Tausende Kubaner stehen gegen die Kommunisten auf
Präsident und Parteichef Miguel Díaz-Canel muss auf bisher ungekannte Proteste reagieren.
Umgestürzte Streifenwagen, Aggressionen gegen Polizisten, Protestmärsche und harte, öffentlich vorgetragene Kritik an der Regierung – das sind Bilder, die man aus Kuba nicht kennt. Aber am Sonntag brach der gesammelte Frust aus der Bevölkerung heraus, möglicherweise zentral organisiert und über soziale Medien multipliziert.
In San Antonio de los Baños, einem Vorort von Havanna, gingen scheinbar spontan Hunderte auf die Straße und forderten ein Ende der Stromabschaltungen und mehr Impfungen gegen das Coronavirus. Und einen Wechsel: „Freiheit“und „Nieder mit der Diktatur“waren während der Proteste zu hören.
Auslöser dürfte wohl der massive Anstieg der Corona-Neuinfektionen und in der Folge der Todesfälle gewesen sein. Die Gesundheitsbehörden meldeten am Sonntag 7000 Fälle und 50 Tote. Zudem leidet die Insel seit mehr als einem halben Jahr unter massiver Stromknappheit und es fehlen Nahrungsmittel. Die Wirtschaft schrumpfte vergangenes Jahr um elf Prozent, so stark wie nie in den vergangenen 30 Jahren. Gründe sind der Einbruch des Tourismus wegen der Coronapandemie, aber auch eine schwach ausgefallene Zuckerernte, womit die für den Einkauf wichtiger Güter nötigen Devisen fehlen. In der Folge kam es zu einer dramatischen Preissteigerung bei gleichzeitiger Verknappung
wichtiger Waren wie Medikamente und Nahrungsmittel.
Präsident Miguel Díaz-Canel, der seit April auch Chef der Kommunistischen Partei ist, reagierte auf die Dramatik der Proteste. Im Fernsehen machte er die USA für die Ausschreitungen verantwortlich: Die Regierung in Washington habe ihr Wirtschaftsembargo verschärft und die Proteste angeheizt. Er rief die „Kommunisten und Revolutionäre“dazu auf, die Regierung auf der Straße zu verteidigen.
Später ging Díaz-Canel selbst nach San Antonio de los Baños, um sich der Kritik der Menschen zu stellen. Die Regierung reagierte aber andernorts ausgesprochen nervös und schickte Spezialkräfte. In den sozialen Medien waren Polizisten
in Zivil und Uniform zu sehen, die auf die Protestierer einschlugen und sie in Streifenwagen steckten.
Die Proteste von San Antonio de los Baños dehnten sich über die gesamte Insel aus. Nicht nur nach Havanna selbst, wo es sogar auf der berühmten Uferpromenade Malecón zu Protesten kam, sondern auch in kleinere Ortschaften im Zentrum und im Osten des Landes. Durch den mittlerweile verbreiteten Zugang zum Internet sehen die Menschen zum einen, was andernorts auf der Insel passiert. Zudem können die Behörden nicht mehr so tun, als sei auf Kuba alles ruhig. Die Bilder und Videos von den Protesten verbreiteten sich Sonntag nahezu in Echtzeit in der ganzen Welt.