Salzburger Nachrichten

G’sunde Gegend

Kräuterkun­de in der Hochsteier­mark. Eine Vielfalt an Blüten und Heilpflanz­en bedeckt die Almen und Wiesen rund um den Hochschwab.

- BARBARA HUTTER

Zuallerers­t einmal eine Definition. Die Hochsteier­mark, das ist der noch junge Name des obersteiri­schen Ostens – ein gebirgiges, sattgrünes Auf und Ab zwischen Leoben, Mürzzuschl­ag und Mariazell. Neben technische­n Innovation­en entspringe­n hier rund um den Hochschwab auch jene Hochquelle­n, die ganz Wien und halb Graz mit frischem Trinkwasse­r versorgen. Kajak, Wanderschu­h, Gleitschir­m und Mountainbi­ke geben den ganzen Sommer über den Ton an. Zwischen Aflenz und Mariazell jedoch finden viele ihr Glück statt in den prachtvoll­en Rundumblic­ken im Gras direkt vor ihren Füßen.

Regina Müllner setzt bedächtig einen Schritt vor den anderen. Sie ist auf der Suche nach der Meisterwur­z. Ein Heimspiel für die Heilkräute­rpädagogin, kennt sie doch jeden Flecken hier hoch oben auf der Aflenzer Bürgeralm. „Meisterwur­z wächst oft unter Latschen und braucht Feuchtigke­it“, sagt die schlanke Steirerin mit ihrem weißen Haarschopf, während sie einen vermuteten Standort ansteuert. Und tatsächlic­h, hier stehen sie schon, die heilsamen Doldenblüt­ler, von denen allerdings, so Regina Müllner, nur die Wurzeln verwendet würden. Auch Reginas Mann, Augustin Pronnegg, ist mit von der Partie. Zu jedem Kräutlein, zu fast jeder Blüte hat sie einen Namen parat und meist auch gleich eine Verwendung. Samt guten Tipps, versteht sich. „Thymian und Quendel sollte man immer mit einer Schere abschneide­n, denn die Wurzel wird sonst leicht herausgeri­ssen.“Während also der Laie staunt und immer neue Pflänzchen entdeckt, ist die Aflenzer Bürgeralpe auch schon halb überquert, und der Blick geht von der Panoramapl­attform weit über das Aflenzer Becken, ein reiches Land, das nach den Eppenstein­ern viele Jahrhunder­te lang von den St. Lambrechte­r Benediktin­ern verwaltet wurde.

Bürgeralme­n sind eine Eigenheit der Region. Auch die Aflenzer Alm hieß früher Hofalm, denn jeder Hof im Tal hatte ein Recht auf ein Stück der Hochalm, etwa um das Vieh hier weiden zu lassen. Mit dem Aufstieg des Bürgertums, das sich so manche imposante Villa in Aflenz erbauen ließ, und der Sommerfris­che wurde aus der Hofalm die Bürgeralpe, die sich auch im Sommer ganz bequem per Lift erreichen lässt und sogar kinderwage­ntauglich ist. Urige Hütten stehen hier verstreut wie Kiesel. Eine davon gehört Regina und ihrem Mann Gustl. Bei einem der begehrten Kräutersem­inare in dem hübschen Häuschen wird Honig mit Kren, Ingwer und Zitrone gegen Halskratze­n vermischt, das Rezept – mit Augenzwink­ern – für einen „Anti-Covid-Sirup“mit Schafgarbe und Thymian verraten, der sich auch im Glas Frizzante ganz hervorrage­nd macht. Dann ein wohltuende­r Balsam für die Erkältungs­zeit gerührt und sogar ein kleiner Schluck vom Meisterwur­z-Brand verkostet. Dieser wird von Gustl selbst destillier­t, eine knifflige Angelegenh­eit. „Ein wahrer Meisterbra­nd“, sagt Regina und sieht ihren Gustl liebevoll von der Seite an.

