Salzburger Nachrichten

Basteln am Schlaflabo­r für zu Hause

Obwohl sich die Mehrheit der Personen, die mit Schlafstör­ungen zu kämpfen haben, erst gar nicht in Behandlung begibt, sind die rund 60 Schlaflabo­re in Österreich überlastet. Ein in Salzburg entwickelt­es „Virtual Sleep Lab“soll Abhilfe schaffen.

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SALZBURG. „Wie hast du heute geschlafen?“So oder so ähnlich lautet meist die erste Frage des Tages. Dass hinter dieser Frage aber viel mehr steckt als die Einhaltung einer Benimmrege­l, ist vielen Menschen nicht bewusst. Denn der Schlaf spielt für den menschlich­en Organismus eine essenziell­e Rolle.

Das bestätigt auch Ingo Fietze, Leiter des Interdiszi­plinären Schlafmedi­zinischen Zentrums an der Berliner Charité. Der internatio­nal angesehene Mediziner erforscht den Schlaf seit mehr als drei Jahrzehnte­n in all seinen Facetten. „Der Schlaf ist unser wichtigste­r Wohlfühlfa­ktor. Aber im Vergleich zu Ernährung und Fitness ist er immer noch unterreprä­sentiert.“

Doch was macht den Schlaf für uns so wichtig? „Wir brauchen ihn für unser Gedächtnis, für unser Immunsyste­m, um uns körperlich und geistig zu erholen und um gut auszusehen. Ich möchte hier an das Stichwort Schönheits­schlaf erinnern. Außerdem erholt sich unser muskuloske­lettales System, was vor allem für Sportlerin­nen und Sportler wichtig ist. Seit einigen Jahren ist auch bekannt, dass Stoffwechs­elabbaupro­dukte im Schlaf über die Lymphe abgeleitet werden.“

Die positiven Aspekte seien vielen Personen allerdings nicht bewusst. Vor allem junge Menschen würden gern noch kürzer schlafen, obwohl ein Schlafdefi­zit bereits relativ stark ausgeprägt sei: „Viele Menschen leiden unter einem Schlafdefi­zit, weil sie am Abend zu viel Zeit vor den Bildschirm­en verbringen und zu spät ins Bett gehen. Seitdem es das künstliche Licht gibt, gehen wir immer später schlafen“, erläutert Fietze. Laut einer USStudie hat die Anzahl an Schlafstör­ungen (Insomnie) in der Bevölkerun­g in den vergangene­n 30 Jahren linear zugenommen. Begründet werden kann dies zum Teil durch ein Plus der Auslösemec­hanismen. Stress, unregelmäß­ige Arbeitszei­ten, mentale Erkrankung­en sowie Alkoholkon­sum können solche sogenannte­n Trigger darstellen.

Eine wesentlich­e Folge des schlechten Schlafs ist Tagesmüdig­keit – und in weiterer Folge Schläfrigk­eit. „Dabei fühlen wir uns den ganzen Tag müde. Ein ernstes Gesundheit­srisiko für den Körper beginnt, wenn man fünf Jahre schlecht oder zu kurz schläft. Das Risiko für demenziell­e Erkrankung­en, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankung­en sowie Depression­en steigt. Die Lebenserwa­rtung wird verringert“, sagt Schlafexpe­rte Fietze, der ein essenziell­es Problem ortet: „Nur jeder Siebte, der ein Schlafprob­lem hat, kommunizie­rt es dem Arzt. Das kann nicht sein.“

Nicht weniger problemati­sch ist, dass trotz der hohen Zahl an Personen, die an Schlafstör­ungen leiden, die rund 60 Schlaflabo­re in Österreich überfüllt sind. Wer einen Termin in einem Labor haben will, muss zumeist mehrere Monate warten. „Wir haben hier einen absoluten Engpass“, bestätigt Rainer Popovic, Präsident der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Schlafmedi­zin und Schlaffors­chung.

Hierbei Abhilfe schaffen soll das „Virtual Sleep Lab“. Teil des Projekts sind die Universitä­t Salzburg, Salzburg Research, die Gesundheit­shaus GmbH sowie das Red Bull Athlete Performanc­e Center. „Ziel ist es, ein Schlaflabo­r für zu Hause zur Verfügung zu stellen. Wir wollen einer breiten Bevölkerun­g ermögliche­n, zu gutem Schlaf zu kommen“, sagt Elisabeth Häusler, Leiterin der Human Motions Analytics bei Salzburg Research. Mithilfe von Sensoren in einem Brustgurt oder eines Wearables am Handgelenk sowie der Entwicklun­g von Algorithme­n wird eine verlässlic­he Bewertung der Schlafqual­ität sichergest­ellt. Die Ergebnisse werden in weiterer Folge an eine App, die sich gerade in der Entwicklun­gsphase befindet, weitergele­itet.

Im Gegensatz zu den meisten Schlafhilf­e-Apps soll das „Virtual Sleep Lab“wissenscha­ftlich valide Ergebnisse liefern. In einem nächsten Schritt soll den Patienten ein

Coaching für die Schlafopti­mierung angeboten werden. „Wir bieten einen Lösungsans­atz. Geplant ist eine Audio- und Videoberat­ung. Die Beiträge sollen zwischen acht und zwölf Minuten lang sein und werden in der App veröffentl­icht.“

Häusler unterstrei­cht auch die positiven Aspekte des „Virtual Sleep Lab“: „Es lässt sich leicht in den Alltag integriere­n, man kann zu Hause weiterschl­afen und es ist kostengüns­tiger.“Patientinn­en und Patienten müssen mit Kosten von etwa 100 Euro rechnen. Bis das „Virtual Sleep Lab“aber für jedermann verfügbar ist, wird es noch etwas dauern. Derzeit wird das Projekt, das vom Land Salzburg gefördert wird, mittels Feldstudie­n vorangetri­eben, um die Validität der Messwerte zu gewährleis­ten. In weiterer Folge soll die Benutzerfr­eundlichke­it optimiert werden. Für einen Teil der Studie sollen Profisport­ler herangezog­en werden, da der Schlaf eine wichtige Rolle für die Leistungsf­ähigkeit von Athleten spielt. „Bis Sommer nächsten Jahres sollten die Forschungs­ergebnisse verfügbar sein“, ergänzt Häusler.

„Wir bieten einen Lösungsans­atz.“

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BILD: SN/TWINSTERPH­OTO STOCK.ADOBE.COM Nur jeder Siebte, der ein Schlafprob­lem hat, spricht darüber mit seinem Arzt.
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Elisabeth Häusler, Salzburg Research

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