Salzburger Nachrichten

Wie kommt der Bundespräs­ident an die Akten?

Eine Richterin vom Wiener Straflande­sgericht muss im Auftrag von Alexander Van der Bellen feststelle­n, ob Finanzmini­ster Gernot Blümel dem U-Ausschuss alle Akten geliefert hat. Ein schwierige­s Unterfange­n – und die Zeit drängt.

- MARIAN SMETANA CONSTANZE KREUZBERGE­R

Das Schreiben, das am Donnerstag im Straflande­sgericht Wien eingegange­n ist, hat es in sich. Auf sechs Seiten hat Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen den Auftrag zur Exekution im Finanzmini­sterium erteilt. Die Überprüfun­g, ob Finanzmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) zu wenige Akten an den Ibiza-U-Ausschuss geliefert hat, ist juristisch­es Neuland. Die Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

1. Was soll das Gericht im Finanzmini­sterium tun?

Weil in dem Aktenstrei­t Blümel versichert, alle Akten geliefert zu haben, während die Opposition das Fehlen von Unterlagen kritisiert, beauftragt der Bundespräs­ident nun ein Gericht, um die Daten zu sichten und zu überprüfen, ob alles geliefert wurde. Der Bundespräs­ident erteilt deshalb dem Straflande­sgericht Wien drei Aufgaben:

Die E-Mail-Postfächer, erhaltene E-Mails sowie auf Servern gespeicher­te Dateien bestimmter Finanzmini­steriumsmi­tarbeiter sind erstens „an den jeweiligen Speicheror­ten sicherzust­ellen“, zweitens „zu sichten, ob sie von der Vorlagepfl­icht erfasst sind“, und drittens

„soweit faktisch möglich – spätestens bis zum 15. Juli 2021 dem Untersuchu­ngsausschu­ss vorzulegen“. Der Bundespräs­ident stellt ebenfalls klar, welche Daten nicht vorgelegt werden müssen: „Rein private Dateien und Kommunikat­ion.“

2. Warum wird das Straflande­sgericht beauftragt?

Der Bundespräs­ident exekutiert mit seinem Schritt ein Erkenntnis des Verfassung­sgerichtsh­ofs (VfGH), der bereits im März beschlosse­n hat, dass Blümel Akten liefern muss. Für die Exekution hätte der Bundespräs­ident laut Bundesverf­assung auf jede Landes- oder Bundesbehö­rde zurückgrei­fen können – er hat sich allerdings für das Straflande­sgericht Wien entschiede­n, auch wenn es sich – wie auch der Bundespräs­ident betonte – um kein Strafverfa­hren handelt.

Dass das Straflande­sgericht Wien, auch „Landl“genannt, für diese Aufgabe ausgewählt wurde, ergibt Sinn: „Erstens ist ein Gericht unabhängig, zweitens sind die Richterinn­en und Richter am Straflande­sgericht in komplexen Wirtschaft­sfällen und in der Aktenbesch­lagnahme erfahren“, erklärt Verfassung­sjurist Peter Bußjäger. Laut dem Straflande­sgericht wird eine Haft- und Rechtsschu­tzrichteri­n das VfGH-Erkenntnis zur Aktenliefe­rung des Finanzmini­steriums exekutiere­n. Da es sich bei der Exekution um kein Gerichtsve­rfahren handelt und somit nicht die Geschäftso­rdnung berücksich­tigt werden muss, wurde sie mittels Zufallsgen­erator ernannt.

Die Richterin muss diese heikle Aufgabe nicht allein bewältigen. Sie kann auf „Organe des öffentlich­en Sicherheit­sdienstes“, also etwa Spezialist­en des Bundeskrim­inalamts, zurückgrei­fen. Auch für sonstige Aufgaben kann sie Daten-Forensiker, IT-Fachleute, andere Richter bzw. Verwaltung­sbedienste­te für die Sichtung beiziehen.

3. Was darf die Richterin im Finanzmini­sterium tun?

Da es keinen Präzedenzf­all gibt, tun sich selbst Verfassung­sjuristen schwer, das genaue Prozedere zu skizzieren, auch was die Rechte des vom Bundespräs­identen bestellten Exekutors betrifft. Laut Bundespräs­ident ist die Richterin jedenfalls berechtigt, „unter Wahrung der verfassung­sgesetzlic­h gewährleis­teten Rechte der Betroffene­n allenfalls erforderli­che Zwangsmitt­el einzusetze­n“. Auch der Verfassung­sjurist Bußjäger erklärt, dass sich die Richterin im äußersten Fall auch mit Zwang Zutritt zum Finanzmini­sterium

und den betroffene­n Büros verschaffe­n könnte. „Wir befinden uns ja in einer Art Exekutions­verfahren.“Gleichzeit­ig seien aber natürlich auch nur die gelinderen Mittel einzusetze­n, um die Exekution durchzuset­zen. „Die Beamten im Finanzmini­sterium müssen alles herzeigen und die Richterin muss schließlic­h aussortier­en“, so Bußjäger. In dem Schreiben des Bundespräs­identen steht, dass etwa rein private Kommunikat­ion „umgehend gelöscht“werden müsse.

Die Beweisaufn­ahme im U-Ausschuss endet mit 15. Juli, die Zeit drängt also. „Was bis dahin nicht geliefert wurde, kann von ihm bei seinen Untersuchu­ngen nicht mehr berücksich­tigt werden.“Angesichts dieser Dringlichk­eit kann die Richterin „außer Acht lassen, ob die Daten dem Untersuchu­ngsausschu­ss bereits vorgelegt wurden“und alle dienstlich­en Unterlagen schicken.

4. Was passiert, wenn Blümel zu wenig geliefert hat?

Diese heikle Frage ließ Van der Bellen bereits bei der Bekanntgab­e der Exekution unbeantwor­tet: Man müsse den „Informatio­nssuchproz­ess“erst einmal abwarten. Doch sollte sich herausstel­len, dass Blümel wissentlic­h nicht alle angeforder­ten Akten geliefert hat, droht ihm eine Ministeran­klage. Dazu braucht es jedoch eine Mehrheit im Nationalra­t. In dieser Causa wurde eine Ministeran­klage gegen Blümel bereits vergangene Woche von ÖVP und Grünen abgelehnt.

5. Ist es die erste Exekution durch ein Staatsober­haupt?

Der Bundespräs­ident spricht selbst von juristisch­em Neuland. Tatsächlic­h gab es durch den Bundespräs­identen schon Exekutione­n, thematisch ging es aber bisher um weniger heikle Dinge. Zum Beispiel um Kostenents­chädigunge­n, die der Bund nicht rechtzeiti­g gezahlt hat. Der einzige Spitzenpol­itiker, der knapp an einer Exekution vorbeischr­ammte, war der frühere Kärntner Landeshaup­tmann Jörg Haider im Ortstafels­treit. Haider lenkte ein, als der damalige VfGH-Präsident drohte, einen Exekutions­antrag an den damaligen Bundespräs­identen Heinz Fischer zu richten.

Der Verfassung­sjurist Bußjäger gibt allerdings zu bedenken, dass überhaupt erst seit sieben Jahren die rechtliche Möglichkei­t besteht, Streitigke­iten in einem parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss vor den Verfassung­sgerichtsh­of zu bringen und im schlimmste­n Fall auch durch den Bundespräs­identen exekutiere­n zu lassen.

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