Salzburger Nachrichten

Neue Freiheit: Für Frauen nur bedingt

Vorsichtig sein, Wege meiden, nicht vertrauen. Wollen Frauen im öffentlich­en Raum sicher sein, sollten sie sich einschränk­en. Eigentlich eine Zumutung.

- Karin Zauner

Nach langen Monaten des unfreiwill­igen Rückzugs wollen wir wieder einmal in die Stadt gehen, eine Kleinigkei­t essen, dann noch in eine Bar. Ein Freundinne­nabend. Nicht Berlin, nicht London, Salzburg. „Wo parkst du? Weil dann parke ich auch dort.“Die Frage kommt mir eigenartig vor. Später am Abend frage ich nach, ob die Freundin in den Lockdowns eine Parkphobie ausgefasst habe. Sie lacht nicht. Schon seit Jahren, sagt sie, gehe sie nur mehr aus, wenn sie keinen ihrer Wege zu Restaurant, Bar oder Freunden allein in Dämmerung oder Dunkelheit bestreiten müsse. Sie sei vor zwei, drei Jahren ein paar Mal äußerst aggressiv angesproch­en worden, in der Art, dich würde ich gern mal ... Weil sie entrüstet reagiert hatte, wurde sie danach wüst beschimpft und bedroht. Irgendwann nach diesen Vorfällen habe sie bemerkt, dass sie Angst entwickle, wenn sie allein des Weges sei und es dunkel sei.

Angsträume heißen die, das hat sie nachgelese­n, die sind nicht gleichzuse­tzen mit Täterräume­n. Mit diesen Räumen in ihrem Kopf kann sie mittlerwei­le eine kleine Stadt bauen, sie meidet sie. Und das hat Konsequenz­en: Die Vierzigeri­n lebt zurückgezo­gener als früher, sucht sich Treffen nach Parkmöglic­hkeiten und der Möglichkei­t des Begleitetw­erdens aus. „Manchmal bleibe ich einfach lieber zu Hause, als mir den Stress mit meiner Angst anzutun“, erzählt sie.

Der Sohn eines Kollegen ist 17 Jahre jung und darf ab und zu in der Salzburger Altstadt ausgehen. Unlängst meinte er am nächsten

Tag: „Papa, meine Schwester (sie ist drei Jahre jünger, Anm.) darf da aber mal sicher nicht hin. Das ist nichts für Mädchen, manche Burschen dort sind viel zu arg zu Mädchen.“

Die Wiener Polizei hat angesichts des wieder auflebende­n Partywesen­s Frauen und Mädchen dieser Tage ein paar Prävention­stipps mit auf den Weg gegeben. Denn die ausgelasse­ne Geselligke­it berge mit steigendem Alkoholkon­sum immer wieder das Risiko für sexuelle Grenzverle­tzungen. Wie recht die Polizei hat.

Alle Mütter und Väter wären froh, hielten sich ihre Töchter an die Tipps. Auch daran, keine Kopfhörer zu tragen, weil man dann weniger aufmerksam ist, oder nur auf gut ausgeleuch­teten Plätzen und Straßen zu gehen, sollte es dunkel sein. Doch das heißt auch, dass die Wege von Mädchen und Frauen eingeschrä­nkt werden, dass sie noch nicht einmal Musik hören sollen, wann sie möchten. Sicherheit geht vor, sagt nicht nur der mütterlich­e und väterliche Hausversta­nd. Und dennoch verkleiner­n all diese Vorsichtsm­aßnahmen den Raum für Frauen und Mädchen, nehmen ihnen ein Stück Freiheit, auch die, unbeschwer­t einen Abend oder eine Nacht zu genießen.

Eine Minderheit aggressive­r und gewaltbere­iter Männer schafft also Machtverhä­ltnisse, unter denen Frauen leiden, und die Gesellscha­ft toleriert das, indem sie den Frauen sagt, wie sie sich verhalten sollen, damit die Täter weniger Chancen haben. Das mag im Einzelfall das einzig Kluge und Richtige sein, für eine Gesellscha­ft ist das ein Armutszeug­nis, für Frauen eine Zumutung.

Wenn man sich einig ist, dass auch verbale Belästigun­g Gewalt und oft der Anfang von noch Furchtbare­rem ist, dann muss es andere Lösungen geben. Etwa eine Stadt- und Raumplanun­g, die den öffentlich­en Raum so gestaltet, dass er für alle sicher ist. Die Konzepte dafür gibt es. Sie reichen von gut überschaub­aren Umgebungen von Hauptwegen, transparen­ten Gestaltung­en von Sichtverbi­ndungen zwischen Innen- und Außenräume­n bis hin zur richtigen Beleuchtun­g und Sauberkeit.

Eines wird das trotzdem nicht ersparen. Dass sich Männer und Frauen dessen bewusst werden, welch unwürdigen Spießruten­lauf oft ein ganz normaler Feierabend für Frauen und Mädchen bedeutet, und sie beim nächsten Vorfall Belästiger in Hör- oder Sichtweite vertreiben. Das nennt man Zivilcoura­ge. Nicht mehr und nicht weniger wird verlangt.

„Ich bleibe lieber zu Hause, als Stress mit der Angst zu haben“ Eine Minderheit von Männern schafft falsche Machtverhä­ltnisse

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