Wembley-Spiele als Brandbeschleuniger?
Die Delta-Variante breitet sich in Großbritannien rasch aus. Viele blicken mit Sorge auf die EM-Spiele im Wembley-Stadion. Schon am Samstag werden Zehntausende Fans dort sein.
Es sind Zahlen, die nicht nur Fußball-Fans nervös machen: In Großbritannien sind die Coronafälle innerhalb einer Woche um 46 Prozent gestiegen. Das Vereinigte Königreich hat eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 176 Infektionen pro 100.000 Einwohnern, wie aus Zahlen des Statistikportals Our World in Data hervorgeht. Mitte Mai lag dieser Wert noch bei rund 20 Fällen. Zwar sind rund zwei Drittel aller erwachsenen Briten vollständig geimpft und mehr als 83 Prozent haben mindestens eine Dosis erhalten. Doch die Zahl der Neuinfektionen nimmt aufgrund der Ausbreitung der zuerst in Indien nachgewiesenen Delta-Variante drastisch zu.
Begleitet von diesen Sorgen startet die Fußball-EM in die K.-o.-Runde. Für Fans aus Deutschland wird das Wembley-Stadion beim Klassiker der Nationalmannschaft am Dienstag gegen England zur Sperrzone. Schon am Samstag sollen stimmungsvolle Bilder vom ersten Londoner Achtelfinale zwischen Italien und Österreich um die Welt gehen. Zugelassen sind gut 45.000 Fans, die weitgehend aus Großbritannien kommen werden.
„Aus infektionsmedizinischer Sicht ist das keine gute Idee“, sagte Lothar Wieler, der Präsident des deutschen Robert-Koch-Instituts, im Interview mit der „Rheinischen Post“. Im ZDF bei der Talk-Sendung „Maybrit Illner“bezeichnete SPDGesundheitsexperte Karl Lauterbach die Spiele insgesamt als „Brandbeschleuniger“für die hoch ansteckende Delta-Variante. Es sei weder „epidemiologisch noch symbolisch“eine kluge Entscheidung, in Großbritannien vor so vielen Zuschauern zu spielen.
In Wembley finden neben den zwei Achtelfinalduellen auch die beiden Halbfinalpartien am 6. und 7. Juli und das Finale am 11. Juli statt. Bislang sah der Europäische Fußballverband UEFA keine Veranlassung, Großbritannien wegen der raschen Ausbreitung der Delta-Mutante als Austragungsort zu streichen. Zur Finalrunde ab dem 6. Juli soll sogar auf 60.000 Zuschauer aufgestockt werden. „Ich hätte es richtig gefunden, wenn man gesagt hätte, dass an dem Ort, wo die gefährlichste Variante mit der höchsten Inzidenz in ganz Europa derzeit vorherrscht, kein Fußballspiel vor 60.000 Zuschauern durchgeführt wird“, sagte Lauterbach. Die DeltaVariante bleibt die große Unbekannte in den noch ausstehenden zwei Wochen der Europameisterschaft, die aber bislang vom großen Coronaschock verschont geblieben war. Allerdings wurden nach dem Spiel zwischen Dänemark und Russland am Montag in Kopenhagen 16 Stadionbesucher positiv getestet. In vier Fällen sei die DeltaVariante entdeckt worden, teilte die dänische Behörde für Patientensicherheit über Twitter mit. Auch nach dem Spiel von Finnland gegen Belgien am Montag in St. Petersburg sind finnischen Medien zufolge bislang 86 Infektionen bei Rückkehrern aus Russland festgestellt worden (mehr dazu auf Seite 29).
Bei den drei EM-Spielen in München, bei denen jeweils 14.500 Fans in das Stadion gedurft hätten, waren dem Münchner Gesundheitsreferat insgesamt zwölf positive Schnelltests gemeldet worden. Weil am Mittwoch viele ungarische Fans zur Partie gegen Deutschland nach München gekommen waren, hatte es Befürchtungen gegeben, die Zahl der positiven Tests könnte ansteigen. „Nein, ein solcher Ausschlag hat nicht stattgefunden“, teilte ein Sprecher des Gesundheitsreferats mit.