Wie kommt der Bundespräsident an die Akten?
Eine Richterin vom Wiener Straflandesgericht muss im Auftrag von Alexander Van der Bellen feststellen, ob Finanzminister Gernot Blümel dem U-Ausschuss alle Akten geliefert hat. Ein schwieriges Unterfangen – und die Zeit drängt.
Das Schreiben, das am Donnerstag im Straflandesgericht Wien eingegangen ist, hat es in sich. Auf sechs Seiten hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Auftrag zur Exekution im Finanzministerium erteilt. Die Überprüfung, ob Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) zu wenige Akten an den Ibiza-U-Ausschuss geliefert hat, ist juristisches Neuland. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
1. Was soll das Gericht im Finanzministerium tun?
Weil in dem Aktenstreit Blümel versichert, alle Akten geliefert zu haben, während die Opposition das Fehlen von Unterlagen kritisiert, beauftragt der Bundespräsident nun ein Gericht, um die Daten zu sichten und zu überprüfen, ob alles geliefert wurde. Der Bundespräsident erteilt deshalb dem Straflandesgericht Wien drei Aufgaben:
Die E-Mail-Postfächer, erhaltene E-Mails sowie auf Servern gespeicherte Dateien bestimmter Finanzministeriumsmitarbeiter sind erstens „an den jeweiligen Speicherorten sicherzustellen“, zweitens „zu sichten, ob sie von der Vorlagepflicht erfasst sind“, und drittens
„soweit faktisch möglich – spätestens bis zum 15. Juli 2021 dem Untersuchungsausschuss vorzulegen“. Der Bundespräsident stellt ebenfalls klar, welche Daten nicht vorgelegt werden müssen: „Rein private Dateien und Kommunikation.“
2. Warum wird das Straflandesgericht beauftragt?
Der Bundespräsident exekutiert mit seinem Schritt ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), der bereits im März beschlossen hat, dass Blümel Akten liefern muss. Für die Exekution hätte der Bundespräsident laut Bundesverfassung auf jede Landes- oder Bundesbehörde zurückgreifen können – er hat sich allerdings für das Straflandesgericht Wien entschieden, auch wenn es sich – wie auch der Bundespräsident betonte – um kein Strafverfahren handelt.
Dass das Straflandesgericht Wien, auch „Landl“genannt, für diese Aufgabe ausgewählt wurde, ergibt Sinn: „Erstens ist ein Gericht unabhängig, zweitens sind die Richterinnen und Richter am Straflandesgericht in komplexen Wirtschaftsfällen und in der Aktenbeschlagnahme erfahren“, erklärt Verfassungsjurist Peter Bußjäger. Laut dem Straflandesgericht wird eine Haft- und Rechtsschutzrichterin das VfGH-Erkenntnis zur Aktenlieferung des Finanzministeriums exekutieren. Da es sich bei der Exekution um kein Gerichtsverfahren handelt und somit nicht die Geschäftsordnung berücksichtigt werden muss, wurde sie mittels Zufallsgenerator ernannt.
Die Richterin muss diese heikle Aufgabe nicht allein bewältigen. Sie kann auf „Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes“, also etwa Spezialisten des Bundeskriminalamts, zurückgreifen. Auch für sonstige Aufgaben kann sie Daten-Forensiker, IT-Fachleute, andere Richter bzw. Verwaltungsbedienstete für die Sichtung beiziehen.
3. Was darf die Richterin im Finanzministerium tun?
Da es keinen Präzedenzfall gibt, tun sich selbst Verfassungsjuristen schwer, das genaue Prozedere zu skizzieren, auch was die Rechte des vom Bundespräsidenten bestellten Exekutors betrifft. Laut Bundespräsident ist die Richterin jedenfalls berechtigt, „unter Wahrung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte der Betroffenen allenfalls erforderliche Zwangsmittel einzusetzen“. Auch der Verfassungsjurist Bußjäger erklärt, dass sich die Richterin im äußersten Fall auch mit Zwang Zutritt zum Finanzministerium
und den betroffenen Büros verschaffen könnte. „Wir befinden uns ja in einer Art Exekutionsverfahren.“Gleichzeitig seien aber natürlich auch nur die gelinderen Mittel einzusetzen, um die Exekution durchzusetzen. „Die Beamten im Finanzministerium müssen alles herzeigen und die Richterin muss schließlich aussortieren“, so Bußjäger. In dem Schreiben des Bundespräsidenten steht, dass etwa rein private Kommunikation „umgehend gelöscht“werden müsse.
Die Beweisaufnahme im U-Ausschuss endet mit 15. Juli, die Zeit drängt also. „Was bis dahin nicht geliefert wurde, kann von ihm bei seinen Untersuchungen nicht mehr berücksichtigt werden.“Angesichts dieser Dringlichkeit kann die Richterin „außer Acht lassen, ob die Daten dem Untersuchungsausschuss bereits vorgelegt wurden“und alle dienstlichen Unterlagen schicken.
4. Was passiert, wenn Blümel zu wenig geliefert hat?
Diese heikle Frage ließ Van der Bellen bereits bei der Bekanntgabe der Exekution unbeantwortet: Man müsse den „Informationssuchprozess“erst einmal abwarten. Doch sollte sich herausstellen, dass Blümel wissentlich nicht alle angeforderten Akten geliefert hat, droht ihm eine Ministeranklage. Dazu braucht es jedoch eine Mehrheit im Nationalrat. In dieser Causa wurde eine Ministeranklage gegen Blümel bereits vergangene Woche von ÖVP und Grünen abgelehnt.
5. Ist es die erste Exekution durch ein Staatsoberhaupt?
Der Bundespräsident spricht selbst von juristischem Neuland. Tatsächlich gab es durch den Bundespräsidenten schon Exekutionen, thematisch ging es aber bisher um weniger heikle Dinge. Zum Beispiel um Kostenentschädigungen, die der Bund nicht rechtzeitig gezahlt hat. Der einzige Spitzenpolitiker, der knapp an einer Exekution vorbeischrammte, war der frühere Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider im Ortstafelstreit. Haider lenkte ein, als der damalige VfGH-Präsident drohte, einen Exekutionsantrag an den damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer zu richten.
Der Verfassungsjurist Bußjäger gibt allerdings zu bedenken, dass überhaupt erst seit sieben Jahren die rechtliche Möglichkeit besteht, Streitigkeiten in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor den Verfassungsgerichtshof zu bringen und im schlimmsten Fall auch durch den Bundespräsidenten exekutieren zu lassen.