auswirkung von Corona bemerkbar. „Es bestand nicht nur das Problem, dass Dinge nicht aufgeführt werden konnten“, sagte ArsLeiter Gerfried Stocker am Montag. Es geht viel tiefer, weil eine Bandbreite vor allem einer zeitgenössischen digitalen Kunst gar nicht erst produziert werden hat können. Wer etwa in der Kategorie „Digital Music & Sound Art“tätig ist, tat sich leichter. Da reicht oft der Laptop im Wohnzimmer zur Produktion. So war ein „signifikanter Anstieg“dieser Einreichungen zu bemerken, so Ars-Leiter Stocker. Schwieriger sei es bei jenen Bereichen, in denen komplexe, interaktive Installationen und Szenarien entstünden, bei denen etwa Wissenschaft und Kunst an Forschungszentren kooperieren müssten. „Freilich hat sich auch das Wegfallen von Festivals und Ausstellungen ausgewirkt, die in diesem Biotop wichtige Auftragsgeber sind“, sagte Stocker.
Das internationale Künstlerkollektiv Forensic Architecture hat Daten und die Welt zusammengeführt. Sie bekommen heuer den Preis in der Kategorie „Artificial Intelligence and Life Art“für „Cloud Studies“. Sie analysieren unterschiedliche Arten von toxischen Wolken – Giftgas, Tränengas, Brandrodungen oder Umweltgift. Damit lassen sich Kriege und Umweltzerstörung sichtbar machen, wo das sonst gern verschleiert wird. Genutzt werden öffentlich und frei verfügbare Daten, die in ihrer Zusammenführung einen leichten, aber nicht leicht erträglichen Blick auf Weltprobleme eröffnen.
Den Sonderpreis „Digital Humanity“gibt es für das „Brunch Magazine: A Sustainable and Just Internet for All“von Climate Action Tech. „Eigentlich nur ein Onlinemagazin“, sagt Gerfried Stocker, aber es ist eben eines, das sich drängenden Fragen der Zeit widmet und versucht, einen Diskurs aufrechtzuerhalten zwischen der technologischen Industrialisierung der Welt und einer öffentlich demokratischen Position der Gesellschaft. Man habe es in den Beiträgen des Magazins mit „einer faszinierenden internationalen Zusammenstellung von extremer Fachkenntnis und enormer Informationsfülle zu tun“, sagt Stocker.
Für den kreativen Nachwuchs spielen solch weitreichende Zusammenhänge noch weniger eine Rolle, weil sie recht praktisch brennende Probleme veranschaulichen, wie die Gewinner in der U19-Kategorie zeigen: Felix Senk, Emil Steixner und Max-Jakob Beer haben in ihrem Projekt „re-wire“ein „nachhaltiges“Musikinstrument gebaut – aus Elektroschrott. Nachhaltigkeit, Upcycling, Unterhaltung und große Raffinesse treffen hier an der Schnittstelle zwischen digitaler Zukunft und analoger Vergangenheit zusammen.
Preise und Festival: Die Verleihung der Preise und auch die Präsentation der Projekte findet im Rahmen des Ars Electronica Festivals im September statt. Weitere Preisträger im Netz unter: HTTPS://ARS.ELECTRONICA.ART