Das Geschlecht der Schaffenden
Beinahe wäre er Traktorfahrer geworden, aber das Leben hatte anderes mit ihm vor: Die Doku „Wolfgang“handelt vom Werdegang des Starkochs Wolfgang Puck.
In seinem skandalumwitterten Buch „Geschlecht und Charakter“vertrat der Philosoph Otto Weininger die These, dass es nicht nur Mann und Frau, sondern auch unzählige Abstufungen dazwischen gebe. In Wien um 1900 war das Buch ein Skandal, mittlerweile hat es aber eine glänzende Bestätigung erfahren: Kam die Welt jahrtausendelang mit Mann und Frau aus, so kann man auf dem Anmeldeformular zur Coronaimpfung bereits zwischen fünf verschiedenen Geschlechtern wählen.
Das ist ein eindeutiger Fortschritt. Und wie man das Tempo des Fortschritts in unserer heutigen Zeit kennt, wird es bald 2o, 100 und sogar 1000 Geschlechter geben. Otto Weininger hatte also völlig recht. Unklar ist noch, wie man die 1000 anzukreuzenden Kasterl für all diese Geschlechter auf den amtlichen Formularen unterbringen kann. Aber das sind technische Details, die zu lösen sein werden.
Schwieriger ist die Hör- und Sichtbarmachung der unzähligen Geschlechter in Wort und Schrift. In dieser Beziehung ist unsere Gesellschaft ja momentan schon mit zwei Geschlechtern überfordert. Nehmen wir nur die Bezeichnung „Salzburger Bürgermeister“: Da kommt gleich drei Mal die männliche und daher klar abzulehnende Endung -er vor. Das geht nicht. In Wahrheit muss es (wenn wir uns vorerst auf zwei Geschlechter beschränken und noch nicht an die 100 oder 1000 denken) „Salzburgerin und Salzburger Bürgerinnen- und Bürgermeisterin und -meister“heißen. Zugegeben, das wirkt ein wenig unhandlich. Aber es muss halt sein.
Als Alternative wird mitunter zu Worten mit -ende am Ende gegriffen. Statt Studentinnen und Studenten sagt man Studierende, statt Radfahrerinnen und Radfahrer Radfahrende. Diese Lösungsmöglichkeit stößt aber gleich zweifach an Grenzen. Die erste ist, dass sie beim Salzburger Bürgermeister schwer funktioniert: Salzburgende Bürgendemeisternde? Da würden Lesende und Hörende ja Andenkopfgreifende.
Die zweite Grenze zeigen Sprachkundige auf, die darauf hinweisen, dass Radfahrerinnen und Radfahrer nur dann als Radfahrende bezeichnet werden können, wenn sie im betreffenden Moment auch wirklich Rad fahren. Wenn sie gerade nicht Rad fahren, sind sie keine Radfahrenden mehr, sondern zerfallen grammatikalisch sofort wieder in Radfahrerinnen und Radfahrer.
Nun ist das im konkreten Fall nicht so problematisch: Leute, die gerade nicht zu den Radfahrenden zählen, sind halt irgendwas anderes: Aufdemsofasitzende, Umhergehende, Liegende, Aufdemkopfstehende, was immer.
Komplizierter ist es bei den Studierenden. Bisher ging man davon aus, dass Studentinnen und Studenten, auch wenn sie gerade nicht dem Studium obliegen, sondern zum Beispiel Schlafende sind, trotzdem Studentinnen und Studenten bleiben. Jedoch ist es äußerst fraglich, ob sie in diesem Fall noch als Studierende zu bezeichnen sind. Aber was sind sie stattdessen?
Keine Antwort wissend kommen wir zu einem weiteren Sonderfall: den Künstlerinnen und Künstlern. Egal ob sie soeben beim Pinseln oder Musizieren sind oder nicht, werden sie keinesfalls Künstelnde genannt. Der adäquate suprageschlechtliche Terminus lautet vielmehr Kulturschaffende.
