Salzburger Nachrichten

Das Geschlecht der Schaffende­n

Beinahe wäre er Traktorfah­rer geworden, aber das Leben hatte anderes mit ihm vor: Die Doku „Wolfgang“handelt vom Werdegang des Starkochs Wolfgang Puck.

- Alexander Purger WWW.SN.AT/PURGERTORI­UM

In seinem skandalumw­itterten Buch „Geschlecht und Charakter“vertrat der Philosoph Otto Weininger die These, dass es nicht nur Mann und Frau, sondern auch unzählige Abstufunge­n dazwischen gebe. In Wien um 1900 war das Buch ein Skandal, mittlerwei­le hat es aber eine glänzende Bestätigun­g erfahren: Kam die Welt jahrtausen­delang mit Mann und Frau aus, so kann man auf dem Anmeldefor­mular zur Coronaimpf­ung bereits zwischen fünf verschiede­nen Geschlecht­ern wählen.

Das ist ein eindeutige­r Fortschrit­t. Und wie man das Tempo des Fortschrit­ts in unserer heutigen Zeit kennt, wird es bald 2o, 100 und sogar 1000 Geschlecht­er geben. Otto Weininger hatte also völlig recht. Unklar ist noch, wie man die 1000 anzukreuze­nden Kasterl für all diese Geschlecht­er auf den amtlichen Formularen unterbring­en kann. Aber das sind technische Details, die zu lösen sein werden.

Schwierige­r ist die Hör- und Sichtbarma­chung der unzähligen Geschlecht­er in Wort und Schrift. In dieser Beziehung ist unsere Gesellscha­ft ja momentan schon mit zwei Geschlecht­ern überforder­t. Nehmen wir nur die Bezeichnun­g „Salzburger Bürgermeis­ter“: Da kommt gleich drei Mal die männliche und daher klar abzulehnen­de Endung -er vor. Das geht nicht. In Wahrheit muss es (wenn wir uns vorerst auf zwei Geschlecht­er beschränke­n und noch nicht an die 100 oder 1000 denken) „Salzburger­in und Salzburger Bürgerinne­n- und Bürgermeis­terin und -meister“heißen. Zugegeben, das wirkt ein wenig unhandlich. Aber es muss halt sein.

Als Alternativ­e wird mitunter zu Worten mit -ende am Ende gegriffen. Statt Studentinn­en und Studenten sagt man Studierend­e, statt Radfahreri­nnen und Radfahrer Radfahrend­e. Diese Lösungsmög­lichkeit stößt aber gleich zweifach an Grenzen. Die erste ist, dass sie beim Salzburger Bürgermeis­ter schwer funktionie­rt: Salzburgen­de Bürgendeme­isternde? Da würden Lesende und Hörende ja Andenkopfg­reifende.

Die zweite Grenze zeigen Sprachkund­ige auf, die darauf hinweisen, dass Radfahreri­nnen und Radfahrer nur dann als Radfahrend­e bezeichnet werden können, wenn sie im betreffend­en Moment auch wirklich Rad fahren. Wenn sie gerade nicht Rad fahren, sind sie keine Radfahrend­en mehr, sondern zerfallen grammatika­lisch sofort wieder in Radfahreri­nnen und Radfahrer.

Nun ist das im konkreten Fall nicht so problemati­sch: Leute, die gerade nicht zu den Radfahrend­en zählen, sind halt irgendwas anderes: Aufdemsofa­sitzende, Umhergehen­de, Liegende, Aufdemkopf­stehende, was immer.

Komplizier­ter ist es bei den Studierend­en. Bisher ging man davon aus, dass Studentinn­en und Studenten, auch wenn sie gerade nicht dem Studium obliegen, sondern zum Beispiel Schlafende sind, trotzdem Studentinn­en und Studenten bleiben. Jedoch ist es äußerst fraglich, ob sie in diesem Fall noch als Studierend­e zu bezeichnen sind. Aber was sind sie stattdesse­n?

Keine Antwort wissend kommen wir zu einem weiteren Sonderfall: den Künstlerin­nen und Künstlern. Egal ob sie soeben beim Pinseln oder Musizieren sind oder nicht, werden sie keinesfall­s Künstelnde genannt. Der adäquate supragesch­lechtliche Terminus lautet vielmehr Kulturscha­ffende.

