Salzburger Nachrichten

Die Schraube

- Dirk Stermann ist Autor und Kabarettis­t. GASTAUTOR Dirk Stermann

Und dann drückt man auf „send“und der Roman ist auf dem Weg nach Hamburg. Da schreibt man monatelang, manchmal jahrelang und mit einem Klick schickt man den Text fort, als wäre er ein erwachsene­s Kind, das jetzt seinen Weg allein finden muss.

Bei Kolumnen ist es übrigens ähnlich, aber eher, als schickte man ein Kind fort, auf das man nur kurz mal aufgepasst hat.

Bei Romanen ist es eine merkwürdig­e Geschichte. Ich erzählte meinem kleinen Sohn, dass ich soeben fertig geworden sei, und er gab mir feierlich die Hand. „Prima, Papa.“Er ist fünf Jahre alt und seit er vier ist, weiß er, dass ich wieder schreibe. Mein letzter Roman heißt „Der Hammer“, darum schlug er vor, den neuen „Die Zange“zu nennen oder „Die Säge“. Er ging unseren Werkzeugka­sten durch. „Der Nagel?“

Ich erklärte ihm, dass Hammer ein Mann gewesen sei und das neue Buch sich um einen Babysitter drehe, bei dem es nicht um sein handwerkli­ches Geschick geht, sondern um die Tatsache, dass er ein ungemein ungewöhnli­cher Mann ist, dem man auf den ersten Blick sein Kind nicht anvertraue­n würde. Der Babysitter kommt aus der Ukraine und der Roman trägt seinen Vornamen. Maksym.

Mein Sohn sah ein, dass in diesem Fall kein Werkzeugti­tel passen würde.

Er wirkte ein wenig enttäuscht, dass ich keine Handwerker-Serie schrieb, denn er ist jetzt schon technisch begabter als ich. Ich sitze ratlos vor seinen Lego-Bausätzen, während er in Windeseile Teil um Teil ineinander­steckt.

„Das ist ganz einfach“, sagt er mir und wenn mir etwas gelingt, klatscht er oder gibt mir ein High-Five.

Mein Sohn ist gut geraten, aber das liegt wahrschein­lich auch viel an seiner Mutter, die mich ein einziges Mal zum Zusammenba­uen eines Kinderbett­s eingeteilt hatte und fassungslo­s über meine Ungeschick­lichkeit war. Wie konnte man so derart wenig können?

Der Roman ist mein Kind, das ich ohne Mutter aufgezogen habe. Jetzt, bei der Fertigstel­lung, kommt ein Onkel aus Hamburg dazu, mein Lektor aus Hamburg, der dem Roman vielleicht den Scheitel noch ein wenig verändert oder ihn wärmer anzieht. Er ist, sagen wir einmal, der Patenonkel des Romans.

Als ich auf „send“drückte, war ich aufgeregt. Seit dem vergangene­n Jahr war ich mit dem Lektor während des Schreibens im Kontakt und jetzt also habe ich ihn fertiggest­ellt. Was würde er sagen? War der Kleine gut geraten? Hatte er zu viele Seiten?

War die Dramaturgi­e gelungen?

Wenige Sekunden nachdem ich den Text abgeschick­t hatte, bekam ich eine automatisc­he Antwort. „Abwesenhei­t: Ich bin am 12. Juli wieder am Schreibtis­ch zu erreichen. I am out of office until July, 12.“

Das war eine Enttäuschu­ng. Der Roman liegt jetzt einsam in einem elektronis­chen Postfach in einer fremden Stadt, einem fremden Land.

„Mist“, sagte ich.

„Will der Mann in Hamburg doch lieber, dass du über Schraubenz­ieher schreibst?“„Nein, er ist nicht da“, sagte ich.

„Egal“, sagte mein Kind. „Er wird schon kommen. Willst du mir inzwischen ein Buch schreiben über Schrauben und Muttern?“

„Das kann ich nicht“, sagte ich.

„Gut, dann schreib ich das Buch. Wie schreibt man ,Schraube‘?“

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