Wirtschaft lässt Krise schneller hinter sich
Neue Virusvarianten sollten klare Erholung nicht mehr gefährden. Experten fordern ein Ende des „Koste es, was es wolle“-Prinzips.
WIEN. Österreichs Wirtschaft nimmt nach der Coronakrise schneller und stärker Fahrt auf als von Experten erwartet. Nach einem Einbruch der Wirtschaftsleistung um 6,3 Prozent (2020) dürfte die heimische Konjunktur im Jahresabstand heuer um 3,4 bis 4,0 Prozent wachsen. Nächstes Jahr soll das Plus 4,5 bis 5,0 Prozent ausmachen, erwarten die Experten von Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) und vom Institut für Höhere Studien (IHS) in ihrer gemeinsamen Sommerprognose. Die optimistischeren Zahlen liefert das Wifo, das IHS ist zurückhaltender. Beide Institute heben damit ihre Wachstumserwartungen für heuer um rund 1,5 Prozentpunkte an.
Wichtigster Grund für den optimistischeren Ausblick sind Fortschritte bei der Eindämmung der Coronapandemie, die schrittweise Öffnungen und die weitgehende Normalisierung des Wirtschaftslebens zur Folge hatten. Seit Erstellung der Frühjahrsprognose Ende März sei die Sieben-Tage-Inzidenz je 100.000 Personen von 250 auf 10 gesunken, sagt IHS-Experte Helmut Hofer. Dazu komme der höhere Anteil geimpfter Menschen, der sich fortsetzen werde. Wegen der Lockerungen soll der private Konsum um 4,2 (heuer) und 4,9 Prozent (2022) wachsen. Damit sollte auch die
Sparquote wieder auf ein normales Niveau sinken. Nach der Industrie sollte auch der Bereich Dienstleistungen wieder anspringen, spätestens nächstes Jahr soll der Tourismus zu früherer Stärke zurückfinden. Dazu kommen kräftige Impulse aus dem Ausland. Vor allem China und die USA würden sich mit Wachstumsraten bis zu acht Prozent als Konjunkturloks erweisen.
Dem Patienten österreichische Volkswirtschaft gehe es heute „wesentlich besser als noch vor ein paar Monaten“, erklärt Wifo-Chef Christoph Badelt. Schon im Sommer soll die Produktion wieder Vorkrisenniveau erreichen. Österreich habe durch die Krise eineinhalb Jahre Wirtschaftswachstum verloren. Selbst neue Virusvarianten dürften das Wachstum im zweiten und dritten Quartal nicht mehr gefährden, die Impfungen dürften gegen Mutationen schützen.
IHS und Wifo erwarten ein merkliches Anziehen der Inflation. Die Verbraucherpreise sollten im Jahresdurchschnitt 2021 um 2,2 und 2022 um 2,0 Prozent steigen, lautet die übereinstimmende Erwartung – nach 1,4 Prozent 2020. Dabei sollte es sich aber nur um ein vorübergehendes Anziehen der Preise handeln. Es gebe „keinen Hinweis, dass wir am Beginn einer längeren Aufwärtsspirale stehen“, betont Badelt. Für ihn handelt es sich eher um eine Verlagerung des Fokus von niedrigen Ölpreisen zu einer zunehmenden Verknappung samt entsprechenden Preiseffekten bei Vorprodukten. Auch IHS-Experte Hofer erklärt den jüngsten Inflationsanstieg – zuletzt im Mai auf 2,8 Prozent im Jahresabstand – vor allem mit dem coronabedingt tiefen Ölpreis, „der vor einem Jahr völlig am Boden lag“.
Die Arbeitslosenquote ist weiter rückläufig. Beide Institute erwarten einen Rückgang von knapp 10 Prozent auf heuer 8,5/8,4 und nächstes Jahr auf 8,0/7,9 Prozent. Besorgniserregend sei ein vergleichsweise hoher Anteil an langfristiger Arbeitslosigkeit, hier ortet Badelt „wirklich massiven Handlungsbedarf“. Hofer sieht Anzeichen für zunehmende Vermittlungsprobleme („mismatches“), „die Wirtschaft schreit nach Arbeitskräften, aber findet sie nur unter Problemen und die Arbeitslosigkeit bleibt hoch“.
Nach eineinhalb Jahren Ausnahmezustand gehe es jetzt um die Rückkehr in Zeiten normaler Wirtschaftspolitik. Badelt fordert für diesen Übergang neue Schwerpunktsetzungen und etwa ein Ende der Covid-Stützungsmaßnahmen. Anstelle des „Koste es, was es wolle“müsse wieder das Motto „Was können wir uns leisten?“treten.
Insgesamt werde es nicht ohne lang fällige Strukturreformen gehen, unterstreicht Badelt. „Sonst
wird sich der gordische Knoten der Finanzwirtschaft nicht lösen lassen.“So brauche es auch intensive politische Diskussionen über Prioritäten bei den Ausgaben.
Eine Ökologisierung der Steuern sei „dringend notwendig“, ist Badelt überzeugt. Fiskalpolitischer Spielraum werde dabei aber wohl kaum entstehen – weil der Großteil der erwarteten Mehreinnahmen von rund zwei Milliarden Euro in Kompensationsmaßnahmen gesteckt werden müsste. „Da wird nicht wahnsinnig viel übrig bleiben.“
Für Badelt war es der letzte Auftritt als Wifo-Chef bei einer Konjunkturprognose. Nach fünf Jahren übergibt er die Funktion im Herbst an Gabriel Felbermayr. Seit Mai ist Badelt Präsident des Fiskalrats, der die Einhaltung der EU-Budgetregeln in Österreich überwacht.