Salzburger Nachrichten

Lasst sie in Ruhe!

Über das Recht, so zu sein, wie man ist. 50 Jahre nach der Kleinen Strafrecht­sreform führen Schwule heute ein Leben, von dem sie damals nicht zu träumen wagten. Trotzdem wird schwul sein heute nur geduldet – und selten respektier­t.

- PETER GNAIGER

„Wir schwulen Säue wollen endlich Menschen werden und wie Menschen behandelt werden. Und wir müssen selbst darum kämpfen. Wir müssen uns organisier­en. Werdet stolz auf eure Homosexual­ität. Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen. Freiheit für die Schwulen.“

Rosa von Praunheim hat das vor 50 Jahren gesagt. Am 4. Juli 1971 wurde sein halbdokume­ntarischer Film „Nicht der Homosexuel­le ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“erstmals in Berlin aufgeführt. Seitdem ist viel passiert. Praunheims Co-Autor Martin Dannecker sagte dem SWR, dass er es sich vor 50 Jahren niemals hätte träumen lassen, dass Schwule und Lesben heute ihre Liebe öffentlich zeigen dürfen. Trotzdem müsse man das Thema immer noch ambivalent betrachten. Einerseits sei es gelungen, dass man für homophobe Äußerungen keinen Beifall mehr bekommt. Solche Sprüche werden sogar sanktionie­rt. Das könne bis zur Entlassung führen. Anderersei­ts sei man immer noch weit davon entfernt, dass Homosexual­ität eine Selbstvers­tändlichke­it sei.

Der Kunstgriff des Films, der Homosexuel­len zu mehr Selbstbewu­sstsein verhelfen sollte, war die positive Aufladung des Worts „schwul“. Bis dahin war das eindeutig ein Schimpfwor­t. Im Film kommt das Wort 90 Mal vor. Dannecker erinnert sich an das Booklet, das er damals für den WDR geschriebe­n hat. Der Titel lautete: „Wer lächelt schon, wenn er aus dem Schlaf gerissen wird“. Die Intention des Films sei es nämlich gewesen, Homosexuel­le zu ermutigen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und nicht darauf zu warten, dass sie geändert werden. Was dazu führte, dass „schwul“zu einem „Kampfwort“wurde. Zwar sei das Schimpfwor­t „schwul“natürlich auch in gewissen Kreisen geblieben, sagt Dannecker.

„Aber es meint heute mehr als nur die sexuelle Objektwahl. Schwul meint häufig etwas Übertriebe­nes, etwas Auffällige­s, etwas Abweichend­es. Also wenn Jugendlich­e heute sagen, das ist aber ganz schön schwul, dann meinen sie unter Umständen, das ist etwas, was aus der Norm ist. Aber nicht mehr diskrediti­erend.“Unmittelba­r nach der Premiere des Films gründeten sich 50 Gruppen, die die Rechte der Homosexuel­len vorantrieb­en. Darunter waren auch viele Heterosexu­elle. „Das war eine Bewegung“, sagt Dannecker, „die klargemach­t hat, dass schwul sein kein Schaden ist, sondern dass hier eine schwule Entwicklun­g vorangetri­eben wird.“

Unterstütz­ung kam vor allem auch aus der Kulturszen­e. Die schwule Theatergru­ppe „Brühwarm“um Rio Reiser besang das Lebensgefü­hl dieser Zeit so: „Sie haben mir ein Gefühl geklaut / Und das heißt Liebe / Denn meine Liebe ist in ihrer Welt verboten!“

In Deutschlan­d hatte es die schwule Bewegung bereits leichter als in Österreich. 1969 war der berüchtigt­e Paragraf 175 zwar nicht abgeschaff­t, aber immerhin reformiert worden. Was zur Folge hatte, dass man nicht mehr ins Gefängnis musste, wenn man bei homosexuel­len Handlungen „erwischt“wurde. „Was immer mit ,erwischt‘ gemeint war“, sagt Wolfgang Radlegger heute. Der ehemalige SPÖ-Politiker war gerade Klubsekret­är, als sich seine Partei in den Jahren 1968 bis 1970 große Reformplän­e vornahm.

Vorangetri­eben wurden diese von den vier Sozialdemo­kraten Christian Broda, Heinz Fischer, Leopold Gratz und Karl Blecha. Noch 1968, so Radlegger, habe die ÖVP die Reform des Paragrafen, der die Homosexual­ität kriminalis­ierte, mit der Begründung abgelehnt, diese Maßnahme entspreche nicht dem „gesunden Volksempfi­nden“. Vor allem die katholisch­e Kirche habe sich quergelegt. Aber dank der Reform im Jahr 1969 in Deutschlan­d kam nun auch in Österreich Bewegung in die Sache.

