Der politische Abschied vom Virus
Die Regierung will ihre CovidLinie adaptieren: Kurz & Co. sagen dem Nanny-Staat Ade und setzen wieder auf mehr Eigenverantwortung. Galt in den vergangenen 16 Monaten die öffentliche, manchmal wohl zu weit ausgelegte Obsorgepflicht als Maxime, so soll jetzt wieder volle Freiheit angesagt sein.
Die Begründung für diesen Paradigmenwechsel von der volksgesundheitlichen Bevormundung zur Rückkehr der lebenswichtigen Grund- und Freiheitsrechte klingt plausibel. Der Staat hat die Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Überwindung der Pandemie geschaffen. Da und dort mit gehörigen Problemen (zu wenig Impfungen, zu spät ausgezahlte Hilfen, geschlossene Schulen und Universitäten), aber im Grunde genommen ganz passabel. Die Impfung hat alles geändert. Mit wenigen Ausnahmen, etwa kleinen Kindern, die aber kaum gefährdet sind, können die Menschen im Land geimpft werden, sofern sie dies auch wollen. Solange nicht eine neue Variante des Virus auftaucht, gegen die Impfen nicht hilft, sind wir mehr oder weniger sicher.
Es ist spannend zu beobachten, wie dieselben Leute, die noch vor Kurzem gegen jede Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte auf die Straße gegangen sind, jetzt deren überfällige Wiederherstellung kritisieren. Es ist auch interessant, dass viele, die gegen jeden staatlichen Zwang aufgetreten sind, plötzlich eine Impfpflicht fordern. Und es ist abenteuerlich, wie manche Leute Impfung und Masken für sich zwar komplett ablehnen, aber vom Staat einfordern, er möge sie weiterhin schützen. Wie bitte soll das geschehen?
Die „Privatisierung“von Covid, so wie sich der Kanzler und seine Berater das vorstellen, kann nur funktionieren, wenn wir das Virus weiterhin fest im Griff haben: medizinisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Der Staat kann sich zurückziehen, solange es keine Anzeichen für ein großes Wiederaufflackern der Seuche gibt. Wichtig ist, dass er alle Vorbereitungen für den Fall der Fälle trifft. Der politische Abschied vom Virus ist nur möglich, solange es nicht mit voller Wucht zurückkehrt.