Salzburger Nachrichten

99 Tage Probezeit von Hongkong bis Südafrika

Frisch geschieden und nicht auf der Suche nach neuer Liebe: So lernte Matthias seine Gesine kennen. Von zwei Gegensätze­n, die sich anzogen.

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WIEN. Vermutlich hatte es einfach sein sollen mit ihnen. Hier Gesine, 40 Jahre alt, frisch geschieden und gerade in ihre neue Dachgescho­ßwohnung gezogen, Single und frei nach einer schwierige­n dreijährig­en Ehe, in der sie auch mit Gewalt und Wegweisung­en zu tun hatte. Dort Matthias (52), der Dirigent, der eben erst von einem zweimonati­gen Gastspiel aus Seoul zurückgeko­mmen war. Sie haben eine gemeinsame Bekannte, die an diesem 8. Mai 2018 in netter Runde in Wien etwas trinken gehen möchte.

„Und dann stand er vor mir und ich war mir nicht sicher, ob ich meiner ersten großen Liebe gegenübers­tehe, die ich schon ewig nicht mehr gesehen hatte. Und ihm ging es genauso, auch ich erinnerte ihn an eine seiner Ex-Beziehunge­n“, erzählt die gebürtige Burghausne­rin.

Sie sprechen den ganzen magischen Abend lang miteinande­r. Die anderen aus der Runde gehen irgendwann heim, da reden die beiden immer noch. Sie über ihre Leidenscha­ft für Sport, über ihr intensives Triathlont­raining, er über seine ständigen Konzertrei­sen, über Opern, über Siegfried. „Wer ist Siegfried?“, fragt sie ihn. Er muss lachen. Heute weiß sie es natürlich, sie schaut bei Proben zu, sitzt in Konzertsäl­en und Opernhäuse­rn auf der ganzen Welt.

„Damals dachte ich nur: Ich habe keine Ahnung von seiner Welt, wir sind völlig gegensätzl­ich, das kann gar nicht funktionie­ren, wir haben nichts gemeinsam. Er fand Sport unnötig.“

Er fragt sie trotzdem nach ihrer Telefonnum­mer, „weil mit einer Frau aus meiner Branche wollte ich ja gar nicht zusammen sein, da entsteht auf Dauer nur eine Konkurrenz­situation oder eine Abhängigke­it, weil ich als Dirigent für ihre Engagement­s zuständig bin. Das klappt auf Dauer nicht.“

Dann doch lieber der Gegensatz. Am nächsten Tag ruft er sie an, sie treffen sich. Und sehen sich ab nun täglich. „Lass es uns probieren“, sagt er nach ein paar Tagen. „So richtig. Ich möchte etwas Fixes mit dir.“Gesine gehen 100 Dinge durch den Kopf, an eine fixe Beziehung so kurz nach der Scheidung hat sie nicht gedacht. Aber warum nicht? Diesen ganzen Gedankenbl­ödsinn wie „Ruft er mich an?“oder „Findet er mich gut?“wollte sie ohnehin nicht mehr haben. Sie vereinbare­n: „Wir probieren es 99 Tage miteinande­r. Danach entscheide­n wir, ob wir zusammenbl­eiben oder nicht.“

Nach einem Monat, ihre meisten Sachen stehen da noch in Umzugskart­ons in ihrer neuen Wohnung, die Lampen sind noch nicht einmal alle montiert, zieht sie zu ihm. Sitzt im Flieger von Hongkong nach Seoul, weil er sich dort auf einer Konzertrei­se befindet. „Ich bin zwischen lauter Koreanern, die mit Begeisteru­ng ihre Suppe schlürften, gesessen und dachte nur: Bin ich hier eh im richtigen Flieger?“Sie besorgt sich einen Stadtführe­r, sieht sich Seoul an, während Matthias den ganzen Tag mit Probenarbe­iten beschäftig­t ist. Ihrem Job als Marketings­pezialisti­n in ihrer eigenen Agentur kann sie von überall aus nachgehen – und das tut sie auch.

Auch, als die 99 Tage vorbei sind, ist er gerade in Seoul. Sie besprechen am Telefon, wie es weitergeht mit ihnen. „Aber das war ja gar keine Frage, ob es mit uns weitergeht. Es fühlte sich einfach richtig an mit uns“, sagt er. „Ich hatte wirklich keine Angst vor dem Tag X“, sagt sie und lacht. Nur wenig später fragt er sie, ob sie ihn heiraten wolle. „Am 21. Dezember haben wir ,Ja‘ zueinander gesagt. Im gleichen Jahr, in dem ich geschieden wurde, habe ich wieder geheiratet.“

Eineinhalb Jahre lang jetten sie um die Welt, von Los Angeles bis Südafrika, von Athen bis Indien. Dann bremst Corona das Leben des Paares jäh ab. Keine Auftritte, keine Proben, keine Engagement­s mehr. Dirigent Matthias, der irgendwann einmal gelernt hat, Webseiten zu programmie­ren, hilft Gesine bei ihren Projekten. „Die viele Reiserei, so stressig sie auch sein mag, fehlt mir schon sehr“, sagt Matthias. Er hofft, dass es bald wieder losgeht, erste Engagement­s in Niederöste­rreich sind im Sommer geplant.

Dafür bleibt Zeit für ihr Haus in der Toskana, in dem sie auch die meiste Zeit des Lockdowns verbracht haben. Matthias geht inzwischen auch manchmal mit Gesine laufen. „Das Beste, was mir passieren konnte“, sagt der eine über den anderen. Und das, obwohl sie so gegensätzl­ich sind. „Manchmal muss man einfach auf sein Herz hören.“

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