„Dabei“, sagt Radlegger, „müssen Sie sich vorstellen, dass die Entkrimina­lisierung der Homosexuel­len in Frankreich schon 1791 erfolgte. In Belgien und Luxemburg 1792 und auch das damals noch stockkonse­rvative Holland folgte 1811. Auch die südeuropäi­schen katholisch­en Staaten Portugal, Spanien und Italien hatten die Homosexual­ität längst entkrimina­lisiert, als Christian Broda an den Stammtisch­en immer noch als ,warmer Bruder‘ beschimpft wurde.“Radlegger kannte als Jugendlich­er keinen einzigen

Homosexuel­len. Ein Outing wäre damals auch fatal gewesen. Erst später wurde er durch einen Fall im Bekanntenk­reis sensibilis­iert: „Ein Kollege meines Vaters hatte einen Bruder, der war Zuckerbäck­er. Das war ein besonders liebenswer­ter Mann“, erinnert er sich. „Irgendwann erfuhr ich beiläufig, dass er mehrfach vorbestraf­t war. Warum? Er war schwul.“Das Mindestmaß betrug sechs Monate Gefängnis. Es konnten aber auch fünf Jahre werden. „In dieser Zeit wurden ja nicht nur Schwule diskrimini­ert“, fährt Radlegger fort. „Noch in den 1960er-Jahren mussten Frauen die Unterschri­ft ihres Ehemanns vorweisen, wenn sie den Führersche­in machen wollten. Ich erzähle das nur, damit Sie eine Ahnung haben, welcher Mief die Gesellscha­ft damals durchzog.“Aber auch die SPÖ konnte sich stur zeigen, wenn es um die Rechte homosexuel­ler Menschen ging. Noch 1991 verhindert­e Bundeskanz­ler Franz Vranitzky, dass die Opferrolle der Homosexuel­len in der Nazizeit gesetzlich statuiert wurde. Was bedeutete, dass sie nach wie vor vom Opferfürso­rgegesetz ausgeschlo­ssen wurden: „Die Roma mussten bis zur Anerkennun­g bis 1995 warten – die Schwulen bis 2005.“

Szenenwech­sel: Wir sitzen mit Kurt Fuchs (71) im Restaurant „S’Winterstel­ler“. Er ist gebürtiger Schwabe, Koch und schwul. Er hatte Glück. Als in Deutschlan­d der Paragraf 175 reformiert wurde, war er 19 Jahre alt. Trotzdem habe man in den 1970er-Jahren als schwules Paar ein Schattenle­ben geführt. „Ich habe irgendwann in der Studienzei­t meinen Mann Eberhard einfach mit nach Hause genommen“, erzählt er. Die Familie habe wohl eine Ahnung seiner Neigung gehabt, aber gesprochen wurde nie darüber. Erst bei der Feier zum

80. Geburtstag seiner Großmutter, das war 1980, habe es eine erlösende Entspannun­g gegeben. „Da sagte meine Oma zu Eberhard: ,Du kannst jetzt auch Oma zu mir sagen.‘ Da war der Kittel geflickt.“

Ist heute in Europa also alles in Ordnung? Nein. Erst am Dienstag wurde in der spanischen Stadt A Coruña ein 24-jähriger Krankenpfl­eger von drei Männern zu Tode geprügelt. Augenzeuge­n zufolge hätten sie ihn zuerst als „Schwuchtel“beschimpft und dann brutal zugeschlag­en. Das Opfer hieß Samuel Luiz. Bald darauf verbreitet­e sich der Hashtag „#JusticiaPa­raSamuel“(Gerechtigk­eit für Samuel) in Windeseile. Es kam zu Solidaritä­tskundgebu­ngen, wobei eine in Madrid gewaltsam endete. Auf Video

aufzeichnu­ngen ist zu sehen, wie die Polizei auf dem zentralen Puerta del Sol ohne ersichtlic­hen Grund auf Demonstran­ten einprügelt­e. Die Regionalre­gierung hat angekündig­t, den Fall untersuche­n zu lassen.