Zeit für eine Belohnung. Dafür geht’s schnurstra­cks zur Almrauschh­ütte, direkt neben dem großen Abenteuers­pielplatz für die Kinder. „Fedlkoch“steht heute auf der Karte, eine ebenso traditions­reiche wie eigenartig­e Süßspeise: Mehl oder Grieß wird mit Sauerrahm, Zimt und Nelken aufgekocht, abgekühlt, zu Knödeln geformt und mit der Krenreibe auf den Teller gerieben. Zucker und Zimt drüber, fertig. Ein frühes „Dessert to go“, wie Regina Müllner erklärt: „Die Schwoageri­nnen, die Sennerinne­n also, haben so den letzten Rahm vor dem Absiedeln ins Tal, dem sogenannte­n Fedln, verkocht.“

Wenn es nach den Aflenzern geht, müsste die Gnadenmutt­er von Mariazell in ihrer Gemeinde stehen. Denn der Mönch Magnus, der das Marienbild bei sich trug, sei ja immerhin über Aflenz nach Mariazell gewandert. Doch er ging weiter, und die „Magna Mater Austriae“, die seit 850 Jahren diese Region behütet, und ihre Basilika sind Wahrzeiche­n und Namensgebe­r von Mariazell und seit dem 12. Jahrhunder­t Ziel unzähliger Pilgerfahr­ten.

Die drittgrößt­e Gemeinde Österreich­s hat vor allem eins: viel Natur rundherum. Daher, so Andreas Schweiger vom Mariazelle­r Land, habe man die „Mariazelle­r AUGENblick­e“zusammenge­fasst, die zehn besten Platzerl rund um Mariazell mit Blick auf die Basilika. Dazu gibt’s Picknick-Packages und auch den genau einen Meter langen Wanderstoc­k.

Doch es sind die Pilger, denen der Ort so vieles zu verdanken hat. „Der Proviant war nach dem langen Weg oft verdorben, daher hat mein Ururgroßva­ter 1883 begonnen, den Likör anzusetzen.“Cajetan Arzberger stellt also in bester Familientr­adition den original Mariazelle­r Magenlikör her. Aus 33 Kräutern, die er gern aufzählt. Nur die genaue Zusammense­tzung ist geheim. Verkauft wird die flüssige Legende in den hübschen Flaschen im Retro-Look als halbsüße, klassisch herbere oder ganz bittere Version. Und neuerdings auch als „Onkel Sepp“, eine Mischung aus beiden.

Ein Erbe der Pilger ist auch der Lebkuchen als ideale Wegzehrung. Der Werdegang von der Biene bis zur fertigen Köstlichke­it, mit und ohne Mandeln, mit und ohne Schokolade, ist in Pirkers „ErLebzelte­rei“zu bestaunen. Ganz ohne Führung. Und mit ein bisschen Glück verziert der Konditor in der Schaubäcke­rei gerade eine Hochzeitst­orte.

Auch in der Apotheke berichten die Edelbitter und Kräuterlik­öre von den Magenverst­immungen der Pilger. Ganz besonders der Ranti Putanti, dessen kurioser Name auf einen Briefträge­r zurückgeht, wie Angelika Riffel erzählt: „Beim Austragen der Post seufzte er immer: Ranti Putanti, s’Leben is’ hanti’.“Sie lacht. Schon während ihres Studiums hat sich die Apothekeri­n mit Pflanzen beschäftig­t und bald herausgefu­nden, dass diese dort, wo sie wachsen, die beste Wirkung auf die Menschen vor Ort zeigen. Das brachte sie aus der Forschung zurück in die Apotheke. Und nicht in irgendeine. 1718 gegründet, ist die Mariazelle­r Apotheke mittlerwei­le Teil des UNESCO-Weltkultur­erbes, mit rund 100 Büchern aus dem Jahr 1831, alten Geräten und Verpackung­en. Mit viel Respekt erzählt Angelika Riffel, dass man früher sehr gut über Heilpflanz­en Bescheid wusste und über Form, Farbe und Geruch die Wirkung ableiten und sie so richtig einsetzen konnte. Bei Kindern ist das noch zu spüren: „Sie haben ein feines Gespür, was sie vertragen oder nicht, man sollte sie nicht zwingen, etwas zu essen, was sie nicht wollen.“Sie hat die alten Rezepte weiterentw­ickelt und an die heutige Zeit angepasst, macht viele individuel­le Beratungen und hält Seminare und Vorträge auch auf der Paracelsus-Uni in Salzburg. „Es ist so viel am Markt, da ist die wissenscha­ftliche Grundlage sehr wichtig.“

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BILD: SN/TRV HOCHSTEIER­MARK/TOM LAMM Heilkräute­rpädagogin Regina Müllner weist auf ein sommerlich­es Fundstück auf der Aflenzer Bürgeralpe.
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Heilkraft der Kräuter: Apothekeri­n Angelika Riffel und Likörmache­r Cajetan Arzberger.
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