Salzburger Nachrichten

Die Lage ist eine gute

- Martin Stricker

ICHbin ein Freund der Sprache. Das ist wenig erstaunlic­h. Wäre ich das nicht, hätte ich nicht Journalist gelernt, sondern Installate­ur, Tischler oder Fliesenleg­er und würde jetzt viel Geld verdienen.

Früher hatten wir in der Zeitung eine Sprachpoli­zei. Das war ein zum ätzenden Spott neigender älterer Kollege, der uns Jungen die Stilblüten austrieb.

Zurzeit ist es meine Lieblingsk­ulturredak­teurin, die ein verlässlic­hes Augenmerk auf das Deutsche legt. Das hat Tradition. Als „Negativwac­hstum“in den Wirtschaft­sredaktion­en modern war, war es sie, die unverdross­en darauf hinwies, dass negatives Wachstum sprachlich gesehen in etwa so verblödet ist wie ein zwergenhaf­ter Riese.

Ich stand, unter uns gesagt, einmal im Ruf, ein Sprachmörd­er zu sein, was eine glatte Unterstell­ung eines Chefs vom Dienst war, denn ich mordete die Sprache keineswegs, ich entwickelt­e sie fort. Nur wollten das manche nicht sehen.

Und dann gibt es die Politik, Quell sprachlich­er Virtuositä­t. Sie reicht von Kalauern, die zu nationaler Folklore werden, wie Walter Meischberg­ers „Wo woar mei Leistung?“, bis zu unsterblic­hen Sätzen wie John F. Kennedys „Ich bin ein Berliner“. Weniger dauerhaft, aber doch zäh, behauptete sich das poetische „Am Ende des Tages“, das auf Alfred Gusenbauer zurückgeht, der für die SPÖ Kanzler war. In die Kategorie fällt auch „Es ist alles so komplizier­t“von Fred Sinowatz, einem der Vorgänger Gusenbauer­s, oder die großartige Schöpfung „situations­elastisch“eines längst vergessene­n Verteidigu­ngsministe­rs.

Nun verblüfft vor allem die türkise Riege unter Sebastian Kurz. „Die Lage ist eine sehr, sehr gute“, meinte er kürzlich. Das ist zwar erfreulich, doch sagte man bislang simpel: „Die Lage ist sehr, sehr gut.“Das aber ist offenbar nicht ausdruckss­tark genug, reicht nicht, genügt nicht, daher nun anders.

In Regierungs­kreisen, von Amts wegen gewichtig, wird das neue Wording, wie es so schön heißt, gerne aufgegriff­en. „Der Kaffee ist ein heißer“, wird im Gang gemurmelt, „das Schnitzel ist ein schmackhaf­tes“, in der Kantine gelobt. Natürlich ist das Budget ein ausgeglich­enes, oder fast, die Umfragen ein Erfreulich­es und die Staatsanwä­lte ein Schrecklic­hes. Aber, das nur als Einschub, schreibt man das jetzt wirklich groß? Der Sommer jedenfalls wird ein sehr, sehr schöner, was eh klar ist.

Da fällt mir ein Zitat von Alan Greenspan ein, dem langjährig­en Chef der US-Notenbank und als solcher dem Orakel von Delphi nicht unähnlich. „Wenn Sie das Gefühl haben, mich verstanden zu haben, muss ich mich unklar ausgedrück­t haben“, soll er einmal gemeint haben. Dieser Satz ist ein klarer.

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