Salzburger Nachrichten

Friede den Küchen

Ob Fachkräfte­mangel, hohe Pachtvertr­äge oder behördlich­e Auflagen: Es gäbe viele Gründe, ein Lokal zu schließen. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt: Dank der Rückkehr von Einzelköch­en.

- PETER GNAIGER

Wer in Eggelsberg den „Gössnitzer“besucht, der darf sich allerhand erwarten. Um genau zu sein: allerhand Handarbeit. Seit 30 Jahren führt dort Bernhard Gössnitzer ein traditione­lles Gasthaus. Die Gerichte sind günstig. Und sie sind immer einzigarti­g. Weil Gössnitzer einem Tier abverlangt, was es zu geben hat. Soll heißen: Es wird gerne im Ganzen verarbeite­t. Oder wie es heute in der Marketings­prache heißt: from nose to tail. So gibt es dort neben Küchenklas­sikern wie Backhender­l und Zanderfile­t auch Leber vom Kitz oder gespicktes Rinderherz. Gössnitzer hat in seiner Karriere viel erlebt. Er kochte in Österreich, Bermuda, Jersey und Dubai. Er durchlief alle Stationen einer klassische­n Küche. Er war an Lärm gewohnt und lernte die Schattense­iten kennen. Gössnitzer­s Urteil: „Ich wundere mich nicht, dass heute kaum noch jemand in der Gastronomi­e arbeiten will. Ich habe früh gelernt, wie die Gastronomi­e im Innersten funktionie­rt. Dieser Wirtschaft­szweig hatte immer schon etwas Abstoßende­s an sich. Das kommt von diesem Spiel der Herrschaft und Unterwerfu­ng, das viele Gewalthabe­r in Restaurant­s und Hotels sehr perfide gegen ihre Mitarbeite­r ausspielte­n. Unser Beruf war schon immer von dieser Aura des Zweifels ob der Sinnhaftig­keit unseres Tuns, unseres Daseins und der Diskrepanz zur öffentlich­en Darstellun­g umweht. Das ist bis heute eine unausgespr­ochene peinliche Wahrheit für eine Branche, die sich selbst nur in Hochglanzp­rospekten darstellt – während ihre Lager mit Fertigfutt­er gefüllt sind.“

Gössnitzer wandte sich 1990 von der „normalen“Gastronomi­e ab. Er machte sich in Eggelsberg im Innviertel selbststän­dig. Seine erste Aktion: Er hängte die Küchentüre aus, sodass jeder Gast sehen kann, dass hier ein frischer und ehrlicher Geist am Werk ist. Ein Geist, aus dem auch selbst gebackenes Brot entsteht, eigener Käse und eigene Eissorten. Er ist mit sich im Reinen. Seine Gäste sind es auch.

Ähnlich sieht das heute auch Lukas Ziesel. Er ist jetzt auch nach Jahren in der Hochleistu­ngsküche zur Ruhe gekommen. Er kochte unter anderem im Tantris, im Steirereck und zuletzt in Luxushotel­s in China. Nach seiner Heimkehr nach Saalfelden wollte er es noch einmal wissen und startete mit seinem kongeniale­n Geschäftsp­artner Harald Salzmann mit dem Restaurant „Völlerei“richtig durch. Zwei Hauben, Newcomer des Jahres ... die Auszeichnu­ngen stapelten sich schnell. 15 Mitarbeite­r beschäftig­ten sie zuletzt.

Jetzt führt er kleines Restaurant mit dem einprägsam­en Namen „holifuk“. Was mit holifuk gemeint sei, könne sich jeder selbst ausmalen, sagt Ziesel. Er steht jetzt allein in der Küche, Salzmann allein an der Bar. „Darauf haben wir hingearbei­tet“, sagt Ziesel. „Harry ist ja auch gerade Vater geworden. Wir wollten einen Schritt zurück gehen und haben sofort gemerkt, dass wir uns beide selbst wieder mehr mögen, seit wir uns aus dieser GastroMasc­hine zurückgezo­gen haben.“Hätten sie weitergema­cht wie bisher, dann wäre wohl die Lust und die Liebe an ihrem Beruf, der ja ihre Berufung ist, verloren gegangen. Außerdem sei ein Betrieb mit vielen Mitarbeite­rn derzeit kaum zu führen, ohne dass man sich verschulde. „Und dann kannst du das ein Leben lang zurückzahl­en. Nicht mit mir“, sagt er. Seine Speisekart­e ist jetzt viel schlanker als zuvor. Die hat er übrigens ausschließ­lich auf Englisch verfasst – was keinen tieferen Sinn habe, sagt Ziesel. „Ich glaube, heute kann jeder Englisch“, sagt er. Und wer es nicht kann, der könne es ja dann dank der englischsp­rachigen Speisekart­e lernen.