Analog dazu sind Politikerinnen und Politiker nicht als Politelnde und auch nicht als Politisierende zu bezeichnen, weil da könnte ja ein jeder kommen, sondern als Politikschaffende. Wobei wiederum die Frage offen bleibt, was Politikschaffende sind, wenn sie gerade keine Politik schaffen?
Das führt uns zu der finalen Feststellung, dass Artikelschaffende keine Verwirrungschaffenden sein sollen und daher jetzt lieber schließen.
Er ist der berühmteste Koch Hollywoods, hat die California Cuisine mit frischem Gemüse und Sinn für klare Geschmacksrichtungen mitgeprägt, und: In seinem Restaurant Spago gehen seit Jahrzehnten die Filmstars ein und aus. Der Österreicher Wolfgang Puck war der erste ganz große Medienstar unter den Köchen, eine Doku von „Chef’s Table“-Regisseur David Gelb auf Disney+ widmet sich nun dem Werdegang des kulinarischen Superstars – und seinen bescheidenen Wurzeln in Sankt Veit an der Glan.
SN: Sie sagen im Film, dass Sie nicht gerne zurückschauen, aber in „Wolfgang“erfahren wir doch sehr viel über Ihre schwere Kindheit und Ihren Werdegang. Was hat Sie dazu motiviert?
Wolfgang Puck: Mir haben immer wieder Leute gesagt, ich soll eine Biografie schreiben, aber ich hab mir gedacht, da komm i eh nie dazu. David Gelb ist ein guter Gast von uns, der hat ja diese ganzen Kochshows wie „Chef’s Table“gedreht, und als wir darüber gesprochen haben, meinte er: „Nein, mit dir müssen wir was Größeres machen.“Als ich ihm dann erzählt hab, wie schwierig es war, als ich begonnen habe, haben wir beschlossen, eine Biografie zu machen – damit die jungen Leute wissen, es war nicht immer so. Heute glauben die jungen Leute, in Amerika ist es so leicht, du machst ein Restaurant auf, schreibst ein Kochbuch und fertig. Aber man muss halt arbeiten, wie sagt man auf Deutsch, man muss sich behaupten.
SN: Restaurantküchen sind immer ein Ort der Integration, wo auch jemand andocken kann, der neu in ein Land kommt und die Sprache noch nicht gut beherrscht. Wie haben Sie selbst das damals empfunden?
Als ich nach Amerika gekommen bin, war die Einwanderung viel einfacher. Heute ist das ziemlich schwierig, als Trump Präsident wurde, wurde es noch einmal schwieriger. Obwohl wir so viele Leute brauchen wegen der Pandemie, finden wir nicht genug Köche, seit wir wieder aufgemacht haben, auch nicht genug Kellner. Aber das Problem ist in verschiedenen Ländern unterschiedlich, in London haben wir wegen der Pandemie wieder zusperren müssen, da haben zehn Leute in der Küche Covid bekommen, weil sich die jungen Leute noch nicht impfen lassen konnten. Aber im Restaurantgeschäft gab es immer einen Haufen Immigranten, besonders früher.
Als ich in den Siebzigerjahren nach Amerika herübergekommen bin, waren die meisten Lokale französisch, italienisch oder chinesisch, und die Amerikaner haben selten im Restaurant gearbeitet. Das war kein Beruf, den jemand machen wollte, da war es besser, Schuhmacher zu sein oder so. Durch die ganzen Kochwettbewerbe im Fernsehen wurde Kochen aber ein Modeberuf, heute wollen viele junge Leute in Amerika, statt aufs College zu gehen, sich in Küchen stellen und anfangen zu kochen.
SN: Am Anfang der Dokumentation erzählen Sie, dass Sie schon mit acht Jahren in einem Hotel mitgearbeitet und dort Ihre Leidenschaft fürs Kochen entdeckt haben.
