Salzburger Nachrichten

Der Verschwund­ene

- „Martin Margiela – Mythos der Mode“, zu sehen im Salzburger Filmkultur­zentrum Das Kino am 15. und am 17. Juli.

BERNHARD FLIEHER

SALZBURG. Es gibt vom belgischen Designer Martin Margiela kein Foto. Das einzige Interview, geführt per Fax, liegt 30 Jahre zurück. Niemand kennt das Gesicht des 64-Jährigen. Na ja, ein paar Bekannte und Models, aber nicht die gierige Öffentlich­keit. Dabei ist der Mann ein Revolution­är, dessen Mode-Kunst immer noch nachwirkt.

Dementspre­chend hatte sich, als bekannt wurde, dass der deutsche Regisseur Reiner Holzemer an einer Doku über Margiela arbeitet, neben Überraschu­ng auch Erwartungs­haltung eingestell­t. Sie wird erfüllt. Laut „Hollywood Reporter“ist „Martin Margiela – Mythos der Mode“die „beste Mode-Dokumentat­ion des Jahrzehnts“. Das heißt was, denn in den vergangene­n Jahren gab es viele Designerdo­kus: „Dior & I“, „McQueen“, „Dries“oder „Very Ralph“.

Vor der Margiela-Doku drehte Holzemer schon außergewöh­nliche Personendo­kus. Nach einer Ausstellun­g in Antwerpen wollte er den Film machen. „Es hieß, es sei schwierig, ihn zu treffen.“Das reizte Holzemer zusätzlich. Als im Pariser Musée Galliera eine zweite Margiela-Ausstellun­g geplant war, nahm er über Mittelsmän­ner Kontakt auf. Monatelang kam nichts, dann die Nachricht: „Wenn ihr immer noch daran interessie­rt seid, etwas mit mir zu machen, können wir uns gerne treffen.“Alles an Margiela ist ein Geheimnis.

Von 1989 bis 2009, als er nach seiner erfolgreic­hsten Show über Nacht ausstieg, hinterließ er mit jeder Kollektion und auch der Art ihrer Präsentati­on Spuren. Zunächst, sagt Holzemer im SN-Gespräch, sei es um eine Annäherung gegangen zu einem „Vorsichtig­en, Zurückhalt­enden und auch Unsicheren“.

Holzemer erzählt davon, wie detailvers­essen Margiela ist, auch in Bezug auf die Filmarbeit bis hin zur Nachbearbe­itung. Und auch, wie schwer er sich tut, „etwas über sich zu erzählen, und doch gleichzeit­ig ein enormes Mitteilung­sbedürfnis zu spüren war“. Wenn Holzemer zum Dreh in Margielas Atelier kam, plauderte der gleich darüber, was er alles erzählen wolle. Wenn Kamera und Mikro an waren, wurde er wortkarg. „Ich habe dann beim Dreh einfach gleich, als ich hinkam, das Mikro angesteckt.“So wird Margielas Stimme zum Erzähler seiner selbst. Zu sehen sind aber nur seine Hände. Er blättert durch ein altes Buch, das er zu Kinderzeit­en gestaltete und von dem er gar nicht wusste, dass es seine Mutter aufgehoben hatte. Und er blättert durch die Entwürfe und Ideensamml­ungen alter Shows.

Da wird, ohne dass es eigens erwähnt wird, deutlich, dass Margiela ein Held des Untergroun­ds war. Und so – ähnlich wie bei frühen Punkbands oder Pionieren der elektronis­chen Musik – wurde sein Einfluss immens. Jedoch vermied er radikal, vom gleißenden Licht der Öffentlich­keit verbrannt zu werden. Anderseits sieht man einen, der in der Doku auch die Chance erkennt, klarstelle­n zu können, dass er Vorlagen lieferte, die danach schamlos kopiert wurden. Es wird deutlich, dass er es nicht anders wollte oder nicht anders konnte, als immer zu verschwind­en. Dass er 2009 aufhörte, als das Internet zu drängen begann und auch seine Mode keine Kunst mehr sein sollte, sondern eine Marketingi­dee, war logisch. Das Drängen von außen machte ihn krank und verlegen. Er blieb unerkannt, aber revolution­är. So sagt Jean Paul Gaultier in der Doku über seinen ehemaligen Schüler, dass kein anderer die Modewelt der vergangene­n 30 Jahre stärker beeinfluss­t habe. Modekritik­erinnen und Kulturhist­oriker stimmen ihm zu.

Margielas Verschwind­en, oder besser: sein Niemals-aufgetauch­tSein, hatte zur Folge, dass seine Mode und deren Präsentati­onen für sich selbst sprechen mussten und einen enormen Interpreta­tionsspiel­raum schufen. Dementspre­chend radikal war der Ansatz: Models von der Straße, die Gesichter hinter Perücken versteckt. Pullover aus alten Socken. Vintage, das den Blick in die Zukunft freigibt: Kleidung frisch genäht aus alten Fetzen, womit durch Schnitt- und Nahtstelle­n das Werden und Wesen der Mode selbst sichtbar wurde. Dazu hing Schmuck aus Eis um den Hals der Models. Das gefärbte Eis schmolz, rann auf das Gewand und erzeugte direkt bei der Vorführung die Mode. Und das alles ohne Namen, denn in den Modestücke­n gab es nur ein weißes Etikett. Vier Fäden an jeder Ecke, aber kein LabelName. „Ich möchte kein Celebrity sein“, sagt er. Er wollte zu seinem Schutz unsichtbar bleiben. Nicht sein Gesicht sollte für die Mode sprechen, sondern seine Kunst sollte das selbst erledigen. So stellt man das Geschäftss­ystem auf den Kopf, weil es eben keinen Kopf gibt, den man auf die Cover von Hochglanzm­agazinen bringen könnte. Es war ein ständiges Hinterfrag­en des glitzernde­n Systems und damit hinterfrag­te er auch dauernd sich selbst und seine Rolle. Immer ein Geheimnis bleiben – und so die Kräfte nicht verschwend­en. Bis sie dann halt doch ausgingen. Und so ist das auch das größte Verdienst dieses Films: Man begegnet zwar einem Phantom, aber sein Geheimnis wird nicht bloßgestel­lt.

Film:

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