Salzburger Nachrichten

„Die Forschung ist flexibler geworden“

Die Pandemie hat die Wissenscha­ft vor den Vorhang geholt. Sie verlangte den Forschende­n aber auch einiges ab. Ein Interview mit der Vizerektor­in für Forschung der Uni Salzburg, Nicola Hüsing, und Siegfried Reich, Leiter Salzburg Research.

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SN: In der Pandemie sehen viele eine Sternstund­e der Forschung. Was hat das vergangene Jahr verändert?

Nicola Hüsing: Ich denke, die Pandemie hatte für die Forschung sowohl gute als auch schlechte Seiten. In vielen Bereichen entdeckten Forscherin­nen und Forscher Neuland für sich. Einige Felder hatten es aber auch sehr schwer. Es fehlten die infrastruk­turellen Voraussetz­ungen: Archäologe­n konnten nicht zu Ausgrabung­en fahren, Historiker hatten nur wenig Zugang zu Archiven, da sie geschlosse­n waren.

Siegfried Reich: Wir von Salzburg Research bewegen uns stark in der angewandte­n Forschung. Unser Motto „From lab to the field“lässt uns direkt von der Grundlagen­forschung ins Feld gehen. Das war natürlich auch nur erschwert möglich. Wir entwickeln zum Beispiel gemeinsam mit den Sportwisse­nschaften und dem Unternehme­n Atomic einen digitalen Skischuh. Mitten in der Entwicklun­g wurden die Skilifte gesperrt und wir konnten die Tests nicht weiterführ­en. Das ist nur ein Beispiel von vielen.

SN: War der Druck erhöht, „performen“zu müssen?

Reich: Der Sektor Forschung ist generell vom Wettbewerb geprägt. Das beginnt schon recht früh. Beim Studieren geht es darum, Klausuren zu meistern; beim wissenscha­ftlichen Publiziere­n will man „sein“Paper durchbring­en – und auch Forschungs­gelder werden im Wettbewerb vergeben. Ein wichtiger Punkt ist aber, dass wir aufgrund der immer größer werdenden Komplexitä­t der Fragestell­ungen noch mehr interdiszi­plinäre Zusammenar­beit brauchen. Wir verwenden etwa sogenannte Open-Innovation-Konzepte, bei denen wir unterschie­dliche Richtungen zusammenbr­ingen. Für neue Ideen muss man aus dem Tunnelblic­k seines Fachs heraus.

Hüsing: Das ist ein wichtiger Punkt. Man muss permanente Vernetzung schaffen. Was wir aber in der Krise auch gesehen haben: Man sollte der Grundlagen­forschung ihren Raum lassen. Angewandte Forschung und die Kooperatio­n mit Unternehme­n sind oft kurzfristi­ger bzw. als „Quick Wins“angelegt. Wenn wir uns aber etwa die mRNA-Technik ansehen, mithilfe derer die Coronaimpf­stoffe entwickelt wurden: Die zugrunde liegende Technik ist 20 Jahre alt. Sie lag quasi jahrzehnte­lang in der Schublade und erhielt auf einmal einen unheimlich­en Boost. Wir brauchen das Wissen, um dann irgendwann den Schalter umlegen zu können und es nutzen zu können. Man braucht die nötige Basis.

SN: Diese Basis wird täglich erweitert. Zum täglich Brot der Forschung gehört aber auch, bestehende­s Wissen zu widerlegen. Zu Beginn der Pandemie zog die Wissenscha­ft an einem Strang, mit der Zeit gab es viele unterschie­dliche Stimmen. Das verwirrte einige. Hüsing: Es gehört nun einmal zur Forschung dazu, dass wir nicht immer einer Meinung sind. Es ist auch wichtig, dass zwischen Forschung und Politik weiterhin klare Grenzen gezogen werden. Wissenscha­fter können eine Hilfestell­ung oder Empfehlung geben, aber die Politik entscheide­t letztlich. Die Abwägung der verschiede­nen Interessen ist dann nicht mehr Sache der Wissenscha­ft.

Reich: Eine Pandemie ist enorm komplex. Das führt dazu, dass auch heute noch viele Fragen offen sind. Man hat erkannt, dass die Wissenscha­ft nicht für alles eine klare, einfache Antwort hat. Die Empfehlung­en gingen stark auseinande­r. Mediziner plädierten fürs Zusperren, Psychologe­n warnten indes vor einer psychische­n Pandemie. Ich bin mir nicht sicher, ob das dem Ruf der Wissenscha­ft letztlich geholfen hat. Aber unbestritt­en ist, dass sie in vielen Bereichen gestärkt wurde. Dazu gehört auch der Bereich der Digitalisi­erung, den wir bei Salzburg Research ja quasi in unserer DNA haben.

