Brüssel schaltet auf Grün
Diese Woche will die EU-Kommission mit einem umfangreichen Gesetzespaket das Ende von Öl, Gas und Kohle einläuten. Die Nervosität vor der Präsentation ist groß.
Hehre Klimaschutzziele sind das eine. Die gesetzliche Verpflichtung zum Handeln ist etwas anderes. Am Mittwoch wird es ernst mit dem Green Deal, den EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vor zwei Jahren versprochen hat. Kommissionsvize Frans Timmermans will vorschlagen, wie sich Europas Wirtschaft von Kohle, Öl und Gas verabschieden und auf klimaneutral umstellen kann – zu Land, zu Wasser und auch in der Luft.
„Fit for 55“heißt das Vorhaben. Die Treibhausgasemissionen sollen bis 2030 um 55 Prozent sinken – im Vergleich zu 1990. 2050 soll Europa der erste Wirtschaftsraum der Welt sein, der nicht mehr CO2 in die Luft bläst, als er speichern kann.
Es ist ein Jahrhundertprojekt, dessen Notwendigkeit außer Streit steht. Die Wissenschaft fordert es seit Langem, die Politik ist nachgezogen. Wenn die Erhitzung des Planeten rechtzeitig gestoppt werden soll, müssen die selbst beschlossenen rechtlichen Vorgaben nun erfüllt werden. Die Einsparungsziele sind EU-Gesetz, beschlossen von den 27 EU-Regierungen und dem Parlament.
Nun geht es an die konkreten Vorgaben für jeden Wirtschaftsbereich und jedes Land. Entsprechend groß ist die Nervosität in Brüssel. Die Kommission arbeitet seit Wochen auf Hochtouren. Die Mitarbeiter der betroffenen Abteilungen sind fast rund um die Uhr im Einsatz, um den Termin zu schaffen, während Lobbygruppen aus allen Richtungen – von der Industrie bis zu Klimaschutzorganisationen – Druck machen. Ab Mittwoch entscheide sich, ob Ursula von der Leyen als große Kommissionspräsidentin in die Geschichte eingehen oder ihre Amtszeit eine Fußnote bleiben werde. So drückt es ein Diplomat in Brüssel aus.
Die 62-jährige Christdemokratin hat eine enorme Erwartungshaltung geweckt. „Europas Mann-aufdem-Mond-Moment“werde der Green Deal sein. Das hatte sie in Anlehnung an die US-Mondlandung 1969 bei der Vorstellung des Grünen Deals im Dezember 2019 gesagt.
Nun wird sich zeigen, ob der große Schritt für Europa gelingt. Vorbereiten
soll ihn der 60-jährige Frans Timmermans, ein Sozialdemokrat. Der polyglotte Niederländer – er spricht sieben Sprachen – ist ein Schwergewicht in der Kommission, deren Chef er selbst hatte werden wollen.
Seine Teams überarbeiten acht bestehende Gesetze und legen fünf neue Gesetzesvorschläge auf den Tisch. Darunter ist eine Neuordnung des Handelssystems mit CO2Zertifikaten – ein Regime, das bisher nur für die verarbeitende Industrie gilt. Damit verknüpft ist die neue CO2-Grenzsteuer. Die EU will Einfuhrzölle auf Güter aus Drittstaaten erheben, die klimafeindlich hergestellt werden. So soll die europäische Industrie vor unfairem Wettbewerb geschützt werden.
Ebenfalls in Timmermans’ Talon: neue Grenzwerte für Pkw und Kleinlaster, die über eher kurz als lang das Ende des Verbrennungsmotors bringen werden, sowie eine Steuer auf Flugbenzin.
Die Widerstände sind enorm. Sie kommen innerhalb der EU etwa von der Gruppe der Waldländer, der Gruppe der Kohlestaaten oder der Gruppe der Autobauer. Jede Regierung will ihre Klientel vor allzu tiefen Einschnitten schützen. Und auch in der Kommission geht es wenige Tage vor dem großen Tag rund. Nicht alle im Gremium sind mit dem ehrgeizigen Kurs von Timmermans einverstanden.
Dann gibt es wichtige Drittländer, die wenig Freude mit einer CO2-Grenzsteuer haben, auch wenn sie mit den Regeln der WTO in Übereinstimmung sein sollte. Darunter sind die USA, China, die Türkei, Russland.
Und in Brüssel versuchen Lobbygruppen der Wirtschaft mit Volldampf, das Ende der gewohnten Geschäftsmodelle so weit wie möglich zu bremsen oder gar zu blockieren. Laut einer Untersuchung der NGO InfluenceMap, die sich auf Transparenz spezialisiert hat, klafft eine beachtliche Kluft zwischen öffentlichen Bekenntnissen und Aktivitäten hinter den Kulissen.