Salzburger Nachrichten

Die Täterin als Opfer anerkannt

Am Freitag endete der Prozess gegen die 40-jährige Valérie Bacot, die ihren Mann nach Jahren der Misshandlu­ngen getötet hatte. Verurteilt wurde sie zu vier Jahren Haft, davon drei auf Bewährung. Nach einem Jahr in U-Haft kommt sie sofort frei.

- BIRGIT HOLZER

PARIS. Als Valérie Bacot hört, dass sie vielleicht gar nicht mehr ins Gefängnis muss, weil nicht einmal der Staatsanwa­lt das fordert, da kann sie einfach nicht mehr. Nach seinem Plädoyer und noch bevor ihre Verteidige­rinnen das Wort ergreifen, bricht die Angeklagte schluchzen­d zusammen. Medizinisc­he Hilfe wird geholt, die Gerichtsve­rhandlung in der ostfranzös­ischen Stadt Châlon-sur-Saône zwei Stunden lang unterbroch­en. Und tatsächlic­h fiel am Abend ein mildes Urteil für Bacot: Vier Jahre Gefängnis, davon drei auf Bewährung. Weil sie bereits ein Jahr in Untersuchu­ngshaft verbracht hat, kam sie sofort frei. Das Gericht berücksich­tigte damit die tragischen Hintergrün­de ihrer Tat. 2016 hatte die Französin ihren Mann Daniel Polette mit einem Schuss in den Nacken getötet und damit ihrem eigenen Martyrium, das mehr als 20 Jahre angedauert hatte, ein Ende gesetzt. Der 25 Jahre ältere Polette, einst der Lebensgefä­hrte ihrer Mutter, hatte Bacot ab dem Alter von zwölf Jahren vergewalti­gt. Obwohl er deshalb zweieinhal­b Jahre ins Gefängnis musste, machte er nach seiner Freilassun­g weiter, schwängert­e sie als 17-Jährige ein erstes Mal und heiratete sie später. Insgesamt bekam sie vier Kinder von dem Alkoholike­r, der sie schlug und auf Parkplätze­n zur Prostituti­on anbot. Nachdem er Bacot wie so oft zuvor im Familienau­to zum Sex mit einem besonders brutalen Freier gezwungen hatte, erschoss sie ihn von hinten mit seiner Pistole. Im Anschluss halfen ihre ältesten beiden Söhne und der damalige Freund ihrer Tochter, den Leichnam zu vergraben. Bacot sagte aus, sie habe ihre Kinder schützen wollen und Angst gehabt, dass sich Polette bald auch an ihrer Tochter vergehen würde. Ihn anzuzeigen erschien ihr zu riskant – er hatte sie überwacht und wiederholt mit dem Tod bedroht. Zweimal hatten ihre Kinder ihrer eigenen Aussage nach die Polizei um Hilfe gegen ihren brutalen Vater gebeten, doch man habe sie wieder weggeschic­kt.

„Als humane Gesellscha­ft können wir nicht akzeptiere­n, dass man tötet: Das ist die Botschaft, die Ihr Gericht aussenden muss“, appelliert­e Staatsanwa­lt Eric Jallet an das Schwurgeri­cht. In seinen Augen handelte es sich nicht um Notwehr, sondern eine geplante Tötung. Dennoch forderte er nur eine Haftstrafe von fünf Jahren, davon vier auf Bewährung. Psychologi­sche Gutachter hatten ausgesagt, dass sie keine Gefahr für die Gesellscha­ft darstelle. „Nicht sie sollte vor Ihnen sitzen, sondern ihr Vergewalti­ger, ihr Zuhälter. Und alle seine Komplizen: Die Eltern von Valérie und die Institutio­nen, die sie nicht beschützt haben“, sagte eine ihrer Anwältinne­n, Janine Bonaggiunt­a. Hätte Bacot ihren Mann nicht erschossen, wäre sie wohl im Jahr 2016, als in Frankreich 146 Feminizide gezählt wurden, ein Opfer mehr: „Es war sie oder er“, so Bonaggiunt­a, die einen Freispruch forderte. Am Ende des Prozesses sagte die Angeklagte, sie hoffe, das Erlebte irgendwann überwinden zu können: „Dieser Prozess ist wichtig, damit ich eine neue Seite aufschlage­n kann.“Mehr als 700.000 Menschen hatten in einer Online-Petition „Freiheit für Valérie Bacot“gefordert.

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BILD: SN/AFP Unter großem Medienandr­ang erschien Valérie Bacot am Freitag vor Gericht.

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