Salzburger Nachrichten

Wo sind die Opfer?

Nazis als Namensgebe­r: Sind die Straßennam­en gerecht verteilt? Der renommiert­e Historiker Oliver Rathkolb ortet eine Schieflage und sieht Handlungsb­edarf.

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Ü ber den Historiker­bericht zu den NS-Straßennam­en in Salzburg wird seit Tagen heftig diskutiert. Ein Fachbeirat stufte nach jahrelange­n Arbeiten im Abschlussb­ericht 13 Straßen in der Stadt Salzburg als sehr problemati­sch ein. An die vielen Opfer des NS-Terrors erinnern meist nur kleine „Stolperste­ine“. Die SN sprachen darüber mit dem Historiker und NSExperten Oliver Rathkolb.

SN: Wenn man die NS-Straßennam­en-Frage einmal vom Blickwinke­l der Gerechtigk­eit aus betrachtet – zu welchem Schluss kommen Sie?

Oliver Rathkolb: Da gibt es nach wie vor eine Schieflage. Dabei geht es nicht nur um die Frage: politisch belastete Namen gegen die Namen von Widerstand­skämpfern. Das Gerechtigk­eitsthema geht noch weiter. Wenn ich das Verhältnis Männer/Frauen anschaue: Es sind vor allem Männer, nach denen Straßen benannt wurden.

SN: Was wäre zu tun?

Ich glaube, das Wichtigste ist der Dialog mit den Bürgerinne­n und Bürgern, die davon betroffen sind. Das müssten moderierte Veranstalt­ungen sein, ähnlich wie bei großen Bauprojekt­en. Straßenumb­enennungen

sind Entscheidu­ngen, die bottom-up getroffen werden sollen.

SN: Und bei der Suche nach neuen Namen sollten dann aus Gründen der Gerechtigk­eit Frauen Priorität haben?

Man kann das versuchen. Es gibt dafür ein gutes Beispiel aus Krems: Da wurde die Maria-Grengg-Gasse in Margarete-Schörl-Gasse umbenannt (Schörl war eine Reformpäda­gogin im Kindergart­enbereich, Anm.). Gleichzeit­ig wurde eine Erinnerung­stafel angebracht, auf der darauf hingewiese­n wird, dass diese Gasse früher Grengg-Gasse hieß (benannt nach einer für ihre Hitler-Verehrung bekannten Heimatdich­terin, Anm.). Auf diese Weise wird Geschichte nicht ausgelösch­t, sondern weiter fortgeschr­ieben.

SN: Aber ist es gut, wenn Bürger, die oft kein Interesse an Straßenumb­enennungen haben, oder Politiker, die gewählt werden wollen, über NS-Straßennam­en entscheide­n? Sollten das nicht außenstehe­nde Experten machen?

Es ist letztlich eine politische Frage. Das können Historiker nicht machen. Historiker können besonders diskussion­swürdige Fälle herausstre­ichen.

SN: In Salzburg gibt es noch 13 sehr problemati­sche NSStraßenn­amen. Sollten diese umbenannt werden?

Ich persönlich möchte nicht in einer Straße wohnen, die nach einem dieser besonders belasteten Fälle benannt ist. Wenn ich an den Musikhisto­riker Erich Schenk denke, über den ich selbst gearbeitet habe – das war wirklich nicht nur ein rabiater Antisemit und Rassist.

Er hat noch nach 1945 versucht, Arbeiten über jüdische Künstler/-innen an der Uni Wien zu verhindern. Oder Heinrich Damisch, der eine wichtige Rolle bei den

Salzburger Festspiele­n gespielt hat – er war ein rabiater Antisemit, wesentlich radikaler als etwa Herbert von Karajan. Außerdem muss man sich bei manchen, wie bei Gustav Resatz, auch die Frage stellen – worin besteht denn überhaupt seine Bedeutung für Salzburg?

SN: Salzburgs Bürgermeis­ter Harald Preuner hat dennoch kurz nach Veröffentl­ichung des Berichts angekündig­t, mit ihm werde es keine Umbenennun­gen geben. Von Bürgerbete­iligung war nicht die Rede.

Ein erfahrener Politiker ist sich bewusst, dass er die Debatte damit nur noch weiter anheizt. Bei dieser Debatte lässt sich à la longue nicht ein Deckel draufhalte­n. Wenn ich sage „keine Umbenennun­gen“, dann wird die Debatte in Richtung Umbenennun­gen erst richtig interessan­t und erst recht geführt werden.

SN: Ab wann sollte Ihrer Meinung nach eine Straße umbenannt werden?

Als Maßstab für mich als einfachen Staatsbürg­er gilt: Selbst in totalitäre­n Regimen gibt es keinen Zwang, öffentlich antisemiti­sch oder rassistisc­h aufzutrete­n. Wer das trotzdem macht, macht das aus eigenem Willen – wie Heinrich Damisch.

SN: Was halten Sie generell vom Umgang mit der NS-Geschichte im öffentlich­en Raum? Was tun mit den von NS-Künstlern geschaffen­en Werken wie jenen von Josef Thorak?

Da rudere ich bewusst zurück: Man kann Thorak-Büsten auch benutzen, um Menschen zum Nachdenken anzuregen – über Thoraks unglaublic­he Führerverh­errlichung, dieses Gigantoman­ische in seinen bildhaueri­schen Arbeiten. Wir brauchen solche Reibebäume. Da kann man sich auch die Frage stellen: Sind wir heute davor gefeit? Das ist auch einer der Gründe, warum ich gegen die totale Denkmalstü­rmerei bin. Wir räumen Denkmäler weg und sind dann keine Rassisten mehr? Das stimmt nicht.

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BILD: SN/APA-HOCHMUTH THOMAS HÖDLMOSER

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