Friede den Küchen
Ob Fachkräftemangel, hohe Pachtverträge oder behördliche Auflagen: Es gäbe viele Gründe, ein Lokal zu schließen. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt: Dank der Rückkehr von Einzelköchen.
Wer in Eggelsberg den „Gössnitzer“besucht, der darf sich allerhand erwarten. Um genau zu sein: allerhand Handarbeit. Seit 30 Jahren führt dort Bernhard Gössnitzer ein traditionelles Gasthaus. Die Gerichte sind günstig. Und sie sind immer einzigartig. Weil Gössnitzer einem Tier abverlangt, was es zu geben hat. Soll heißen: Es wird gerne im Ganzen verarbeitet. Oder wie es heute in der Marketingsprache heißt: from nose to tail. So gibt es dort neben Küchenklassikern wie Backhenderl und Zanderfilet auch Leber vom Kitz oder gespicktes Rinderherz. Gössnitzer hat in seiner Karriere viel erlebt. Er kochte in Österreich, Bermuda, Jersey und Dubai. Er durchlief alle Stationen einer klassischen Küche. Er war an Lärm gewohnt und lernte die Schattenseiten kennen. Gössnitzers Urteil: „Ich wundere mich nicht, dass heute kaum noch jemand in der Gastronomie arbeiten will. Ich habe früh gelernt, wie die Gastronomie im Innersten funktioniert. Dieser Wirtschaftszweig hatte immer schon etwas Abstoßendes an sich. Das kommt von diesem Spiel der Herrschaft und Unterwerfung, das viele Gewalthaber in Restaurants und Hotels sehr perfide gegen ihre Mitarbeiter ausspielten. Unser Beruf war schon immer von dieser Aura des Zweifels ob der Sinnhaftigkeit unseres Tuns, unseres Daseins und der Diskrepanz zur öffentlichen Darstellung umweht. Das ist bis heute eine unausgesprochene peinliche Wahrheit für eine Branche, die sich selbst nur in Hochglanzprospekten darstellt – während ihre Lager mit Fertigfutter gefüllt sind.“
Gössnitzer wandte sich 1990 von der „normalen“Gastronomie ab. Er machte sich in Eggelsberg im Innviertel selbstständig. Seine erste Aktion: Er hängte die Küchentüre aus, sodass jeder Gast sehen kann, dass hier ein frischer und ehrlicher Geist am Werk ist. Ein Geist, aus dem auch selbst gebackenes Brot entsteht, eigener Käse und eigene Eissorten. Er ist mit sich im Reinen. Seine Gäste sind es auch.
Ähnlich sieht das heute auch Lukas Ziesel. Er ist jetzt auch nach Jahren in der Hochleistungsküche zur Ruhe gekommen. Er kochte unter anderem im Tantris, im Steirereck und zuletzt in Luxushotels in China. Nach seiner Heimkehr nach Saalfelden wollte er es noch einmal wissen und startete mit seinem kongenialen Geschäftspartner Harald Salzmann mit dem Restaurant „Völlerei“richtig durch. Zwei Hauben, Newcomer des Jahres ... die Auszeichnungen stapelten sich schnell. 15 Mitarbeiter beschäftigten sie zuletzt.
Jetzt führt er kleines Restaurant mit dem einprägsamen Namen „holifuk“. Was mit holifuk gemeint sei, könne sich jeder selbst ausmalen, sagt Ziesel. Er steht jetzt allein in der Küche, Salzmann allein an der Bar. „Darauf haben wir hingearbeitet“, sagt Ziesel. „Harry ist ja auch gerade Vater geworden. Wir wollten einen Schritt zurück gehen und haben sofort gemerkt, dass wir uns beide selbst wieder mehr mögen, seit wir uns aus dieser GastroMaschine zurückgezogen haben.“Hätten sie weitergemacht wie bisher, dann wäre wohl die Lust und die Liebe an ihrem Beruf, der ja ihre Berufung ist, verloren gegangen. Außerdem sei ein Betrieb mit vielen Mitarbeitern derzeit kaum zu führen, ohne dass man sich verschulde. „Und dann kannst du das ein Leben lang zurückzahlen. Nicht mit mir“, sagt er. Seine Speisekarte ist jetzt viel schlanker als zuvor. Die hat er übrigens ausschließlich auf Englisch verfasst – was keinen tieferen Sinn habe, sagt Ziesel. „Ich glaube, heute kann jeder Englisch“, sagt er. Und wer es nicht kann, der könne es ja dann dank der englischsprachigen Speisekarte lernen.
