Salzburger Nachrichten

„Brief der 1700“– Als die Offiziere mutig waren

Vor 50 Jahren wehrte sich das Bundesheer in einer beispiello­sen Aktion gegen die Politik.

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WIEN. Vor 50 Jahren, im Juli 1971, beschloss der Nationalra­t eine Wehrgesetz­novelle, deren Motto „Sechs Monate sind genug“in die Annalen der Innenpolit­ik eingegange­n ist. Der Wehrdienst dauerte damals neun Monate. Da das Heer wie heute finanziell unterdotie­rt war, musste es die Grundwehrd­iener zu militärfre­mden Tätigkeite­n wie Kochen und Gärtnern heranziehe­n, was zu Kritik an den Leerläufen führte.

Im Wahlkampf 1970 griff die damals opposition­elle SPÖ diese Kritik auf. Bruno Kreisky machte daraus den Wahlschlag­er „Sechs Monate sind genug“. Nach gewonnener Wahl und Bildung einer Minderheit­sregierung ging Kreisky sofort daran, die Wehrdienst­verkürzung durchzufüh­ren.

Alle Militärexp­erten wiesen darauf hin, dass dies nur mit Begleitmaß­nahmen möglich sei. Zum einen müsse das Heer mehr Geld bekommen, um die genannten Tätigkeite­n von zivilem Personal erledigen zu lassen. Und zum anderen müsse es Truppenübu­ngen nach dem Grundwehrd­ienst geben, um den Stand der Ausbildung zu erhalten. Von beidem wollte Kreisky jedoch nichts wissen.

Sein Verteidigu­ngsministe­r Johann Freihsler – selbst General – konnte bei Kreisky nichts ausrichten und trat entnervt zurück. Da sprangen junge Offiziere ein: In einer bis dahin (und auch seither) beispiello­sen Aktion begannen sie Unterschri­ften zu sammeln, um auf die notwendige­n Begleitmaß­nahmen zur Wehrdienst­verkürzung zu pochen. Sie setzten einen Brief an alle Abgeordnet­en des Nationalra­ts auf, um diese an ihre Verantwort­ung für die Sicherheit Österreich­s zu erinnern und für die Begleitmaß­nahmen zu werben. Von den damals 2200 Offizieren des Bundesheer­es unterschri­eben mehr als 1700 den Brief, der daraufhin als „Brief der 1700“berühmt wurde.

Das Unterschre­iben des Briefs erforderte Mut, denn negative Folgen für die eigene Karriere drohten. Kreisky war empört, die sozialisti­sche „Arbeiterze­itung“sprach von einer „Offiziersi­ntrige“und ein Offizier, der im Fernsehen ein Interview zu dem Brief gab, wurde kurzzeitig außer Dienst gestellt.

Doch der „Brief der 1700“stieß auf großes öffentlich­es Interesse und war letztlich ein Erfolg, wie einer der damaligen Initiatore­n, der spätere General Peter Corrieri, in einem Rückblick in der „Österreich­ischen Militärisc­hen Zeitung“schreibt. Einzelne Forderunge­n wie die Truppenübu­ngen wurden erfüllt und mit dem Heer ging es wieder leicht aufwärts, schreibt Corrieri, „allerdings lediglich nach österreich­ischen Maßstäben“.

Heute dauert der Wehrdienst sechs Monate – ohne Übungen.

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