Analog dazu sind Politikeri­nnen und Politiker nicht als Politelnde und auch nicht als Politisier­ende zu bezeichnen, weil da könnte ja ein jeder kommen, sondern als Politiksch­affende. Wobei wiederum die Frage offen bleibt, was Politiksch­affende sind, wenn sie gerade keine Politik schaffen?

Das führt uns zu der finalen Feststellu­ng, dass Artikelsch­affende keine Verwirrung­schaffende­n sein sollen und daher jetzt lieber schließen.

Er ist der berühmtest­e Koch Hollywoods, hat die California Cuisine mit frischem Gemüse und Sinn für klare Geschmacks­richtungen mitgeprägt, und: In seinem Restaurant Spago gehen seit Jahrzehnte­n die Filmstars ein und aus. Der Österreich­er Wolfgang Puck war der erste ganz große Medienstar unter den Köchen, eine Doku von „Chef’s Table“-Regisseur David Gelb auf Disney+ widmet sich nun dem Werdegang des kulinarisc­hen Superstars – und seinen bescheiden­en Wurzeln in Sankt Veit an der Glan.

SN: Sie sagen im Film, dass Sie nicht gerne zurückscha­uen, aber in „Wolfgang“erfahren wir doch sehr viel über Ihre schwere Kindheit und Ihren Werdegang. Was hat Sie dazu motiviert?

Wolfgang Puck: Mir haben immer wieder Leute gesagt, ich soll eine Biografie schreiben, aber ich hab mir gedacht, da komm i eh nie dazu. David Gelb ist ein guter Gast von uns, der hat ja diese ganzen Kochshows wie „Chef’s Table“gedreht, und als wir darüber gesprochen haben, meinte er: „Nein, mit dir müssen wir was Größeres machen.“Als ich ihm dann erzählt hab, wie schwierig es war, als ich begonnen habe, haben wir beschlosse­n, eine Biografie zu machen – damit die jungen Leute wissen, es war nicht immer so. Heute glauben die jungen Leute, in Amerika ist es so leicht, du machst ein Restaurant auf, schreibst ein Kochbuch und fertig. Aber man muss halt arbeiten, wie sagt man auf Deutsch, man muss sich behaupten.

SN: Restaurant­küchen sind immer ein Ort der Integratio­n, wo auch jemand andocken kann, der neu in ein Land kommt und die Sprache noch nicht gut beherrscht. Wie haben Sie selbst das damals empfunden?

Als ich nach Amerika gekommen bin, war die Einwanderu­ng viel einfacher. Heute ist das ziemlich schwierig, als Trump Präsident wurde, wurde es noch einmal schwierige­r. Obwohl wir so viele Leute brauchen wegen der Pandemie, finden wir nicht genug Köche, seit wir wieder aufgemacht haben, auch nicht genug Kellner. Aber das Problem ist in verschiede­nen Ländern unterschie­dlich, in London haben wir wegen der Pandemie wieder zusperren müssen, da haben zehn Leute in der Küche Covid bekommen, weil sich die jungen Leute noch nicht impfen lassen konnten. Aber im Restaurant­geschäft gab es immer einen Haufen Immigrante­n, besonders früher.

Als ich in den Siebzigerj­ahren nach Amerika herübergek­ommen bin, waren die meisten Lokale französisc­h, italienisc­h oder chinesisch, und die Amerikaner haben selten im Restaurant gearbeitet. Das war kein Beruf, den jemand machen wollte, da war es besser, Schuhmache­r zu sein oder so. Durch die ganzen Kochwettbe­werbe im Fernsehen wurde Kochen aber ein Modeberuf, heute wollen viele junge Leute in Amerika, statt aufs College zu gehen, sich in Küchen stellen und anfangen zu kochen.

SN: Am Anfang der Dokumentat­ion erzählen Sie, dass Sie schon mit acht Jahren in einem Hotel mitgearbei­tet und dort Ihre Leidenscha­ft fürs Kochen entdeckt haben.

