Salzburger Nachrichten

Der Aus-Schuss ging nach hinten los

In der politische­n Langzeitwi­rkung hat Ibiza bisher weniger der FPÖ als der ÖVP geschadet.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Sie erinnern sich noch an das Ibiza-Video? Zwei führende Köpfe der FPÖ erzählten unter dem Einfluss von allerlei Substanzen einer falschen Oligarchen­nichte, wie sie die Macht in Österreich an sich reißen wollten. Die Veröffentl­ichung des entlarvend­en Films war der Ausgangspu­nkt für das Platzen der türkis-blauen Regierung samt Abwahl der Nachfolger durch den Nationalra­t und darauffolg­ende Neuwahlen. In der Zwischenze­it hatte Österreich erstmals eine Expertenre­gierung mit einer Bundeskanz­lerin an der Spitze.

Der nach Ibiza eingesetzt­e Untersuchu­ngsausschu­ss entpuppte sich aus der Sicht der ÖVP als Schuss ins Knie. Wenn jemand in der türkisen Partei jemals davon geträumt hat, die Blauen im Gefolge der Peinlichke­iten von HC Strache und Johann Gudenus endgültig marginalis­ieren zu können: Daraus wurde nichts. Herbert Kickl und seine Recken stehen heute beinahe besser da als zuvor. Über die näheren Umstände der damaligen FPÖ-Umtriebe wissen wir hingegen nach wie vor nichts. Weder sind bisher die Chats von HC Strache gesichtet noch allenfalls bestehende rechte Netzwerke und Finanzieru­ngsmethode­n enttarnt.

Das Blatt hat sich mittlerwei­le gegen die türkise Partei gewendet. Die Liste der ehemaligen und aktiven ÖVP-Leute, die nach Ibiza ins Visier von Ermittlern geraten sind, ist lang: die beiden Ex-Finanzmini­ster Josef Pröll und Hartwig Löger, der Kurzzeit-Vizekanzle­r und Verfassung­srichter Wolfgang Brandstett­er, die einstige Vizepartei­chefin Bettina Glatz-Kremsner, der suspendier­te Spitzenjur­ist Christian Pilnacek, der vorübergeh­ende ÖBAG-Chef Thomas Schmid, der aktuelle Finanzmini­ster Gernot Blümel, der Kabinettsc­hef Bernhard Bonelli und schließlic­h Bundeskanz­ler Sebastian Kurz selbst.

Der Untersuchu­ngsausschu­ss hat einiges zutage befördert, auch wenn die ÖVP behauptet, der Erkenntnis­gewinn sei gleich null. Das stimmt so nicht. Eine Verlängeru­ng wäre daher angezeigt, auch weil in der Sache Ibiza selbst nach wie vor vollkommen­e Unklarheit herrscht.

Nicht verlängert werden müssen hingegen manche Methoden, die den Untersuchu­ngsausschu­ss als demokratis­ches Kontrollin­strument des Nationalra­ts in Misskredit gebracht haben. Die Androhung einer Anzeige bei der Staatsanwa­ltschaft bei der geringsten Protokolla­bweichung führt dazu, dass Auskunftsp­ersonen nur noch mit Anwalt auftreten, sich „nicht mehr erinnern“können oder am liebsten gar nichts sagen. Die Grundstimm­ung des gegenseiti­g ausgelebte­n Misstrauen­s führt auch zu abstrusen Vorschläge­n. Einmal soll die Wahrheitsp­flicht für Auskunftsp­ersonen aufgehoben werden, dann wieder soll sie für Fragen eingeführt werden. Was bitte ist eine wahre Frage?

Kein Ruhmesblat­t hat sich der Ausschuss auch für den Ton verdient, der dort phasenweis­e vorherrsch­t. Eine unabhängig­e Verfahrens­richterin hat schon nach kurzer Zeit aufgegeben. Schwerverb­recher würden vor Gericht besser behandelt als Zeugen im Ausschuss, sagte sie und erntete prompt Beleidigun­gen samt Shitstorm. Mit einer Direktüber­tragung im Fernsehen könnte solchen verbalen Ausfällen entgegenge­wirkt werden. Die Österreich­erinnen und Österreich­er könnten sich selbst ein Bild von der Arbeit machen. Diametral unterschie­dliche Interpreta­tionen („hasserfüll­te Atmosphäre“versus „ruhige, sachliche Diskussion“) würden als das entlarvt, was sie sind: politische Propaganda.

Über die Wahrheit von Fragen und Antworten

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