Meine erste Passion war ja nicht einmal in der Küche. Ich bin ja auf dem Land aufgewachsen, in der Nähe von St. Veit an der Glan neben einem Bauernhof, und meine erste Passion war das Traktorfahren. Das war das beste Geschäft, das ich je gemacht habe. Da bin ich um vier Uhr früh aufgestanden, und ein Freund von mir, der Gerhard, der hat dort den Bauernhof gehabt, und wir sind wir über den
Acker gefahren. Das war das Wichtigste. Ein bisserl später in demselben Sommer hab ich Tennisbälle geklaubt im Hotel Linde in Maria Wörth, wo meine Mutter Köchin war, da hab ich eigentlich gut verdient. Und wenn es geregnet hat, hab ich dem Chefkonditor geholfen im Hotel Linde. Natürlich hat mir das gut gefallen, die Süßigkeiten haben mich viel mehr interessiert als das Zubereiten von Fleisch. Aber es ist schon auch viel davon gekommen, dass ich in meiner Kindheit mit der Mutter in der Küche war. Hätte meine Mutter Kleider gemacht, wär ich vielleicht Schneider geworden, wer weiß.
SN: Im Film sehen wir, dass ein Geheimnis Ihres Erfolgs war, dass Sie von Anfang an mit frischen Zutaten gekocht haben, und nicht mit Fertigprodukten – in den USA damals eine Seltenheit.
Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man immer interessiert bleibt. In Amerika machen sie ja jetzt Fleisch, das nicht aus Fleisch ist, sondern aus Hülsenfrüchten, aus Erbsen oder Bohnen. Bei uns in Los Angeles gibt es ein großes Laboratorium, das heißt „Beyond Meat“, und ich bin gleich schauen gegangen, was die da machen, wie die das machen und was man mit dem Zeug wirklich anstellen kann. Neugierde ist für mich immer der wichtigste Antrieb gewesen. Als wir das Spago aufgemacht haben, war es ganz neu, dass ich eine offene Küche gehabt habe – und dass ich extra zweieinhalb Stunde zu einem Bauern gefahren bin, um Gemüse, Tomaten, Erdbeeren, Melonen und Bohnen zu kaufen im Sommer. Das war eine Mühe, die sich sonst keiner gemacht hat damals. Und ich hab japanische Freunde gehabt, die hatten Sushirestaurants, und ich bin mit denen auf den Fischmarkt gegangen und hab da dann das Gleiche gekauft, was die Japaner gekauft haben. Ich hab schon rohen Thunfisch serviert im Spago, als das noch kein italienisches oder französisches Lokal in Amerika getan hat. Ich glaube, die Neugier, immer etwas Neues zu machen, das ist das Wichtigste.
SN: Sie erzählen im Film die wunderbare Geschichte mit Joan Collins, als das Brot zu Ende ging und Sie improvisieren mussten – und dann Ihre heute legendäre Pizza mit Räucherlachs erfunden haben. Haben Sie auch eine Anekdote, wie etwas richtig schiefgegangen ist?
Nein! Man muss einfach immer weiterversuchen und dranbleiben. Bevor ich das Restaurant Chinois aufgemacht habe, wollte ich eine Pekingente zubereiten, aber ich hatte nicht die richtigen Geräte, um die Haut richtig trocken zu bekommen. Einmal war das ganze Schauspielteam da von „Dallas“, kennen Sie noch die Serie? Die waren alle bei mir, und ich hab die Ente gemacht. Ich hab sie aber so lange abhängen lassen, dass ich nicht sicher war, ob ich die noch servieren kann, weil die schon so stark gerochen hat. Am Ende hab ich mir gedacht, versuchen wir’s, wenn die Leute sie nicht essen wollen, ist das eben so. In Europa lassen wir ja das Wildfleisch so lange draußen hängen mit Haut und Fell, damit es intensiver schmeckt. Nach dem Essen kommt dann Larry Hagman in die Küche, und sagt: „Wolfgang, die Ente!“Und ich denk mir: „Oh, scheiße, die Ente war schon schlecht“, aber er: „Die Ente war die beste, die ich je gegessen habe!“– Und ich war kurz davor gewesen, alle Enten wegzuwerfen. Es ist also gut ausgegangen. Aber ich koch immer schon im Kopf, und oft schaut es im Kopf besser aus und schmeckt besser, als es dann auf dem
Teller ist. Man muss also immer herumprobieren, oft dauert es halt länger.