Salzburger Nachrichten

Die EURO half, das Hochgefühl wiederzufi­nden

Das Fußball-Großereign­is schaffte den Spagat zwischen Vereinnahm­ung und Signal für die Rückkehr zur Lebensfreu­de.

- Gerhard Öhlinger GERHARD.OEHLINGER@SN.AT

Was wird von dieser Fußball-Europameis­terschaft in Erinnerung bleiben? Endlose Diskussion­en über zulässige Zuschauerm­engen in den Stadien, Teams als Flugmeilen­sammler, Regenbogen­farben auf Stadien, chinesisch­e Schriftzei­chen auf den Werbebande­n? Oder doch auch die Sololäufe von Raheem Sterling, die Tore von Cristiano Ronaldo und die Renaissanc­e von Italiens Squadra Azzurra?

Dass sich der Fußball bei diesem Fußballeve­nt öfter einmal mit einer Nebenrolle begnügen musste, kam nicht wirklich überrasche­nd. Die Kombinatio­n aus paneuropäi­schem Turnierfor­mat und Pandemie musste zwangsläuf­ig zu lauten Nebengeräu­schen führen. Das Experiment mit einer auf ganz Europa verstreute­n EURO wäre freilich auch dann als misslungen beurteilt worden, wenn es Covid-19 nicht gegeben hätte. Wenn die einen für ihre Spiele Tausende Kilometer über den Kontinent hetzen, ein Team wie England hingegen fast nur Heimspiele hat, kann von einem fairen Turnier keine Rede sein.

Bei der UEFA hat man diesen Fehler eingesehen. Davon abgesehen hat die viel gescholten­e europäisch­e Fußballuni­on ihre Rolle als Turnierver­anstalter nicht so schlecht hinbekomme­n. Sie hat richtig gehandelt, sich der politische­n Vereinnahm­ung in der Regenbogen­farben-Debatte zu entziehen. Es ist nicht Aufgabe einer Sportinsti­tution, die Hilflosigk­eit der Europäisch­en Union im Umgang mit dem renitenten Mitglied Ungarn zu kaschieren.

Die Konzentrat­ion galt bei der UEFA aber vor allem ihrer Kernkompet­enz, nämlich das Produkt Fußball zu vermarkten. Ein Produkt, das unter der Pandemie kräftig gelitten hat. Daher musste die EURO andere Bilder vom Fußball liefern als jene, an die man sich in den vergangene­n 17 Monaten schon gewöhnt hatte. Die Rückkehr der Fanmassen mag ein Risiko gewesen sein. Aber sie ist von den Organisato­ren nach bestem Wissen und Gewissen kontrollie­rt worden. Es gibt im Moment genügend Anlässe, bei denen die Sorgfalt im Umgang mit dem Virus bei Weitem lascher ist.

Das Comeback eines Fußballs wie früher belebt nicht nur das Geschäft, es war auch ein wichtiges Signal an eine Gesellscha­ft, die nach Corona erst wieder lernen muss, sich unbeschwer­t zu freuen. „Menschen sind Hochgefühl­ssucher“, sagte der Philosoph Peter Sloterdijk dieser Tage in einem sportliche­n Kontext. Spätestens bei den Bildern aus menschenle­eren olympische­n Wettkampfs­tätten in Tokio werden wir uns wehmütig an die EURO zurückerin­nern.

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