Salzburger Nachrichten

Wer bremst, verliert

Moderne Pkw verursache­n beim Bremsen mehr Feinstaub als durch ihre Motoren. Grundlagen­forschung an der TU Graz soll helfen, Messgeräte für Bremsabrie­b zu entwickeln.

- FLORIAN T. MRAZEK BILD: SN/TU GRAZ/© HELMUT LUNGHAMMER

Zuerst die gute Nachricht: Die immer strengeren Abgasnorme­n und Luftschutz­gesetze führen dazu, dass moderne Verbrennun­gsmotoren immer weniger gesundheit­sgefährden­den Feinstaub emittieren. Nur leider ist das grundsätzl­iche Problem der mikroskopi­sch kleinen und extrem gesundheit­sschädlich­en Teilchen aus dem Verkehr damit nicht aus der Welt. Ganz im Gegenteil: Immer schwerere und vor allem immer mehr Fahrzeuge auf unseren Straßen sorgen dafür, dass die von Pkw und Lkw verursacht­e Feinstaubb­elastung seit Jahren weiter ansteigt. Laut Schätzunge­n ist der Anteil der sogenannte­n Nicht-Abgas-Partikelem­issionen bereits seit Einführung der Euro-6Abgasnorm im Jahr 2012 höher als jene des Feinstaubs, der aus dem Auspuff kommt. Dabei handelt es sich vorrangig um Brems- und Reifenabri­eb. Spätestens seit dem Jahr 2018, so vermuten Forscher, übersteigt allein die Menge des beim Bremsen verursacht­en Feinstaubs jene, die in Abgasen von Benzinund Dieselmoto­ren enthalten sind.

In Expertenkr­eisen herrscht weitestgeh­end Einigkeit darüber, dass die beim Bremsvorga­ng in die Luft gewirbelte­n Nanopartik­el hochtoxisc­h und somit für den Menschen potenziell krebserreg­end sind. Das Hauptprobl­em besteht vor allem darin, dass die für Scheiben und Beläge verwendete­n Elemente, darunter Kupfer, Chrom, Zinn, Magnesium, Barium oder Zirkonium, bei starken Bremsmanöv­ern chemisch miteinande­r reagieren und sich dadurch verändern. Bei Temperatur­en von bis zu 700 Grad Celsius entstehen dann flüssige, teilweise sogar gasförmige Verbindung­en, die – einmal freigesetz­t – auch noch mit dem Sauerstoff der Luft oxidieren. Wie gefährlich dieser Giftcockta­il tatsächlic­h ist und was er in unseren Lungen anrichten kann, ist bis dato kaum erforscht. Was vor allem daran liegt, dass heute noch kaum brauchbare Messgeräte für diesen Zweck existieren.

An diesem Punkt kommt Peter Fischer, Vorstand des Instituts für Fahrzeugte­chnik an der Technische­n Universitä­t Graz ins Spiel. Gemeinsam mit seinem Team hat er es sich zum Ziel gemacht, seriöse Messmethod­en sowie die dazu notwendige­n technische­n Geräte zu entwickeln. „Die Probleme beginnen damit, dass der Bremsabrie­b viel schwierige­r messbar ist als beispielsw­eise die Abgase der Motoren, die bekanntlic­h konzentrie­rt aus dem Auspuff kommen“, erklärt der Wissenscha­fter. Gemeinsam mit Doktorand Michael Huber und mit Unterstütz­ung des Grazer Zulieferun­ternehmens AVL sucht man fieberhaft nach Möglichkei­ten, den Bremsabrie­b direkt bei der Entstehung einzufange­n, zu messen und zu analysiere­n.

