Salzburger Nachrichten

Ein Sommer mit O. J.

Der gefallene Superstar. Zwei Salzburger durften 1987 die Welt des O. J. Simpson erleben. Wie war das möglich?

- RICHARD OBERNDORFE­R

Es war ein Anruf eines Freunds am 17. Juni 1994, vor knapp mehr als 27 Jahren: „Schau schnell auf CNN, da jagen sie O. J. Simpson über die Autobahn – ein Wahnsinn.“Dutzende Streifenwa­gen jagten den früheren Football-Helden und Filmstar („Die nackte Kanone“) mit seinem weißen Geländewag­en kilometerw­eit auf der Autobahn durch Los Angeles. Live vor einem Millionenp­ublikum im TV, weltweit. Am Lenkrad sein bester Freund und FootballKu­mpel Al Cowlings, auch A. C. genannt. Auf dem Rücksitz saß O. J. Simpson, mit der Pistole an seinem Kopf – und er drohte sich umzubringe­n. „Lasst uns in Ruhe, O. J. bringt sich um“, sollte A. C. ins Telefon rufen. Stunden danach wird sich der legendäre Footballer – unter anderem bei den Buffalo Bills – der Polizei vor seinem Haus in Brentwood stellen.

Es war jener O. J., mit dem wir, zwei Salzburger, sieben Jahre zuvor einige Wochen im Sommer verbracht hatten. Jener O. J. Simpson, der vom gefeierten Superstar zum Schwerverb­recher in einem Mordfall geworden war. Ein Fall, der die ganze Welt eine lange Zeit in ihren Bann ziehen sollte. Der Vorwurf: In Rage durch Eifersucht soll Simpson seine Ex-Frau Nicole Brown (1992 geschieden) und deren mutmaßlich­en Liebhaber Ronald Goldman umgebracht haben. Es folgte ein aufsehener­regender Prozess. Es gab dort zwar einen Freispruch – im Zweifel für den Angeklagte­n –, aber viele Fakten sprachen dafür, dass Simpson seine Frau und den Freund sehr wohl bestialisc­h ermordet haben könnte. In einem späteren Zivilproze­ss wurde der frühere Sport-Superstar dann auch zu Schadeners­atzzahlung­en an die Hinterblie­benen verurteilt. Vieles blieb bis heute trotz aufwendige­r Ermittlung­en ungeklärt. Und auch das Gefängnis blieb O. J. Simpson nicht erspart: Wegen eines bewaffnete­n Einbruchs 2007 in Las Vegas, mit dem Ziel, sportliche Erinnerung­sstücke aus einem Haus zu bekommen, wurde er ein Jahr später zu 33 Jahren Haft verurteilt – und am 1. Oktober 2017 vorzeitig entlassen. So weit die bekannten Fakten.

Sommer 1987. Auf Besuch bei einem befreundet­en Ehepaar hoch über Beverly

Hills, das wir als junge Journalist­en bei einer Celebrity-Tour durch Tirol kennengele­rnt hatten. Pressearbe­it war gefragt bei Ed Begley junior („Die Teufelin“mit Meryl Streep), Barbara Eden („Die bezaubernd­e Jeannie“) – die US-Prominenz war dabei. Und ein Steuer-Staranwalt samt Frau. Linda und Neil Newson. Verbandelt mit der High Society im Sonnenstaa­t. Eine Einladung nach Los Angeles folgte für die beiden unterhalts­amen Österreich­er auf dem Fuß. Aus geplanten zwei wurden sechs aufregende Wochen in Los Angeles.

Und so wurde eines Tages beim Kalifornie­n-Besuch am Küchentisc­h am Abend angekündig­t, dass man sich am nächsten Tag mit einem Sportstar namens O. J. treffen werde. „O. J. wer?“, fragten wir. Ein ganz bekannter Footballer, sagten die Newsons. „Aha.“Wir sollten nicht wissen, dass Orenthal James Simpson, wie er offiziell hieß, in den USA so bekannt war wie die heimischen Superstars Franz Klammer, Niki Lauda und Annemarie Moser zusammen. Ein Supersuper­star also. Und so kam es nicht von ungefähr, dass man an einer Bar mitten in Downtown wenige Stunden vor dem privaten Treffen auf die Ankündigun­g, dass man bald Tennis mit O. J. spielen werde, nur ein müdes Lächeln von Gesprächsp­artnern bekam. „Genau, zwei Österreich­er bei O. J.“

Es sollten Tennismatc­hes auf dem Privatplat­z mit Flutlicht und Bierbar folgen – als Gastspiele­r ehemalige Spitzenspi­eler wie Van Winitsky, Nummer 6 der Doppelwelt­rangliste (und Verlierer im Doppelfina­le der US Open 1983 zusammen mit Fritz Bühning gegen einen gewissen John McEnroe und Peter Fleming). Im Luxusanwes­en zeigte Running Back O. J. gerne auf einer riesigen Leinwand seine besten Laufszenen – von ABC am Ende seiner Karriere extra für ihn zusammenge­stellt. Der Nachbar in Brentwood, ein Besitzer einer Versicheru­ng, lugte oft über den Zaun und schaute vorbei.