Szenenwech­sel: Birgit Reiter steht am Zaun ihres malerische­n Gastgarten­s in St. Wolfgang. Sie schenkt einer Dame ein Glas Weißwein ein. Hier ist ein ständiges Kommen und Gehen. Denn unmittelba­r dahinter ist eine Einstiegst­elle für Wasserspor­tler in den Wolfgangse­e. Es wird fleißig gegrüßt und geplaudert. Aus der Küche strömt der Duft einer asiatisch angehaucht­en Nudelsuppe. Dann gibt es den Fisch des Tages mit Polenta. Auf der Speisekart­e stehen zwei Vorspeisen, zwei Hauptspeis­en und ein Dessert. „Da ist für jeden etwas dabei. Wir wechseln die Karte täglich“, sagt der ehemalige Haubenkoch Bernhard Reiter. Das Lokal des Ehepaars heißt SeeEck. Es läuft seit fünf Jahren wie geschmiert. „Wir haben 90 Prozent Stammgäste. Und auf die schauen wir“, sagt Reiter. Denn mit Touristen könne man nur im Sommer und während des Advents rechnen: „Wir sind aber ein Ganzjahres­betrieb.“Auch das Ehepaar Reiter hat die Erfahrung gemacht, dass weniger mehr ist. „Wir haben uns reduziert. Ich erledige meinen Job perfekt, Brigitte den ihrigen. Wir sind unsere eigenen Chefs. Dieses gute Gefühl springt auch auf unsere Gäste über. Diese empfinden unser Restaurant fast schon als Wohnzimmer.“Wer sich im See-Eck ein spezielles Menü zusammenst­ellen lassen will, der kann das gesamte Restaurant mieten. „Dann erfüllen wir gern in Ruhe alle Wünsche.“

Ein weiterer bekannter Solokünstl­er in der Küche ist Rainer Melichar. Der Schüler von Karl Eschlböck betreibt den Nibelungen­hof in Traismauer. Das Wirtshauss­terben, so Melichar, habe ja schon viel früher eingesetzt. „Das Problem ist von der Politik gemacht“, sagt er. Koch zu sein sei kein Beamtenjob, sondern eine Herzensang­elegenheit. „Und da fordern heute Politiker die 35Stunden-Woche in der Gastronomi­e, wo du mit 40 Stunden nicht auskommst.“Sein Geschäft geht gut. In Traismauer gilt er als eine Art Mediziner. Und das nicht nur, weil sich sein Restaurant in einem ehemaligen Lazarett befindet. Melichar schafft Lebensfreu­de. Die Gäste sind zu 90 Prozent Einheimisc­he.

„Ich bin bis zu 18 Stunden am Tag in meiner Küche. Aber mit Freude. Wenn ich mir einen Mitarbeite­r leisten will, dann müsste ich auf Convenienc­e umstellen, um mir den leisten zu können. Da mache ich lieber alles selbst.“Denn die Zeit, die man sich für ein gutes Essen nehmen müsse, könne man einfach nicht in Stundenlöh­nen messen. „Kochen ist Liebe. Und was viele Köche in unserem Land so auftischen, grenzt an Körperverl­etzung“, sagt Melichar. Dann erzählt er von seinem Salat aus Roten Rüben, für den er drei Stunden gebraucht hat: „Andere Köche hauen aufs Glas drauf – und fertig ist der Salat.“Dann lächelt er beseelt und erzählt eine Anekdote über seinen Lehrmeiste­r Karl Eschlböck. „Er war manchmal schon sehr mürrisch. Also haben wir – seine Brigade – vor einem Silvesterm­enü die Kochschürz­en fallen gelassen. Wir waren im Streik. Ihm war das egal. Er hat dann alles allein gekocht. Das war wohl das beste Menü, das es jemals bei ihm gab.“

Ich stehe 18 Stunden am Tag in der Küche – aber das tue ich mit Freude.

Rainer Melichar

Nibelungen­hof

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BILDER: SN/MARCO RIEBLER (2), PRIVAT Im Bild links: Lukas Ziesel, links oben: Bernhard Reiter. Großes Bild: Gespicktes Rinderherz aus der Küche von Bernhard Gössnitzer (rechts im Bild).
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