Friedhofsunruhe
Vor exakt 70 Jahren erschien William Faulkners szenischer Roman „Requiem für eine Nonne“. Und vor genau 40 Jahren setzte ich ein Zitat daraus (in Christa Wolfs Variante aus ihrem Roman „Kindheitsmuster“) in einem Buch erstmals als Motto vor eine Kindheitserinnerung an meinen Heimatort Lend. Ein Motto, das auch heute wieder passt: „Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist nicht einmal vergangen.“
Längst aus Lend weggezogen, bin ich mit dem Ort gedanklich über meine Erinnerungen und real vor allem über seinen Friedhof verbunden, in dem sich das Grab meiner 1973 verstorbenen Eltern befindet.
2018 war ich auch dabei, als auf lobenswerte Initiative der Gemeinde Lend an der Mauer des Urnenfriedhofs eine Gedenktafel für den kommunistischen Widerstandskämpfer Josef Scherleitner angebracht wurde. Der gelernte Tischler Scherleitner kam über die SPÖ zur KPÖ und wurde wegen Widerstandsaktivitäten und der Weitergabe
NS-kritischer Flugschriften vom NaziUnrechtsstaat zum Tode verurteilt und am 30. April 1943 mit 32 Jahren in MünchenStadlheim durch das Fallbeil ermordet.
2018 wurde mit einer in der Lendner Ortskirche angebrachten Gedenktafel auch an den Priester und Nazi-Gegner Kaspar
Feld erinnert, der die Gestapo-Haft und das Konzentrationslager Dachau glücklicherweise knapp überlebte.
Umso bitterer ist es, dass es gerade einem seiner Nachfolger als Ortspfarrer, Josef Tomaschek, vorbehalten blieb, noch nach dem Ende der Nazi-Terror-, Mord- und Raubherrschaft auf zutiefst beschämende Weise in deren Sinn einschlägige Aktivitäten zu setzen, die immer noch als Störung der örtlichen Friedhofsruhe empfunden werden müssen: 1949 nach Lend gekommen, erwarb der vormalige Militärpfarrer Tomaschek ein zusätzliches Grundstück, auf dem er schon 1950 einen Ehrenfriedhof (!) errichten und dafür die Leichen ehemaliger NS-Polizeiangehöriger vom St. Johanner Friedhof überführen ließ. Darunter den berüchtigten leitenden Lagerarzt aus dem KZ Auschwitz und anderer Konzentrationslager, Franz von Bodmann, über den unter anderem der Auschwitz-Überlebende Hermann Langbein Entsetzliches zu berichten wusste; so auch das eigenhändige Töten von Häftlingen mittels Phenolinjektionen. Gegen Kriegsende kam Bodmann als Truppenarzt der 5. SSPanzer-Division „Wiking“nach St. Johann – damals Markt Pongau genannt –, wo er im Polizeilazarett des Pöllnhofes am 25. Mai 1945 Suizid verübte.
Auf diesen abscheulichen, mit dem Ort Lend in keiner Verbindung stehenden Toten des Ortsfriedhofs aufmerksam gemacht wurde die Gemeinde Lend über einen Antrag der deutschen Bundestagsfraktion DIE LINKE zur Beendigung der öffentlich finanzierten Grabpflege für KZ-Kommandanten und andere NS-Verbrecher.
Tomaschek vergaß nach Kriegsende aber auch nicht auf noch lebende fanatische Nationalsozialisten wie den auf der Flucht vor drohenden Gerichtsverfahren in den Pinzgau gelangten Bildhauer Gustav Resatz. Ihm erteilte er großzügige Aufträge wie die Errichtung eines acht Meter hohen, in der Nähe meines Elterngrabs an die Kirchenmauer montierten Kriegerdenkmals. In der Stadt Salzburg empfahl eine Historikerkommission soeben die Umbenennung der Resatzstraße. Kommissionsmitglied Johannes Hofinger: „Der Bildhauer war Nationalsozialist und Rassist aus Überzeugung.“
William Faulkners Zitat hat nichts von seiner Gültigkeit verloren.
O. P. Zier