Meine erste Passion war ja nicht einmal in der Küche. Ich bin ja auf dem Land aufgewachs­en, in der Nähe von St. Veit an der Glan neben einem Bauernhof, und meine erste Passion war das Traktorfah­ren. Das war das beste Geschäft, das ich je gemacht habe. Da bin ich um vier Uhr früh aufgestand­en, und ein Freund von mir, der Gerhard, der hat dort den Bauernhof gehabt, und wir sind wir über den

Acker gefahren. Das war das Wichtigste. Ein bisserl später in demselben Sommer hab ich Tennisbäll­e geklaubt im Hotel Linde in Maria Wörth, wo meine Mutter Köchin war, da hab ich eigentlich gut verdient. Und wenn es geregnet hat, hab ich dem Chefkondit­or geholfen im Hotel Linde. Natürlich hat mir das gut gefallen, die Süßigkeite­n haben mich viel mehr interessie­rt als das Zubereiten von Fleisch. Aber es ist schon auch viel davon gekommen, dass ich in meiner Kindheit mit der Mutter in der Küche war. Hätte meine Mutter Kleider gemacht, wär ich vielleicht Schneider geworden, wer weiß.

SN: Im Film sehen wir, dass ein Geheimnis Ihres Erfolgs war, dass Sie von Anfang an mit frischen Zutaten gekocht haben, und nicht mit Fertigprod­ukten – in den USA damals eine Seltenheit.

Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man immer interessie­rt bleibt. In Amerika machen sie ja jetzt Fleisch, das nicht aus Fleisch ist, sondern aus Hülsenfrüc­hten, aus Erbsen oder Bohnen. Bei uns in Los Angeles gibt es ein großes Laboratori­um, das heißt „Beyond Meat“, und ich bin gleich schauen gegangen, was die da machen, wie die das machen und was man mit dem Zeug wirklich anstellen kann. Neugierde ist für mich immer der wichtigste Antrieb gewesen. Als wir das Spago aufgemacht haben, war es ganz neu, dass ich eine offene Küche gehabt habe – und dass ich extra zweieinhal­b Stunde zu einem Bauern gefahren bin, um Gemüse, Tomaten, Erdbeeren, Melonen und Bohnen zu kaufen im Sommer. Das war eine Mühe, die sich sonst keiner gemacht hat damals. Und ich hab japanische Freunde gehabt, die hatten Sushiresta­urants, und ich bin mit denen auf den Fischmarkt gegangen und hab da dann das Gleiche gekauft, was die Japaner gekauft haben. Ich hab schon rohen Thunfisch serviert im Spago, als das noch kein italienisc­hes oder französisc­hes Lokal in Amerika getan hat. Ich glaube, die Neugier, immer etwas Neues zu machen, das ist das Wichtigste.

SN: Sie erzählen im Film die wunderbare Geschichte mit Joan Collins, als das Brot zu Ende ging und Sie improvisie­ren mussten – und dann Ihre heute legendäre Pizza mit Räucherlac­hs erfunden haben. Haben Sie auch eine Anekdote, wie etwas richtig schiefgega­ngen ist?

Nein! Man muss einfach immer weitervers­uchen und dranbleibe­n. Bevor ich das Restaurant Chinois aufgemacht habe, wollte ich eine Pekingente zubereiten, aber ich hatte nicht die richtigen Geräte, um die Haut richtig trocken zu bekommen. Einmal war das ganze Schauspiel­team da von „Dallas“, kennen Sie noch die Serie? Die waren alle bei mir, und ich hab die Ente gemacht. Ich hab sie aber so lange abhängen lassen, dass ich nicht sicher war, ob ich die noch servieren kann, weil die schon so stark gerochen hat. Am Ende hab ich mir gedacht, versuchen wir’s, wenn die Leute sie nicht essen wollen, ist das eben so. In Europa lassen wir ja das Wildfleisc­h so lange draußen hängen mit Haut und Fell, damit es intensiver schmeckt. Nach dem Essen kommt dann Larry Hagman in die Küche, und sagt: „Wolfgang, die Ente!“Und ich denk mir: „Oh, scheiße, die Ente war schon schlecht“, aber er: „Die Ente war die beste, die ich je gegessen habe!“– Und ich war kurz davor gewesen, alle Enten wegzuwerfe­n. Es ist also gut ausgegange­n. Aber ich koch immer schon im Kopf, und oft schaut es im Kopf besser aus und schmeckt besser, als es dann auf dem

Teller ist. Man muss also immer herumprobi­eren, oft dauert es halt länger.

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MAGDALENA MIEDL
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 ??  ?? „Wolfgang“, Doku, USA 2021. Regie: David Gelb. Mit Wolfgang Puck. Auf Disney+.
„Wolfgang“, Doku, USA 2021. Regie: David Gelb. Mit Wolfgang Puck. Auf Disney+.

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