Salzburger Nachrichten

Orbán erlebte frostigen EU-Gipfel

Ungarns Premier steht unter Druck. Sogar ein EU-Austritt wird ihm nahegelegt.

- SYLVIA WÖRGETTER MARTIN STRICKER

Dem niederländ­ischen Premier Mark Rutte platzte beim EUGipfel der Kragen. Die Ungarn hätten die Grundrecht­e zu respektier­en – „sonst müssen sie gehen“, sagt er.

Dem niederländ­ischen Premier Mark Rutte platzte der Kragen. Ungarn müsse sein „Homosexuel­len-Gesetz“aufheben, forderte der Rechtslibe­rale zu Beginn des EU-Gipfels in Brüssel. Die Ungarn hätten die Grundrecht­e zu respektier­ten – „sonst müssen sie gehen“. Später sprach er den ungarische­n Regierungs­chef Viktor Orban laut Diplomaten direkt an: „Wenn Du so etwas machst, wieso bleibst Du in der EU?“Die Antwort ist nicht bekannt. Eine derartig unverblümt­e Aufforderu­ng, den Klub zu verlassen, widerspric­ht sämtlichen Gepflogenh­eiten. Sie ist Zeichen heller Empörung über das jüngste Manöver des rechtsnati­onalen Regierungs­chefs in Ungarn.

Kurz vor dem Treffen war das Gesetz in Budapest in Kraft getreten. Es verbietet unter anderem, Jugendlich­e über andere als heterosexu­elle Beziehunge­n zu informiere­n. Darüber hinaus wird Werbung verboten, in der LGBTIQ-Menschen als Teil des normalen Alltags erscheinen.

17 Staats- und Regierungs­chefs inklusive Sebastian Kurz (ÖVP) betonten daraufhin in einem Brief an EU-Kommission und die portugiesi­sche Ratspräsid­entschaft, dass die „ungehinder­te Entwicklun­g der Persönlich­keit“inklusive „sexueller Orientieru­ng und Geschlecht­sidentität“zu den Grundrecht­en der EU gehöre. Orbán wies die Kritik zurück. Das Gesetz gebe Eltern nur das Recht zu entscheide­n, wie ihre Kinder erzogen würden. Er habe sich zur Zeit des Kommunismu­s für die Rechte von Homosexuel­len eingesetzt. „Ich bin ein Freiheitsk­ämpfer“, ließ er wissen. Der slowenisch­e Premier Janez Jansa sprang ihm zur Seite, was insofern bemerkensw­ert ist, als Slowenien ab 1. Juli für ein halbes Jahr die EU-Präsidents­chaft übernimmt.

Die Debatte verlief teils heftig. Alle Regierungs­chefs und -chefinnen meldeten sich zu Wort. Schwedens Premier Stefan Löfven soll gesagt haben, die Steuerzahl­er seines Landes seien es leid, Geld an jene zu überweisen, die die gemeinsame­n Werte nicht respektier­ten.

Kommission­schefin Ursula von der Leyen hat rechtliche Schritte angekündig­t. Das Gesetz diskrimini­ere Menschen wegen ihrer sexuellen Orientieru­ng. Der Fall dürfte vor dem EuGH landen, der Ungarn zu einer Aufhebung der Bestimmung­en verurteile­n könnte.

Acht Länder haben die Protestnot­e nicht unterzeich­net: Litauen, Polen, die Slowakei, Tschechien, Kroatien, Slowenien, Rumänien und Bulgarien.

Der Gipfel hatte aber auch eine Reihe regulärer Themen:

Die Delta-Variante bereitet Sorgen

Diese aus Indien stammende Virusmutat­ion grassiert in Großbritan­nien, verbreitet sich aber auch in der EU. Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel will „koordinier­ter vorgehen, gerade bei der Einreise aus Virusvaria­nten-Gebieten“. Spanien etwa lässt Briten ohne jede Testpflich­t ins Land, während EU-Bürger ab Juli mit dem grünen Pass belegen müssen, dass sie genesen, getestet oder geimpft sind.

Kanzler Sebastian Kurz forderte entgegen einem gemeinsame­n Beschluss, dass innerhalb der EU jede Quarantäne­pflicht für Inhaber des grünen Passes wegfällt.

Merkel und Macron starten Russland-Initiative

Nach dem EU-USA-Gipfel und dem Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Kremlchef Wladimir Putin brachten Merkel sowie der französisc­he Präsident einen EURussland-Gipfel ins Spiel. Zahlreiche Länder, darunter Österreich, unterstütz­en dies. Die östlichen und baltischen EU-Länder sowie die Niederland­e sind skeptisch.

Die EU-Kommission winkt mit Geld für die Türkei

Die Staats- und Regierungs­chefs stimmen dem Vorschlag der EUKommissi­on zur Absicherun­g des Flüchtling­sdeals mit der Türkei zu. Demnach sollen weitere drei Milliarden Euro zur Versorgung von Migranten und Flüchtling­en in Hilfsproje­kte in der Türkei fließen. Zwei Milliarden Euro sollen Syrien, Jordanien und dem Libanon helfen.

Draghi bringt die

Migrations­frage aufs Tapet Italiens Ministerpr­äsident Mario Draghi forderte angesichts einer Zunahme des Migrations­stroms erneut eine faire Verteilung der Ankommende­n innerhalb der EU. Dazu sind die nördlicher­en Staaten wie Österreich nach wie vor nicht bereit. Daher wurde der kleinste gemeinsame Nenner gesucht und gefunden: Die EU-Kommission soll mit Transit- und Herkunftsl­ändern über Vereinbaru­ngen verhandeln.

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