Szenenwechsel: Birgit Reiter steht am Zaun ihres malerischen Gastgartens in St. Wolfgang. Sie schenkt einer Dame ein Glas Weißwein ein. Hier ist ein ständiges Kommen und Gehen. Denn unmittelbar dahinter ist eine Einstiegstelle für Wassersportler in den Wolfgangsee. Es wird fleißig gegrüßt und geplaudert. Aus der Küche strömt der Duft einer asiatisch angehauchten Nudelsuppe. Dann gibt es den Fisch des Tages mit Polenta. Auf der Speisekarte stehen zwei Vorspeisen, zwei Hauptspeisen und ein Dessert. „Da ist für jeden etwas dabei. Wir wechseln die Karte täglich“, sagt der ehemalige Haubenkoch Bernhard Reiter. Das Lokal des Ehepaars heißt SeeEck. Es läuft seit fünf Jahren wie geschmiert. „Wir haben 90 Prozent Stammgäste. Und auf die schauen wir“, sagt Reiter. Denn mit Touristen könne man nur im Sommer und während des Advents rechnen: „Wir sind aber ein Ganzjahresbetrieb.“Auch das Ehepaar Reiter hat die Erfahrung gemacht, dass weniger mehr ist. „Wir haben uns reduziert. Ich erledige meinen Job perfekt, Brigitte den ihrigen. Wir sind unsere eigenen Chefs. Dieses gute Gefühl springt auch auf unsere Gäste über. Diese empfinden unser Restaurant fast schon als Wohnzimmer.“Wer sich im See-Eck ein spezielles Menü zusammenstellen lassen will, der kann das gesamte Restaurant mieten. „Dann erfüllen wir gern in Ruhe alle Wünsche.“
Ein weiterer bekannter Solokünstler in der Küche ist Rainer Melichar. Der Schüler von Karl Eschlböck betreibt den Nibelungenhof in Traismauer. Das Wirtshaussterben, so Melichar, habe ja schon viel früher eingesetzt. „Das Problem ist von der Politik gemacht“, sagt er. Koch zu sein sei kein Beamtenjob, sondern eine Herzensangelegenheit. „Und da fordern heute Politiker die 35Stunden-Woche in der Gastronomie, wo du mit 40 Stunden nicht auskommst.“Sein Geschäft geht gut. In Traismauer gilt er als eine Art Mediziner. Und das nicht nur, weil sich sein Restaurant in einem ehemaligen Lazarett befindet. Melichar schafft Lebensfreude. Die Gäste sind zu 90 Prozent Einheimische.
„Ich bin bis zu 18 Stunden am Tag in meiner Küche. Aber mit Freude. Wenn ich mir einen Mitarbeiter leisten will, dann müsste ich auf Convenience umstellen, um mir den leisten zu können. Da mache ich lieber alles selbst.“Denn die Zeit, die man sich für ein gutes Essen nehmen müsse, könne man einfach nicht in Stundenlöhnen messen. „Kochen ist Liebe. Und was viele Köche in unserem Land so auftischen, grenzt an Körperverletzung“, sagt Melichar. Dann erzählt er von seinem Salat aus Roten Rüben, für den er drei Stunden gebraucht hat: „Andere Köche hauen aufs Glas drauf – und fertig ist der Salat.“Dann lächelt er beseelt und erzählt eine Anekdote über seinen Lehrmeister Karl Eschlböck. „Er war manchmal schon sehr mürrisch. Also haben wir – seine Brigade – vor einem Silvestermenü die Kochschürzen fallen gelassen. Wir waren im Streik. Ihm war das egal. Er hat dann alles allein gekocht. Das war wohl das beste Menü, das es jemals bei ihm gab.“
Ich stehe 18 Stunden am Tag in der Küche – aber das tue ich mit Freude.
Rainer Melichar
Nibelungenhof