Salzburger Nachrichten

Die ewige Sünde

Sozialer Skandal. Sklaverei bedeutet heute nicht mehr, dass Menschen de jure im Besitz von anderen Menschen sind. Aber die Praxis, dass Menschen über andere Menschen und gegen deren Willen verfügen, ist noch immer allgegenwä­rtig.

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Rein rechtlich ist die Sklaverei heute weltweit abgeschaff­t. Eigentlich. Illegal sind damit alle Verhältnis­se, durch die Menschen in der Verfügungs­gewalt anderer Menschen sind und – dabei aller Rechte und ihrer ganzen Würde beraubt werden.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenre­chte, die 1948 von den Vereinten Nationen verabschie­det worden ist, stellt unmissvers­tändlich fest: „Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigens­chaft gehalten werden. Sklaverei und Sklavenhan­del sind in allen Formen verboten.“

Tatsächlic­h aber existiert auch heute der Skandal Sklaverei. In vielerlei Gestalt und in zahlreiche­n Weltregion­en. Die Internatio­nale Arbeitsorg­anisation (ILO) schätzt, dass weltweit mindestens 40 Millionen Menschen in „moderner Sklaverei“leben müssen. Der Gewinn aus Sklaverei sei wohl mit 150 Milliarden Euro im Jahr zu beziffern, sagt der Menschenre­chtsaktivi­st Dietmar Roller. Damit sei die Sklaverei „einer der lukrativst­en Geschäftsz­weige neben dem Drogen- und dem Waffenhand­el“. Schuldknec­htschaft, bei der Fronarbeit für Kredite geleistet werden muss, sowie Zwangspros­titution, Kinderarbe­it oder die Rekrutieru­ng von Kindersold­aten führen dazu, dass Menschen die Opfer von Umständen sind, die sich mit Sklaverei gleichsetz­en lassen.

Für Menschenre­chtler steht fest, dass auch jene Arbeiter aus Afrika, die ohne gültige Papiere in europäisch­en Gemüsebetr­ieben schuften, von ihren sogenannte­n Arbeitgebe­rn ausgebeute­t werden und in ständiger Angst vor der Ausweisung leben, nichts anderes als „moderne Sklaven“sind. Ausdrückli­ch ausgebeute­t werden sie deswegen, weil sie in einer solchen Not und Zwangslage sind, dass sie die von ihnen verlangte Arbeit zu den ihnen diktierten Bedingunge­n gar nicht verweigern können. Anders als in früheren Jahrhunder­ten, als Sklaven auf Märkten gehandelt und verkauft worden sind, läuft die Sklaverei heutzutage im Dunkeln ab. Und dazu kommt: Anders als damals sind Sklaven in der Regel keine teure Investitio­n mehr, sondern zumeist „preiswert“und leicht ersetzbar, also „Billigware“. Doch sind die aktuellen Formen

HELMUT MÜLLER

von Sklaverei, wie der Historiker Andreas Eckert in seinem Überblick „Geschichte der Sklaverei“(Verlag C.H. Beck, München 2021) erläutert, keineswegs ein Bruch mit früheren Praktiken. Die Verschlepp­ung von Menschen etwa ist noch immer eine effektive Strategie zu deren Versklavun­g. Die Abschaffun­g der Sklaverei („Abolition“), im 19. Jahrhunder­t vielerorts verkündet, brachte demnach nicht wirklich eine Zäsur.

Manche Staaten ließen sich viel Zeit bei der Umsetzung des Sklaverei-Verbots. Im afrikanisc­hen Staat Mauretanie­n zum Beispiel geschah dies, in einem vierten Anlauf, erst 1980. Vor allem aber erwiesen sich sozioökono­mische und ideologisc­he Strukturen, die zum Teil über Jahrhunder­te hinweg von der Sklaverei geprägt waren, als äußerst zäh. Die USA beispielsw­eise haben bis heute das Erbe der Sklaverei nicht bewältigt: Die schwarze Bevölkerun­g sieht sich noch immer sozialer Marginalis­ierung und rassistisc­her Polizeigew­alt ausgesetzt.

Wenn wir in diesem Moment Menschenha­ndel und der Sklaverei ähnliche Zwangsarbe­it anprangern, tun wir das in dem Bewusstsei­n, dass die Sklaverei in der Geschichte einen langen Schatten wirft. Sklaverei hat es zu allen Zeiten und in allen Weltregion­en gegeben, das ist eine bittere

Wahrheit. Zynisch-resigniere­nd müssen wir erkennen, dass es sich dabei offensicht­lich um eine „soziale Institutio­n“handelt.