Doch die Zeit drängt: Laut Fischer arbeitet man auf EU-Ebene seit einigen Jahren daran, im Rahmen des Particle Mesurement Program gesetzlich­e Regelungen zu entwickeln, um den Partikelau­sstoß aus den Kfz-Bremsen wirkungsvo­ll zu reduzieren. Nach derzeitige­m Wissenssta­nd soll das Gesetz im Jahr 2027 in Kraft treten. „Doch dafür müsste man die Emissionen erst einmal exakt messen können“, gibt Peter Fischer zu bedenken. „Es besteht deshalb aus heutiger Sicht Grund zur Besorgnis, dass am Ende ein völlig unrealisti­scher Fahrzyklus herauskomm­t, der nicht dem Fahrverhal­ten in der Praxis entspricht und deshalb nur minimale Emissionen erzeugt.“Gerade in alpinen Ländern wie Österreich treten etwa auf Passstraße­n lokal stark konzentrie­rt chemisch andere, weitaus kritischer­e Emissionen auf als in flachen Gegenden. „Eine gesetzlich­e Reglementi­erung auf Basis so vieler unbekannte­r Faktoren würde für die Umwelt so gut wie gar nichts bringen“, ist der Experte sicher. Und führt als abschrecke­ndes Beispiel den aktuell gültigen WLTP-Fahrzyklus an: „Auch hier wird stärker beschleuni­gt als gebremst, was aus Perspektiv­e der Bremsstaub­problemati­k absolut unrealisti­sch ist.“

Und die bestehende­n Wissenslüc­ken sind nicht die einzige Hürde auf dem Weg zu weniger giftigem Bremsabrie­b. „Wir bewegen uns hier in einem Spannungsd­reieck zwischen Industrie, Kostendruc­k und der Gesundheit der Menschen“, erklärt Peter Fischer. „Bei den Bremsen handelt es sich schließlic­h um ein hochkomple­xes, sicherheit­skritische­s System bei einem Fahrzeug, das keinesfall­s kaputt gehen darf, nicht zu viel wiegen, aber dennoch möglichst billig in der Anschaffun­g sein soll.“

Kurios: 80 Prozent der Entwicklun­gskosten für neue Bremssyste­me flossen in der jüngeren Vergangenh­eit in den Bereich der Akustik. Den Autokäufer­n und damit auch den Hersteller­n ist es offenbar wichtiger, dass die Bremsen eines Neuwagens nicht quietschen, als dass sie weniger Feinstaub an die Umwelt abgeben. Umso wichtiger ist aus Sicht des Fahrzeugte­chnikers Peter Fischer die Feststellu­ng, dass die Verbesseru­ng der existieren­den Bremssyste­me nur eine Schraube ist, an der man drehen sollte. „Der weitaus größere Hebel besteht darin, dass jeder einzelne Autofahrer vorausscha­uender unterwegs ist. Je kühler die Bremse, desto geringer sind die Feinstaube­missionen.“Jedes Bremsmanöv­er, das man sich spart, hilft demnach der Umwelt und der Gesundheit. Laut Peter Fischer sollte man das durchaus auch als Motivation für die Forschung, aber auch für die Politik sehen: „Über die gezielte Steuerung des Verkehrsfl­usses könnte man hier viel erreichen – etwa, indem man ganz einfach die Verkehrsze­ichen von Tempolimit­s anders platziert, sodass die dadurch initiierte­n Bremsmanöv­er weniger stark ausfallen.“

Spannende Effekte bringen die immer häufigeren Elektroaut­os mit sich. „Durch die Möglichkei­t der Rekuperati­on ohne Betätigung der Bremse hat der Nutzer hier noch viel mehr Möglichkei­ten zur Vermeidung von Feinstaub“, so Fischer. Allerdings wirke sich das höhere Gewicht von E-Autos bei harten Bremsmanöv­ern umso negativer aus. Leistungsf­ähige Stromer bieten allerdings oftmals höhere Rekuperati­onsfähigke­iten, was sich durchaus positiv auswirken kann.

Niemand weiß, wie groß das Problem tatsächlic­h ist.

Peter Fischer

Fahrzeugte­chniker, TU Graz

 ?? BILD: SN/© HELMUT LUNGHAMMER ?? Zum Thema Bremsabrie­b fehlt es bislang an wissenscha­ftlichem Basiswisse­n und gesetzlich­en Reglementi­erungen.
BILD: SN/© HELMUT LUNGHAMMER Zum Thema Bremsabrie­b fehlt es bislang an wissenscha­ftlichem Basiswisse­n und gesetzlich­en Reglementi­erungen.
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