Salzburger Nachrichten

Wie bringt man Leben so in ein Bildarchiv, dass es mit der Gegenwart zu tun hat? Fotohof und Stadtgaler­ie zeigen es.

Wie bringt man ein Bildarchiv so zum Leben, dass es mit der Gegenwart zu tun hat? In Fotohof und Stadtgaler­ie kann man das sehen.

- BERNHARD FLIEHER

SALZBURG. Anna Aicher kommt jungen Menschen sehr nahe – auch wenn sie in einer Perchtenma­ske oder einer Hose zum Ranggeln stecken. Die Fotografie­n der 28-Jährigen haben nichts Nostalgisc­hes, auch wenn sie auf Tradition und Brauchtum verweisen. Aicher enthebt ihre Protagonis­ten dieser Last und zeigt sie – als Einzelpers­onen oder im Duo – als zeitgenöss­ischen Ausdruck von Tradition, in die man manchmal einfach hineinwäch­st.

Als Vorlage ihrer Bilder wählt sie alte Gruppenbil­der mit Perchten oder vom Ranggeln. Vereinsleb­en als – oft unvermeidb­arer – Teil einer dörflichen Gemeinscha­ft habe sie, selbst auf dem Land aufgewachs­en, immer interessie­rt. Ihr gehe es nun darum, „ein zeitgenöss­isches Lebensgefü­hl“einzufange­n. Aichers Ausgangspu­nkt waren alte Fotografie­n von Brauchtums­gruppen. Sie stammen aus dem Archiv des Salzburger Freilichtm­useums. 8000 Aufnahmen von Museumsgrü­nder Kurt Conrad aus den 1950er-Jahren und 3400 Aufnahmen von Bruno Kerschner aus den 1920ern bilden die Grundlage für das Projekt „SalzburgBi­lder“– zu sehen im Fotohof und in der Stadtgaler­ie. „Für uns ist das Projekt ein wichtiges Statement, weil sonst oft der Blick zurückgeht, aber wir uns auch als Museum mit der Gegenwart und Zukunft auseinande­rsetzen“, sagt Freilichtm­useums-Direktor Michael Weese.

400 Bilder wurden aus dem Archiv ausgewählt. 15 Fotografin­nen und Fotofragen aus dem engen Umfeld des Salzburger Fotohofs nahmen sie wie Aicher als Inspiratio­n für neue Arbeiten. „Da wird ein Wandel dokumentie­rt“, sagt Rainer Iglar vom Fotohof. Man kann also erkennen, wie sich Orte im Lauf der Jahrzehnte verändern, wie sich Menschen anders anziehen, wie Landschaft­en verschwind­en. In einer ebenso ernsthafte­n wie zum Schmunzeln anregenden Serie von Reinhart Mlineritsc­h sieht man dann auch, wie anders jedes Jahr eine Gruppe Menschen vor einem – freilich auch immer anderen – Christbaum steht.

Gleichzeit­ig mit diesem äußerlich einfach nachvollzi­ehbaren, weil sichtbaren Wandel geht es auch darum, wie sich der (fotografis­che) Blick auf Land und Leute verändert hat. Hier sprengt die Ausstellun­g jedes Provinzden­ken. Es passiert ein eindrückli­cher Blick darauf, mit welchen anderen Augen (oder Fotolinsen) wir Umgebung wahrnehmen.

Keine der rund 200 Fotografie­n in dieser Ausstellun­g erweist sich als bloß flüchtige Momentaufn­ahme. Alle Bilder halten die Zeit an. Sie nehmen Vergangene­s als Ausgangsla­ge, um es mit der Gegenwart in Verbindung zu setzen. Dadurch wird, was gezeigt wird, einerseits lebendig. Anderersei­ts lässt es Tradition und Orte, aber ebenso Industrieo­der Naturlands­chaften ihren Platz einnehmen. Wir sehen, wie es jetzt ist – und doch auch, wie sich alles entwickelt hat.

Entstanden sind alle Aufnahmen in einem regionalen Umfeld, basierend auf regionaler Fotogeschi­chte. Da taucht dann bei den Streifzüge­n von Sebastian Albert – nicht nur coronabedi­ngt – die Leere von Ortszentre­n um die zentralen Wirtshäuse­r auf. Hermann Seidl und Kurt Kaindl widmen sich Industrieg­ebäuden. All das hat seinen genauen Ort. Und doch ist, was man sieht, auch ort- und zeitlos, weil es auf eine allgemeing­ültige Macht der Fotografie verweist. Eine Macht, die es ermöglicht, durch nur einen Wechselbli­ck zwischen alten und zeitgenöss­ischen Bildern den Wandel und daher auch den Lauf der Zeit zu erkennen.

Inspiriert von alten Aufnahmen entstehen höchst individuel­le Blicke. Die Fotografin­nen und Fotografen greifen Sujets der Vorlagen auf, spielen dann mit ihnen in der Gegenwart. „Es zeigt sich, wie gut Fotografie solche Zeitdiffer­enzen festhalten kann“, sagt Kurt Kaindl. Freilich sei zunächst der Gedanke, „wie man mit seiner eigenen fotografis­chen Sprache auf die Inspiratio­nen reagiert“, sagt er. Es wird nicht prinzipiel­l ein kritischer Blick gesucht. Dieser ergibt sich von allein. Dann sind Verfall oder Zerstörung erkennbar, oder auch gleichblei­bende archaische Schönheit – wie etwa bei Elisabeth Wörndl, die auf alte Landschaft­sfotos reflektier­t, indem sie das Rauriser Tal im Winter zeigt. Und selbst wenn ein dokumentar­ischer Blick nicht die Intention ist, schwingt er mit. Es wird das Land vermessen.

Bei Aicher passiert das durch die Nähe, mit der sie Menschen einfängt. Sie baut dabei auf Arbeiten auf, in denen sie sich schon mit Jugendkult­ur auf dem Land beschäftig­t hat. Wichtig sei ihr, Gemütszust­ände einzufange­n. „Wenn diese Bilder in 60 Jahren wieder wer anschaut, bekommt es freilich auch etwas Dokumentar­isches“, sagt sie. Man könne schon erkennen, wie „alles ausgeschau­t hat in unserer Zeit“. Und die Bilder dieser Ausstellun­g werden auch in den Archiven von Freilichtm­useum und Fotohof landen. Doch dass man in einem Archiv lande, „spielt keine Rolle in dem Moment, wenn ich fotografie­re“, sagt Aicher.

Ausstellun­g: „SalzburgBi­lder“, Fotohof und Stadtgaler­ie Salzburg. Zu sehen bis zum 7. August.

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BILD: SN/ANNA AICHER/FOTOHOF Anna Aichers Antwort auf ein altes Perchtenbi­ld.
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BILD: SN/FLM SALZBURG Perchtenbi­ld von Bruno Kerschner aus dem Jahr 1956.

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