Neue Freiheit: Für Frauen nur bedingt
Vorsichtig sein, Wege meiden, nicht vertrauen. Wollen Frauen im öffentlichen Raum sicher sein, sollten sie sich einschränken. Eigentlich eine Zumutung.
Nach langen Monaten des unfreiwilligen Rückzugs wollen wir wieder einmal in die Stadt gehen, eine Kleinigkeit essen, dann noch in eine Bar. Ein Freundinnenabend. Nicht Berlin, nicht London, Salzburg. „Wo parkst du? Weil dann parke ich auch dort.“Die Frage kommt mir eigenartig vor. Später am Abend frage ich nach, ob die Freundin in den Lockdowns eine Parkphobie ausgefasst habe. Sie lacht nicht. Schon seit Jahren, sagt sie, gehe sie nur mehr aus, wenn sie keinen ihrer Wege zu Restaurant, Bar oder Freunden allein in Dämmerung oder Dunkelheit bestreiten müsse. Sie sei vor zwei, drei Jahren ein paar Mal äußerst aggressiv angesprochen worden, in der Art, dich würde ich gern mal ... Weil sie entrüstet reagiert hatte, wurde sie danach wüst beschimpft und bedroht. Irgendwann nach diesen Vorfällen habe sie bemerkt, dass sie Angst entwickle, wenn sie allein des Weges sei und es dunkel sei.
Angsträume heißen die, das hat sie nachgelesen, die sind nicht gleichzusetzen mit Täterräumen. Mit diesen Räumen in ihrem Kopf kann sie mittlerweile eine kleine Stadt bauen, sie meidet sie. Und das hat Konsequenzen: Die Vierzigerin lebt zurückgezogener als früher, sucht sich Treffen nach Parkmöglichkeiten und der Möglichkeit des Begleitetwerdens aus. „Manchmal bleibe ich einfach lieber zu Hause, als mir den Stress mit meiner Angst anzutun“, erzählt sie.
Der Sohn eines Kollegen ist 17 Jahre jung und darf ab und zu in der Salzburger Altstadt ausgehen. Unlängst meinte er am nächsten
Tag: „Papa, meine Schwester (sie ist drei Jahre jünger, Anm.) darf da aber mal sicher nicht hin. Das ist nichts für Mädchen, manche Burschen dort sind viel zu arg zu Mädchen.“
Die Wiener Polizei hat angesichts des wieder auflebenden Partywesens Frauen und Mädchen dieser Tage ein paar Präventionstipps mit auf den Weg gegeben. Denn die ausgelassene Geselligkeit berge mit steigendem Alkoholkonsum immer wieder das Risiko für sexuelle Grenzverletzungen. Wie recht die Polizei hat.
Alle Mütter und Väter wären froh, hielten sich ihre Töchter an die Tipps. Auch daran, keine Kopfhörer zu tragen, weil man dann weniger aufmerksam ist, oder nur auf gut ausgeleuchteten Plätzen und Straßen zu gehen, sollte es dunkel sein. Doch das heißt auch, dass die Wege von Mädchen und Frauen eingeschränkt werden, dass sie noch nicht einmal Musik hören sollen, wann sie möchten. Sicherheit geht vor, sagt nicht nur der mütterliche und väterliche Hausverstand. Und dennoch verkleinern all diese Vorsichtsmaßnahmen den Raum für Frauen und Mädchen, nehmen ihnen ein Stück Freiheit, auch die, unbeschwert einen Abend oder eine Nacht zu genießen.
Eine Minderheit aggressiver und gewaltbereiter Männer schafft also Machtverhältnisse, unter denen Frauen leiden, und die Gesellschaft toleriert das, indem sie den Frauen sagt, wie sie sich verhalten sollen, damit die Täter weniger Chancen haben. Das mag im Einzelfall das einzig Kluge und Richtige sein, für eine Gesellschaft ist das ein Armutszeugnis, für Frauen eine Zumutung.
Wenn man sich einig ist, dass auch verbale Belästigung Gewalt und oft der Anfang von noch Furchtbarerem ist, dann muss es andere Lösungen geben. Etwa eine Stadt- und Raumplanung, die den öffentlichen Raum so gestaltet, dass er für alle sicher ist. Die Konzepte dafür gibt es. Sie reichen von gut überschaubaren Umgebungen von Hauptwegen, transparenten Gestaltungen von Sichtverbindungen zwischen Innen- und Außenräumen bis hin zur richtigen Beleuchtung und Sauberkeit.
Eines wird das trotzdem nicht ersparen. Dass sich Männer und Frauen dessen bewusst werden, welch unwürdigen Spießrutenlauf oft ein ganz normaler Feierabend für Frauen und Mädchen bedeutet, und sie beim nächsten Vorfall Belästiger in Hör- oder Sichtweite vertreiben. Das nennt man Zivilcourage. Nicht mehr und nicht weniger wird verlangt.
„Ich bleibe lieber zu Hause, als Stress mit der Angst zu haben“ Eine Minderheit von Männern schafft falsche Machtverhältnisse