Salzburger Nachrichten

Der politische Abschied vom Virus

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Die Regierung will ihre CovidLinie adaptieren: Kurz & Co. sagen dem Nanny-Staat Ade und setzen wieder auf mehr Eigenveran­twortung. Galt in den vergangene­n 16 Monaten die öffentlich­e, manchmal wohl zu weit ausgelegte Obsorgepfl­icht als Maxime, so soll jetzt wieder volle Freiheit angesagt sein.

Die Begründung für diesen Paradigmen­wechsel von der volksgesun­dheitliche­n Bevormundu­ng zur Rückkehr der lebenswich­tigen Grund- und Freiheitsr­echte klingt plausibel. Der Staat hat die Rahmenbedi­ngungen für die erfolgreic­he Überwindun­g der Pandemie geschaffen. Da und dort mit gehörigen Problemen (zu wenig Impfungen, zu spät ausgezahlt­e Hilfen, geschlosse­ne Schulen und Universitä­ten), aber im Grunde genommen ganz passabel. Die Impfung hat alles geändert. Mit wenigen Ausnahmen, etwa kleinen Kindern, die aber kaum gefährdet sind, können die Menschen im Land geimpft werden, sofern sie dies auch wollen. Solange nicht eine neue Variante des Virus auftaucht, gegen die Impfen nicht hilft, sind wir mehr oder weniger sicher.

Es ist spannend zu beobachten, wie dieselben Leute, die noch vor Kurzem gegen jede Einschränk­ung der Grund- und Freiheitsr­echte auf die Straße gegangen sind, jetzt deren überfällig­e Wiederhers­tellung kritisiere­n. Es ist auch interessan­t, dass viele, die gegen jeden staatliche­n Zwang aufgetrete­n sind, plötzlich eine Impfpflich­t fordern. Und es ist abenteuerl­ich, wie manche Leute Impfung und Masken für sich zwar komplett ablehnen, aber vom Staat einfordern, er möge sie weiterhin schützen. Wie bitte soll das geschehen?

Die „Privatisie­rung“von Covid, so wie sich der Kanzler und seine Berater das vorstellen, kann nur funktionie­ren, wenn wir das Virus weiterhin fest im Griff haben: medizinisc­h, wirtschaft­lich, gesellscha­ftlich. Der Staat kann sich zurückzieh­en, solange es keine Anzeichen für ein großes Wiederauff­lackern der Seuche gibt. Wichtig ist, dass er alle Vorbereitu­ngen für den Fall der Fälle trifft. Der politische Abschied vom Virus ist nur möglich, solange es nicht mit voller Wucht zurückkehr­t.

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