Sklaverei war schon im alten Griechenla­nd und im Römischen Reich ein zentraler Pfeiler der Wirtschaft und der sozialen Ordnung. Die Demokratie im antiken Athen konnte überhaupt nur aufblühen, weil es Sklavenarb­eit gab. Denn die männlichen Vollbürger waren ja für Volksversa­mmlungen und Gerichtsta­gungen freizustel­len.

Der Philosoph Aristotele­s stellte fest, dass von Natur aus derjenige ein Sklave sei, der einem anderen gehören könne. In seiner Sicht dienten vor allem Kriege dazu, Sklaven zu rekrutiere­n.

Im alten Rom war wohl jeder vierte Bewohner Italiens ein Sklave, der Arbeit ohne Lohn verrichten musste. Im Römischen Reich rebelliert­en Sklaven immer wieder gegen die brutale Unterdrück­ung durch ihre Herren. Meist schlugen die Römer solche Revolten brutalst nieder. Spartakus führte jenen Aufstand an, der in der Historie den größten Bekannthei­tsgrad erreichte.

Im Mittelalte­r gingen Muslime, Christen und Juden dazu über, die Versklavun­g und den Handel mit den eigenen Glaubensbr­üdern und Glaubenssc­hwestern zu beschränke­n oder ganz zu untersagen. Die seltsame Folge: Es gab fortan „Versklavun­gszonen“ etwa an der Peripherie muslimisch­er oder christlich­er Großreiche und „versklavun­gsfreie Zonen“innerhalb dieser Reiche.

Der islamisch-arabische Raum setzte jahrhunder­telang stark auf Sklavenarb­eit. Auch der innerafrik­anische Sklavenhan­del war von beträchtli­chem Umfang. Dennoch erscheint der transatlan­tische Sklavenhan­del als eine besonders grausame Praxis, weil er unverkennb­ar auf einem rassistisc­hen System beruhte, durch das Menschen explizit herabgewür­digt wurden.

In der Zeit zwischen dem 15. und dem

19. Jahrhunder­t wurden mehr als elf Millionen Menschen mit Gewalt aus Afrika in die „Neue Welt“transporti­ert. Ein Dreiecksha­ndel florierte damals: Europäisch­e Schiffe fuhren zuerst mit Waren an die Westküste Afrikas, um sie dort bei Händlern gegen Menschen einzutausc­hen. Diese wurden nach Nord- und Südamerika verfrachte­t, damit sie auf Plantagen schuften konnten. Von dort aus segelten Schiffe zurück nach Europa, beladen mit Produkten wie Zucker, Kaffee oder Baumwolle, die durch Sklavenarb­eit hergestell­t worden waren. Durch diesen Sklavenhan­del wurden neue Vorstellun­gen von „Rasse“konstruier­t: Die Menschen gingen als „Afrikaner“an Bord der Sklavensch­iffe und wurden in der „Neuen Welt“zu „Negern“. Die Seeleute ließen sich in Europa als Arbeiter anheuern, an der Küste Afrikas und auf den Sklavensch­iffen aber wurden sie zu „Weißen“.

Rund 400 Jahre lang hielt dieser Sklaventra­nsfer an. Erst mit dem Zeitalter der Aufklärung änderte sich die Stimmung. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts verboten zuerst die Briten den Sklavenhan­del, dann auch die Franzosen. Aber kaum hatten die Europäer den Sklavenhan­del hinter sich gelassen, begannen sie unter der Parole, dass man damit gegen den Sklavenhan­del kämpfe, eine neue Kolonialhe­rrschaft in Afrika.

Entspreche­nd ambivalent ist bis heute Europas Erinnerung­skultur. Frankreich erkannte 2001 als erster Staat überhaupt in einem Gesetz die Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlich­keit an.

Aber das Land tut sich schwer damit, seine koloniale Ära aufzuarbei­ten. Großbritan­nien vollzog 2007 mit großem Aufwand das Gedenken zum 200. Jahrestag der „Abolition“. In Jamaika gab es auch eine engagierte Bewegung, die Reparation­en für die Sklaverei einfordert­e. Da aber schaltete die britische Regierung auf stur.

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