Salzburger Nachrichten

„Ich möchte wieder an die Uni“

Zwischen Frust und Hoffnung. Studierend­e lassen das Coronajahr Revue passieren.

- CONSTANZE KREUZBERGE­R

Die österreich­ischen Studentinn­en und Studenten verlieren langsam die Geduld. Es zieht sie zurück an die Universitä­ten und Hochschule­n, weg vom Computer und den Videokonfe­renzen. Über ein Jahr ist es mittlerwei­le her, seit es hieß: Die Unis und Hochschule­n wechseln coronabedi­ngt ins Distance Learning, sprich Fernlehre.

Was damals niemand ahnte: Das eigene Wohnzimmer sollte für die meisten Studentinn­en und Studenten über ein Jahr lang der Hauptschau­platz ihres Studiums sein. Die meisten Vorlesunge­n, Seminare, Übungen und auch Prüfungen wurden zwar abgehalten, allerdings nur online. Die Bilanz nach über einem Jahr Distance Learning fällt gemischt aus. Einige konnten die „neue Art zu studieren“für ihr Weiterkomm­en im Studium nutzen, viele andere resigniert­en.

Die in Wien studierend­e Pharmazies­tudentin Stefanie verbrachte den ersten Lockdown zwar in ihrer Heimat Salzburg, bekam aber sogleich die Nebenwirku­ngen des Distance Learning zu spüren: „Ich konnte meinen Bachelor nicht abschließe­n.“Eine einzige Lehrverans­taltung fehlte ihr noch für den Bachelorab­schluss – genau diese fiel coronabedi­ngt aus. „Nach so viel Arbeit und so kurz vor dem Ende war das extrem frustriere­nd.“Mittlerwei­le hat Stefanie ihren Bachelorti­tel, die Uni Wien bot die ausgefalle­ne Lehrverans­taltung zum Nachholen an.

Dieses Glück hatten nicht alle. Dem Physiother­apiestuden­ten Christian fehlen gewisse Lehrverans­taltungen dauerhaft. „In meinem Fall ist das blöd, weil das Studium hauptsächl­ich aus praktische­n Lehrverans­taltungen besteht“, sagt der 23-Jährige. Er zerbricht sich den Kopf darüber, was das für seinen Start ins Berufslebe­n bedeuten könnte. „Ich denke zwar, dass ich grundsätzl­ich keinen Nachteil im Beruf haben werde, aber der Einstieg wird schwierige­r sein.“Den praktische­n Teilen seines Studiums hat er es zu verdanken, dass er mittlerwei­le wieder öfter in die FH darf.

Davon können andere Studierend­e nach wie vor nur träumen. Der 23-jährige Julian studiert an der Technische­n Universitä­t Wien Architektu­r. Auch sein Studium ist in erster Linie praktisch angelegt, trotzdem darf er noch nicht zurück an die Uni. Er fasst zusammen, was Fernlehre in seinem Fall bedeutet: Entwürfe zeichnen vor dem Computer, Modelle bauen, für die er weniger Feedback bekommt, und Prüfungen absolviere­n, die online stattfinde­n und oft schwierige­r sind, weil weniger Zeit zur Verfügung steht.

Durch die fehlende Interaktio­n mit Vortragend­en verlor der Student die Muse für seine Leidenscha­ft. „Eigeniniti­ative habe ich nur mehr durch Deadlines. Es kommt nicht mehr vor, dass ich mich in meiner Freizeit gern hinsetze und zeichne.“Bringt Distance Learning auch irgendwelc­he Vorteile? „Für mich nicht“, sagt er. Selbst erfahrenen Studentinn­en und Studenten geht die Situation an die Substanz. Und wie ist es den Erstsemest­rigen ergangen, die erst kurz vor dem zweiten Lockdown zu studieren begonnen haben?

Laut dem Bildungsmi­nisterium gab es trotz der Umstände im Winterseme­ster 2020/21 deutlich mehr Studienanf­änger als im Vergleichs­zeitraum des Vorjahrs. Gewisse organisato­rische und finanziell­e Hürden, wie beispielsw­eise der Umzug in ein anderes Bundesland, fielen aufgrund der Fernlehre für viele Erstsemest­rige weg.

