Der Aus-Schuss ging nach hinten los
In der politischen Langzeitwirkung hat Ibiza bisher weniger der FPÖ als der ÖVP geschadet.
Sie erinnern sich noch an das Ibiza-Video? Zwei führende Köpfe der FPÖ erzählten unter dem Einfluss von allerlei Substanzen einer falschen Oligarchennichte, wie sie die Macht in Österreich an sich reißen wollten. Die Veröffentlichung des entlarvenden Films war der Ausgangspunkt für das Platzen der türkis-blauen Regierung samt Abwahl der Nachfolger durch den Nationalrat und darauffolgende Neuwahlen. In der Zwischenzeit hatte Österreich erstmals eine Expertenregierung mit einer Bundeskanzlerin an der Spitze.
Der nach Ibiza eingesetzte Untersuchungsausschuss entpuppte sich aus der Sicht der ÖVP als Schuss ins Knie. Wenn jemand in der türkisen Partei jemals davon geträumt hat, die Blauen im Gefolge der Peinlichkeiten von HC Strache und Johann Gudenus endgültig marginalisieren zu können: Daraus wurde nichts. Herbert Kickl und seine Recken stehen heute beinahe besser da als zuvor. Über die näheren Umstände der damaligen FPÖ-Umtriebe wissen wir hingegen nach wie vor nichts. Weder sind bisher die Chats von HC Strache gesichtet noch allenfalls bestehende rechte Netzwerke und Finanzierungsmethoden enttarnt.
Das Blatt hat sich mittlerweile gegen die türkise Partei gewendet. Die Liste der ehemaligen und aktiven ÖVP-Leute, die nach Ibiza ins Visier von Ermittlern geraten sind, ist lang: die beiden Ex-Finanzminister Josef Pröll und Hartwig Löger, der Kurzzeit-Vizekanzler und Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter, die einstige Vizeparteichefin Bettina Glatz-Kremsner, der suspendierte Spitzenjurist Christian Pilnacek, der vorübergehende ÖBAG-Chef Thomas Schmid, der aktuelle Finanzminister Gernot Blümel, der Kabinettschef Bernhard Bonelli und schließlich Bundeskanzler Sebastian Kurz selbst.
Der Untersuchungsausschuss hat einiges zutage befördert, auch wenn die ÖVP behauptet, der Erkenntnisgewinn sei gleich null. Das stimmt so nicht. Eine Verlängerung wäre daher angezeigt, auch weil in der Sache Ibiza selbst nach wie vor vollkommene Unklarheit herrscht.
Nicht verlängert werden müssen hingegen manche Methoden, die den Untersuchungsausschuss als demokratisches Kontrollinstrument des Nationalrats in Misskredit gebracht haben. Die Androhung einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft bei der geringsten Protokollabweichung führt dazu, dass Auskunftspersonen nur noch mit Anwalt auftreten, sich „nicht mehr erinnern“können oder am liebsten gar nichts sagen. Die Grundstimmung des gegenseitig ausgelebten Misstrauens führt auch zu abstrusen Vorschlägen. Einmal soll die Wahrheitspflicht für Auskunftspersonen aufgehoben werden, dann wieder soll sie für Fragen eingeführt werden. Was bitte ist eine wahre Frage?
Kein Ruhmesblatt hat sich der Ausschuss auch für den Ton verdient, der dort phasenweise vorherrscht. Eine unabhängige Verfahrensrichterin hat schon nach kurzer Zeit aufgegeben. Schwerverbrecher würden vor Gericht besser behandelt als Zeugen im Ausschuss, sagte sie und erntete prompt Beleidigungen samt Shitstorm. Mit einer Direktübertragung im Fernsehen könnte solchen verbalen Ausfällen entgegengewirkt werden. Die Österreicherinnen und Österreicher könnten sich selbst ein Bild von der Arbeit machen. Diametral unterschiedliche Interpretationen („hasserfüllte Atmosphäre“versus „ruhige, sachliche Diskussion“) würden als das entlarvt, was sie sind: politische Propaganda.
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