Salzburger Nachrichten

Russland-Initiative ist bei EU-Gipfel gescheiter­t

Ein ganz und gar nicht alltäglich­es Treffen in Brüssel brachte harte und offene Debatten.

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Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel neigt nicht zu Übertreibu­ngen. Doch sie könne sich nicht an eine so harte Diskussion unter den Staats- und Regierungs­chefs erinnern, betonte das längstdien­ende Mitglied der Runde. Die Debatte sei „ehrlich und wichtig“gewesen, sie sei „nicht beendet“, und nein, harmonisch sei sie nicht gewesen. Die Kopfwäsche galt dem ungarische­n Premier Viktor Orbán, der in diesem Ausmaß wohl nicht damit gerechnet habe, wie sein belgischer Amtskolleg­e Alexander De Croo meinte. Stein des Anstoßes ist ein Gesetz, das die Erwähnung von nicht heterosexu­ellen Beziehunge­n in Schulbüche­rn und allen anderen Publikatio­nen, die Jugendlich­en zugänglich sind, untersagt. Auch wird Werbung verboten, in der Homosexuel­le oder Transsexue­lle als normal dargestell­t werden. Gleichzeit­ig werden die Strafen für Kindesmiss­brauch verschärft.

„Diesmal geht es zu weit“, sagte der niederländ­ische Premier Mark Rutte laut Diplomaten in der rund zweistündi­gen Debatte zu Orbán. Er rief ihn dazu auf, ein Austrittsv­erfahren einzuleite­n, wenn er die europäisch­en Werte nicht achten wolle. Ähnlich äußerte sich angeblich der portugiesi­sche Premier António Costa. Besonders aufgebrach­t reagierte der luxemburgi­sche Regierungs­chef Xavier Bettel. Er ist offen homosexuel­l und seit 2015 verheirate­t. „Ich bin nicht schwul geworden. Ich bin es. Es ist keine freie Wahl“, meinte er zu Orbán. „Meine Mutter hasst es, ich lebe damit. Und nun gießt du das in ein Gesetz!“Und: „Ich respektier­e dich, aber das ist eine rote Linie. Da geht es um Grundrecht­e, um das Recht, anders zu sein.“Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) reiht sich in die Kritiker Orbáns ein. „Wir haben uns klar zu Wort gemeldet“, sagte er.

Das Vorgehen Ungarns sei eine Grenzübers­chreitung. Laut Bettel stellten sich lediglich Polen und Slowenien auf die Seite Ungarns.

Orbáns Gesetz wird aller Voraussich­t nach vor dem EuGH landen, der Ungarn zu einer Aufhebung verurteile­n kann.

Eine zweite, ebenfalls unüblich offene Diskussion drehte sich um das Verhältnis zu Russland. Eine knapp vor dem Gipfel gestartete deutsch-französisc­he Initiative, die direkte Gipfeltref­fen mit Kremlchef Wladimir Putin auf das Tapet bringen wollte, scheiterte. Die baltischen und osteuropäi­schen Staaten legten sich ebenso quer wie die Niederland­e. Der lettische Ministerpr­äsident Krišjānis Kariņš warnte, Zugeständn­isse ohne Gegenleist­ung sehe der Kreml nicht als Zeichen von Stärke. So blieb vom „dualen Ansatz“von Zuckerbrot und Peitsche eher die Peitsche über. In den Schlussfol­gerungen des Gipfels wird die „Notwendigk­eit einer entschloss­enen und koordinier­ten Reaktion“auf „jede weitere böswillige rechtswidr­ige und disruptive Aktivität Russlands“betont, etwa Hackerangr­iffe. Es soll ein Katalog von Strafmaßna­hmen erstellt werden, um rascher als bisher reagieren zu können.

Angela Merkel bedauerte die Absage ebenso wie Sebastian Kurz. Auch er hätte sich ein mutigeres Vorgehen gewünscht, es sei aber schwierig, Einstimmig­keit zu erreichen, betonte er nach Ende des Gipfels am Freitag.

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Sebastian Kurz, Bundeskanz­ler
„Haben uns klar zu Wort gemeldet.“ Sebastian Kurz, Bundeskanz­ler

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