Salzburger Nachrichten

Offene Wunden auf dem Westbalkan

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STEPHANIE PACK-HOMOLKA

Erneuerung und Demokratie – das war der Geist, der Ende der 1980er-Jahre durch Europa wehte. Die Berliner Mauer war bereits gefallen und ebenso der Eiserne Vorhang, als Slowenien und Kroatien am 25. Juni 1991 ihre Unabhängig­keit erklärten. Es war der Anfang vom Ende des kommunisti­schen Vielvölker­staates Jugoslawie­n. Und es war der Beginn eines besonders blutigen Staatszerf­alls.

Die Rosen von Sarajevo zeugen noch heute davon, wie jene hier im Bild. Mit Romantik haben sie nichts zu tun. Vielmehr markieren sie Einschläge von Geschossen, wie es sie Mitte der 1990er-Jahre über drei Jahre fast täglich in der Stadt gab.

Die Belagerung von Sarajevo, der Völkermord von Srebrenica, die mehr als 100.000 Toten infolge der Bürgerkrie­ge – all das lastet auf der kollektive­n Erinnerung. Als historisch­es Faktum akzeptiert ist es trotzdem nicht überall. „Der internatio­nale Konsens, was passiert ist, wird in der Region nach wie vor infrage gestellt“, sagt Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuro­pastudien an der Universitä­t Graz. Die Geschichts­erzählung heute sei nicht anders als vor zwanzig Jahren, Kriegsverb­recher würden als Helden gefeiert, die eigene Nation als Opfer gesehen. Und das nicht nur an den politische­n Rändern, „das ist Mainstream“, sagt Bieber.

„Geschichts­aufarbeitu­ng ist keine balkanesis­che Spezialitä­t“, sagt auch Faruk Ajeti vom Österreich­ischen Institut für Internatio­nale Politik (OIIP). Eine Chance auf Versöhnung könne es aber nur geben, wenn alle Seiten die Realität akzeptiert­en. Aussichtsl­os ist das aus seiner Sicht nicht: „Der deutsch-polnische Fall zeigt, wie mutige Politiker mit einem liberalen Demokratie­verständni­s in der Lage sind, auch Entschuldi­gungen zu äußern.“

Am schwierigs­ten sind heute die Beziehunge­n zwischen Serbien und dem Kosovo. Dieser war in Jugoslawie­n eine autonome Provinz, bis Serbenführ­er Slobodan Milošević 1989 die Aberkennun­g dieses Status erreichte und Militär in der Region stationier­te. Von 1998 bis 1999 dauerte schließlic­h der Kosovo-Krieg, in den letztlich die NATO eingriff.

2008 erklärte der Kosovo seine Unabhängig­keit, die internatio­nal strittig ist. Selbst fünf EU-Länder erkennen den Staat nicht an – wie Serbien. Seit 2011 führen die Nachbarn aber einen Dialog unter Führung der EU. Ziel ist die „Normalisie­rung“der Beziehung. „Das Ende sollte ein verbindlic­hes Abkommen sein, in dem sich die Länder

bilateral anerkennen“, sagt Ajeti.

Die Gespräche kommen allerdings seit Jahren nicht vom Fleck. Und: „Die jetzige serbische Regierung hat wenig Interesse, das zu ändern“, sagt Balkanexpe­rte Bieber. Die EU-Perspektiv­e sei für Serbien sehr abstrakt und Präsident Aleksandar Vučić ein „Kleinspur-Tito“. Wie der ehemalige jugoslawis­che Präsident versuche er, durch Kontakte zu vielen – heute zur EU, China und Russland – unabhängig zu bleiben. Und das, obwohl sich Serbien

als EU-Beitrittsk­andidat eigentlich zu einem Block bekenne.

EU-Beitrittsk­andidaten sind heute auch Nordmazedo­nien und Montenegro. Die EU sieht bei beiden im Kampf gegen Korruption und organisier­tes Verbrechen sowie bei der Sicherstel­lung der Rechtsstaa­tlichkeit den größten Reformbeda­rf. Erledigte Reformen, so die Kritik nicht nur aus der Region, würden von der EU aber zu wenig honoriert, die Beitrittsp­erspektive daher verschlepp­t.

Noch kein Beitrittsk­andidat ist neben dem Kosovo Bosnien-Herzegowin­a, das noch immer Probleme bei der Staatswerd­ung hat. Mitverantw­ortlich dafür ist das Abkommen von Dayton, das dem Land Frieden, aber auch eine komplizier­te Verfassung brachte. „Jedes der Völker hat etwas bekommen. Die Serben eine Republik innerhalb des Staates, die Kroaten die Kantonisie­rung mit einigen mehrheitli­chen kroatische­n Kantonen und die Bosniaken den Erhalt der seit Jahrhunder­ten bestehende­n staatliche­n Grenzen. All das ist einigermaß­en komplizier­t, mit 14 Regierunge­n“, sagt Valentin Inzko, ehemals österreich­ischer Botschafte­r in und später internatio­naler Beauftragt­er für Bosnien-Herzegowin­a.

Das Dayton-Abkommen wäre auch mit einem EU-Betritt nicht zu vereinbare­n. Der damit geschaffen­e

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