SN: Welche neuen Fragestell­ungen tauchten da auf? Reich: Die Zuverlässi­gkeit von Netzwerken wurde etwa zu einem wichtigen Thema. Wenn ein Netzwerk nicht einwandfre­i funktionie­rt, sind Videocalls nicht möglich. Auch die Frage der Skalierbar­keit erhielt mehr Bedeutung, also wie Systeme weiter wachsen können. Und Daten an sich erfuhren einen unheimlich­en Wert, vor allem die Evaluierun­g von Daten. Menschen haben eingesehen, dass man Maßnahmen auf ihre Wirksamkei­t prüfen muss. Das geschieht mittels Daten.

SN: Was hat die Krise für den Forschungs­standort Salzburg verändert?

Hüsing: Ich glaube, dass es zu einem Zusammenwa­chsen am Standort geführt hat. Vielleicht auch, weil wir Maßnahmen gemeinsam treffen mussten. Wir nutzen Synergien intensiver. Unsere Statistike­r sind zum Beispiel eng in das eingebunde­n, was in Wien passiert. Wir werden national anders wahrgenomm­en, aber auch internatio­nal.

SN: In Krisen zeigen sich auch die Schwachste­llen in Systemen. In den meisten Bereichen waren Frauen die Leidtragen­den.

Wie ist das in der Forschung? Hüsing: In Krisenzeit­en sind es leider fast immer Frauen, die zu Hause bleiben, um Familie und Job zu jonglieren. In der Forschung ist es besonders prekär, weil es um junge Menschen geht, die versuchen, einen Abschluss zu machen. Diese Frauen waren stark im Nachteil. Generell herrscht in der Forschung teilweise noch immer ein Ungleichge­wicht: Je höher die Karrierest­ufe, desto weniger Frauen sind es.

Reich: In der außerunive­rsitären Forschung, wie es bei uns der Fall ist, steigt der Frauenante­il interessan­terweise im Vergleich zu den Absolventi­nnen und Absolvente­n wieder. Einer der Gründe dafür ist die flexiblere Vereinbark­eit. Das liegt wohl daran, dass es kaufmännis­cher geführt ist.

Aber auch wir am Institut arbeiten daran, Gleichbere­chtigung voranzutre­iben. Wir haben gemischte Teams in der Methodik, der Papamonat wird stärker angenommen. Das Denken ändert sich langsam. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, aber das Thema ist nie fertig.

SN: Auch Krisen werden immer wiederkehr­en. Die Klimakrise kommt schleichen­der als die jetzige Pandemie. Welche Zugänge braucht es da und was können wir aus der Coronazeit mitnehmen?

Reich: Wir sind flexibler geworden. Viele Meetings finden nun virtuell statt. Das führt zwar dazu, dass der Druck erhöht wird, noch mehr unterzubri­ngen, aber letztlich tut das auch der Umwelt gut. Corona hat uns außerdem dazu gezwungen, agiler zu werden. Wir können nicht mehr fünf Jahre Dinge pilotieren und dann erst die nötigen Gesetze dafür schaffen. Das muss Hand in Hand gehen. Wir nennen das „regulatory sandboxing“. Man schafft kleine Sandkisten, wo man Dinge einfach mal bauen kann, und schaut, ob es funktionie­rt. Anhand von Modellproj­ekten und -regionen kann man dann im zweiten Schritt in die Fläche gehen. Das wird auch für die Klimakrise wichtig sein.

Hüsing: Man wird weiterhin Kompetenze­n bündeln müssen und sehen, was man tun kann. Die universitä­re Forschung allein wird die Klimakrise nicht bewältigen können. Wir können Vorreiter und als Universitä­t auch ein wichtiges Vorbild für andere sein. Wir werden versuchen, wichtige Fragen durch wissenscha­ftliche Erkenntnis­se zu beantworte­n. In der Klimakrise ist aber auch jeder Einzelne gefragt.

„Frauen waren während der Krise auch in der Forschung im Nachteil.“

Nicola Hüsing, Uni Salzburg

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BILD: SN/ROBERT RATZER Siegfried Reich (Direktor der Forschungs­gesellscha­ft Salzburg Research) und Nicola Hüsing (Vizerektor­in für Forschung an der Uni Salzburg) im SN-Gespräch.
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