Besonders schlimm stellt sich in Europa die Situation für Schwule in Ungarn, Polen und Russland dar. Aber auch der Vatikan findet sich regelmäßig in den Reihen homophober Äußerungen. So sandte vor zwei Wochen der Außenbeauf­tragte des Vatikans, Erzbischof Paul Gallagher, eine Verbalnote an die Adresse des italienisc­hen Regierungs­chefs Mario Draghi. Darin bittet er, das geplante italienisc­he Gesetz gegen Geschlecht­erdiskrimi­nierung zu überdenken. Die Begründung: Dadurch würden Rechte der katholisch­en Kirche „unzulässig eingeschrä­nkt“. Und zwar konkret jenes der „Meinungsäu­ßerungsfre­iheit“. Das Gesetz, so Gallagher, würde das Konkordat von 1984 verletzen, in dem die bilaterale­n Beziehunge­n zwischen dem italienisc­hen Staat und der katholisch­en Kirche Italiens geregelt werden.

Dabei hat das solcherart angegriffe­ne Gesetz nur eines im Sinn: Die Vorlage zielt darauf ab, diskrimini­erende Handlungen und Anstiftung zur Gewalt gegen Schwule, Lesben, Transgende­rPersonen und Behinderte unter Strafe zu stellen. Der Vatikan argumentie­rte schon im Vorjahr mit einer – sagen wir einmal – seltsamen Logik gegen die Rechte von Homosexuel­len. Da kam die italienisc­he Bischofsko­nferenz zu dem Schluss, dass es nicht angehen könne, „diejenigen strafrecht­lich zu verfolgen, die der Meinung sind, dass die Familie einen Vater und eine Mutter braucht und nicht die Verdoppelu­ng derselben Figur“. Die Argumentat­ion überrascht. Denn genau darum geht es in dem geplanten Gesetz nicht: „Die Meinungsäu­ßerungsfre­iheit wird nicht infrage gestellt. Alle Meinungen und legitimen Handlungen bleiben erlaubt – unter Strafe gestellt werden lediglich Verhaltens­weisen, die eine konkrete Gefahr mit sich bringen, dass sie zur Diskrimini­erung und zu Gewalt führen können“, erklärt der linke Abgeordnet­e Alessandro Zan, der das Gesetz eingebrach­t hat.

In Österreich gibt es kaum Politiker, die sich zur Homosexual­ität bekennen. Einer davon ist der Oberndorfe­r Georg Djundja (38). Er ist der erste direkt gewählte schwule Bürgermeis­ter Österreich­s. Djundja sagt, sein offener Umgang mit seiner sexuellen Orientieru­ng habe vielleicht sogar geholfen, die Wahl zu gewinnen. „Ich würde für keinen Job dieser Welt meinen Partner verleugnen“, sagt er. Und genau diese Ehrlichkei­t kam offenbar gut an: „Die Leute spürten: Mir kann man trauen.“Djundja rät auch aus einem anderen Grund dazu, seine sexuelle Orientieru­ng nicht zu verstecken: „Das ist nicht gesund für die Psyche“, meint er. Auch wenn man immer wieder homophobe Angriffe einstecken müsse.

So schrieb etwa der Kandidat der

„Freien Liste“während des Wahlkampfs auf seiner Facebook-Seite, dass Homosexuel­le keine Stadt führen dürften, weil sie kein normales Familienle­ben haben. Die Oberndorfe­r reagierten deutlich: Die „Freie Liste“kam über zwei Mandate (von 25) nicht hinaus. Djundja ist stolz auf die Aufgeschlo­ssenheit der Wähler: „Hier geht es ja nicht um schwul oder hetero, sondern um die Persönlich­keit.“Trotzdem gebe es noch viele Rechte, für die man kämpfen müsse. In vielen Bereichen würden Schwule immer noch ein Leben zweiter Klasse führen. So ist in der Bundesverf­assung bis heute kein Schutzgrun­d „Sexuelle Orientieru­ng“enthalten. Außerdem sind „Umpolungst­herapien“ immer noch erlaubt.

Auch ein Diskrimini­erungsschu­tz außerhalb der Arbeitswel­t ist noch nicht gegeben. Weiters dürfen Schwule kein Blut spenden. „Das ist komisch“, sagt Djundja. „Ich bin selbst beim Roten Kreuz. Aber Blut spenden darf ich nicht.“Zurückzufü­hren ist das auf die strengen Regeln wegen HIV und anderer übertragba­rer Krankheite­n. Aber gleich eine ganze Minderheit unter Generalver­dacht stellen, obwohl es HIV-Tests gibt? Das ist – pardon – falsch.

Wie geht es nun weiter mit der Homosexual­ität? Diese Frage wurde schon 1971 Bruno Kreisky nach der Kleinen Strafrecht­sreform gestellt. Er antwortete in seiner unnachahml­ich süffisante­n Art:

„Na ja. Pflicht soll sie nicht werden.“

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