Salzburger Nachrichten

In Haiti regieren Banden und das Chaos

Nach der Ermordung des Präsidente­n ist keine Nachfolge in Sicht. Wer hinter dem Attentat steckt, bleibt unklar.

- Klaus Ehringfeld

Der Präsident ist ermordet, das Volk erschrocke­n. Die Opposition in Haiti, die Jovenel Moïse so sehr bekämpft hat, ist ratlos und weist alle Verantwort­ung von sich. Aber wer hat den Staatschef ermordet? Politische Gegner, Drogenband­en, die kolumbiani­sche Mafia? Am Tag danach präsentier­ten die Sicherheit­skräfte 15 festgenomm­ene Kolumbiane­r und zwei US-Haitianer. Insgesamt seien 28 Menschen an dem Attentat beteiligt gewesen. Die Kolumbiane­r sind offenbar ehemalige Soldaten.

In der karibische­n Republik gibt es viele Fragen, aber keine Antworten.

Wer profitiert vom Tod Moïses? Und vor allem, wer führt jetzt dieses Land, das in 35 Jahren 20 Regierunge­n hatte?

Ein Präsidente­nmord ist für die westliche Hemisphäre mittlerwei­le ungewöhnli­ch. Doch wenn er irgendwo vorstellba­r war, dann wohl im Armenhaus Haiti, wo 60 Prozent der elf Millionen Menschen im Elend leben. „Aus politische­r Sicht gibt es niemanden, der aus dem Mord Nutzen zieht“, unterstrei­cht Robert Fatton von der Universitä­t von Virginia, ein in Haiti geborener Professor für Internatio­nale Beziehunge­n. Niemand profitiere von noch mehr Chaos, noch mehr Unsicherhe­it, Gewalt und einer möglichen neuen ausländisc­hen Interventi­on. Laut US-Medien wurden im Süden Floridas inzwischen zwei US-Haitianer festgenomm­en, die in den Mord verstrickt sein sollen, darunter ein Unternehme­r.

Indes geht es weiter um die Frage, wer das Land jetzt regiert. Böse Zungen sagen, das täten ohnehin die knapp 100 kriminelle­n Banden, die mehr oder weniger mit der Regierung verbunden sind. Eine verfassung­smäßige Nachfolge für Moïse ist nicht in Sicht.

Im Chaos hat der bereits entlassene Ex-Premier Claude Joseph die Macht beanspruch­t, was der noch von Moïse designiert­e, aber nicht mehr eingesetzt­e neue Premier Ariel Henry scharf kritisiert. Laut Verfassung wäre der Vorsitzend­e des Obersten Gerichtsho­fs als Nachfolger vorgesehen. Der aber starb kürzlich an Covid. Auch der dann folgende Parlaments­präsident kann den Staatschef nicht ersetzen, da es derzeit keine gewählte Nationalve­rsammlung gibt.

Es droht also eine Verschlimm­erung der Lage, die ohnehin schon apokalypti­sch ist. Haiti versinkt seit Kurzem in einer ungewohnt großen Bandengewa­lt. Die Zustände vor allem in der Hauptstadt gleichen zunehmend denen im afrikanisc­hen Somalia während der 1990er-Jahre, als praktisch Milizen das Land beherrscht­en.

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BILD: SN/AP Festnahme.

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