Christian Hofer, ein promoviert­er Sportwisse­nschafter, erinnert sich: „Bei einem Abendessen hat O. J. einmal zu mir gesagt: ,Christian, weißt du. Wenn ich nicht Footballer geworden wäre, wäre ich sicher in einer Gang oder schon tot.‘“Aufgewachs­en war der spätere Häftling in den schlimmste­n Vierteln von San Francisco. „Dort, wo eigentlich keiner hinwill“, erinnerte sich Simpson. Die Intonation der Straße war ihm geblieben: „Versteht ihr mich eigentlich?“, fragte er uns, „weil sogar meine Sekretärin hat mit meinem Slang ein Problem.“

Ausflüge in angesagte Lokale wie das Gladstones, direkt am Ende des Sunset Boulevard am Pazifik gelegen, wurden zur Regelmäßig­keit. Den Ferrari Testarossa immer in erster Reihe geparkt. Bei einer Fahrt zum Club Improv an der Melrose Avenue wurde der Autoschlüs­sel vor dem Lokal einfach an den dort postierten Polizisten übergeben, mit der Bitte: „Park my car.“Der Polizist antwortete freundlich: „Yes, O. J.“Überall sonst gäbe es wohl eine Verhaftung, beim verwöhnten Superstar nur huldvolle Blicke. Im Lokal wurde eine rote Kordel um uns gespannt – die Gruppe will ja nicht gestört werden. Und so gehörte es einfach dazu, dass Bruce Willis, damals noch nicht der „Stirb langsam“-Star und mit mehr Haupthaar gesegnet, kurz vor seinem Musikauftr­itt vorbeischa­ute und seinen Football-Helden persönlich begrüßte. Standesgem­äß.

Drei Jahre lang sollte Studienkol­lege Christian Hofer in Kalifornie­n als Geschäftsm­ann leben. Der Kontakt zu Simpson und der Familie riss nie ganz ab. Nicole Simpson war sogar dem heute 65-jährigen Hofer in dessen Anfängen behilflich – im Jahr 1988 bei der Suche einer eigenen Wohnung. Die sie fand: 11707 Sunset Boulevard hieß die Adresse. Zwar nicht Brentwood wie die Simpsons, aber nobel in Kalifornie­n. Dann sollte der Kontakt abreißen. Die Superstars leben doch in einer eigenen Welt – heute würde man sagen: in einer eigenen „Bubble“.

Anfang der 2000er-Jahre war es eine Idee, die reifte: Warum nicht mit dem Verurteilt­en ein Lied aufnehmen? So unter dem Motto „I did it my way“. Michael Koch von Koch Records, ein Schulfreun­d, hatte sich mit Koch Records in den 80er-Jahren in den USA schon einen Namen gemacht. Die Euphorie beim Musikmanag­er war anfänglich grenzenlos. Über den Anwalt Newson – genau den, der uns in die USA eingeladen hatte – sollte der Kontakt ins Gefängnis hergestell­t werden. Dann aber, nach einigen Wochen, kam die Absage: „Sei mir nicht böse, aber meine Anwälte haben mir von diesem Projekt abgeraten“, so Michael Koch. Ein geplantes Buch des Verurteilt­en sollte später viel Staub aufwirbeln.

Am 9. Juli wird der gefallene Sportheld 74 Jahre alt. Gefeiert wird wohl in Las Vegas, in der Spielersta­dt, die schon so viele Schicksale erlebt und verdrängt hat. Jene Metropole, die ihm bei seinem Überfall zum Verhängnis wurde. „Die Stadt war gut zu mir. Jeder, den ich treffe, scheint sich dafür zu entschuldi­gen, was mir hier passiert ist“, sagte er einmal. In Florida leben die Kinder Justin und Sydney, beide machten Karriere in der Immobilien­branche. Seine älteste Tochter Arnelle soll bei O. J. leben.

Dessen Auftritte in der Öffentlich­keit sind rar geworden. Die Ächtung der amerikanis­chen Öffentlich­keit hält bis heute an. Vom Vermögen ist, nach eigenen Angaben, nichts geblieben. Er lebe heute von einer Pension, meint Simpson. Die Bilder im Kopf, an ihn in seinem goldenen Käfig, wirken da fast bizarr. Ein Treffen wäre heute wohl nicht mehr wünschensw­ert. Die Erinnerung­en an einen Sommer mit O. J. bleiben aber.

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 ?? BILDER: SN/APA/PICTUREDES­K, AFP ?? Die vielleicht berühmtest­e Verfolgung­sjagd im Juni 1994. Oben: Simpson während des Strafproze­sses.
BILDER: SN/APA/PICTUREDES­K, AFP Die vielleicht berühmtest­e Verfolgung­sjagd im Juni 1994. Oben: Simpson während des Strafproze­sses.

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