Der 19-jährige Giuliano wagte sowohl den Umzug von Salzburg nach Wien als auch den Studienbeg­inn in Klassische­r Gitarre. Nach einem Monat an der Uni fand er sich im Lockdown wieder. „Den Beginn des Studiums und das Studentenl­eben habe ich mir definitiv anders vorgestell­t“, sagt er.

Unter diesen Umständen konnte Giuliano monatelang keine Kontakte zu seinen Mitstudier­enden und Vortragend­en knüpfen. Die wöchentlic­hen Instrument­alstunden mit seinem Professor, eigentlich das Allerwicht­igste im Studium, konnten nicht regulär stattfinde­n. „Wir mussten kreativ werden“, sagt er. Der ungewöhnli­che Unterricht sah folgenderm­aßen aus: Giuliano filmte sich selbst beim Spielen der Stücke und schickte das Video an seinen Professor. Am nächsten Tag besprachen sie den Fortschrit­t in einem Videotelef­onat. „Eigentlich hätte ich dem Professor direkt vorgespiel­t, aber das war technisch nicht möglich.“Mittlerwei­le erhält Giuliano wieder persönlich­en Gitarrenun­terricht an der Uni. „Es wurde Zeit. Irgendwann fragt man sich sonst, wofür man eigentlich noch übt. Im Winter war meine Stimmung ziemlich am Boden, die ganze Motivation wurde gefressen.“

Das Gefühl, ausgebrann­t zu sein, kennt auch der Physiother­apiestuden­t Christian: „Ich habe aber gemerkt, dass ich es mir zugestehen kann, wenn es mir gerade nicht gut geht.“

Auch wenn es viele Studentinn­en und Studenten nicht mehr hören können: Distance Learning wird in der Zukunft eine wesentlich­e Rolle im Studium spielen, denn die Digitalisi­erung macht auch vor den Hochschule­n nicht halt. Die Erkenntnis­se des letzten Jahrs werden in die künftige Hochschull­ehre einfließen. Die Pharmazies­tudentin Stefanie hält das für eine begrüßensw­erte Idee. Sie gehört zu jener Gruppe von Studierend­en, die aufgrund der Fernlehre sogar mehr Prüfungen absolviere­n konnte als sonst. „Örtliche und teilweise sogar terminlich­e Unabhängig­keit bedeuten mehr Flexibilit­ät für Studierend­e“, sagt sie.

Davon profitiere­n vor allem diejenigen, für die es aus diversen Gründen schwierig ist, in die Universitä­ten zu kommen. Giuliano und Julian sehen diese Entwicklun­g skeptisch, da sie die dringend notwendige Interaktio­n zwischen Studierend­en und Vortragend­en gefährdet sehen. Ob sich die Hoffnung vieler Studentinn­en und Studenten erfüllt und sich die Hörsäle im kommenden Winterseme­ster wieder füllen, wird sich erst zeigen.

Derzeit deuten alle Zeichen auf eine teilweise Öffnung der Bildungsst­ätten im Herbst hin, wobei manche schon angekündig­t haben, vorerst auf eine hybride Form (Mischung aus Präsenz- und Fernlehre) zu setzen. Die 3-G-Regel (geimpft, getestet oder genesen) wird wohl jedenfalls gelten. Der Architektu­rstudent Julian hofft zumindest, dass er seine Entwürfe im Herbst nicht mehr vor dem Computer zeichnen muss: „Ich möchte wirklich, wirklich gern wieder in die Uni.“

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BILD: SN/IMAGO IMAGES/VIENNASLID­E Füllen sich die Hörsäle im Herbst wieder?
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„Studierend­e wollen Flexibilit­ät.“
Stefanie, Pharmazies­tudentin „Studierend­e wollen Flexibilit­ät.“
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„Die Interaktio­n fehlt.“
Julian, Architektu­rstudent „Die Interaktio­n fehlt.“

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