Der Verschwundene
BERNHARD FLIEHER
SALZBURG. Es gibt vom belgischen Designer Martin Margiela kein Foto. Das einzige Interview, geführt per Fax, liegt 30 Jahre zurück. Niemand kennt das Gesicht des 64-Jährigen. Na ja, ein paar Bekannte und Models, aber nicht die gierige Öffentlichkeit. Dabei ist der Mann ein Revolutionär, dessen Mode-Kunst immer noch nachwirkt.
Dementsprechend hatte sich, als bekannt wurde, dass der deutsche Regisseur Reiner Holzemer an einer Doku über Margiela arbeitet, neben Überraschung auch Erwartungshaltung eingestellt. Sie wird erfüllt. Laut „Hollywood Reporter“ist „Martin Margiela – Mythos der Mode“die „beste Mode-Dokumentation des Jahrzehnts“. Das heißt was, denn in den vergangenen Jahren gab es viele Designerdokus: „Dior & I“, „McQueen“, „Dries“oder „Very Ralph“.
Vor der Margiela-Doku drehte Holzemer schon außergewöhnliche Personendokus. Nach einer Ausstellung in Antwerpen wollte er den Film machen. „Es hieß, es sei schwierig, ihn zu treffen.“Das reizte Holzemer zusätzlich. Als im Pariser Musée Galliera eine zweite Margiela-Ausstellung geplant war, nahm er über Mittelsmänner Kontakt auf. Monatelang kam nichts, dann die Nachricht: „Wenn ihr immer noch daran interessiert seid, etwas mit mir zu machen, können wir uns gerne treffen.“Alles an Margiela ist ein Geheimnis.
Von 1989 bis 2009, als er nach seiner erfolgreichsten Show über Nacht ausstieg, hinterließ er mit jeder Kollektion und auch der Art ihrer Präsentation Spuren. Zunächst, sagt Holzemer im SN-Gespräch, sei es um eine Annäherung gegangen zu einem „Vorsichtigen, Zurückhaltenden und auch Unsicheren“.
Holzemer erzählt davon, wie detailversessen Margiela ist, auch in Bezug auf die Filmarbeit bis hin zur Nachbearbeitung. Und auch, wie schwer er sich tut, „etwas über sich zu erzählen, und doch gleichzeitig ein enormes Mitteilungsbedürfnis zu spüren war“. Wenn Holzemer zum Dreh in Margielas Atelier kam, plauderte der gleich darüber, was er alles erzählen wolle. Wenn Kamera und Mikro an waren, wurde er wortkarg. „Ich habe dann beim Dreh einfach gleich, als ich hinkam, das Mikro angesteckt.“So wird Margielas Stimme zum Erzähler seiner selbst. Zu sehen sind aber nur seine Hände. Er blättert durch ein altes Buch, das er zu Kinderzeiten gestaltete und von dem er gar nicht wusste, dass es seine Mutter aufgehoben hatte. Und er blättert durch die Entwürfe und Ideensammlungen alter Shows.
Da wird, ohne dass es eigens erwähnt wird, deutlich, dass Margiela ein Held des Untergrounds war. Und so – ähnlich wie bei frühen Punkbands oder Pionieren der elektronischen Musik – wurde sein Einfluss immens. Jedoch vermied er radikal, vom gleißenden Licht der Öffentlichkeit verbrannt zu werden. Anderseits sieht man einen, der in der Doku auch die Chance erkennt, klarstellen zu können, dass er Vorlagen lieferte, die danach schamlos kopiert wurden. Es wird deutlich, dass er es nicht anders wollte oder nicht anders konnte, als immer zu verschwinden. Dass er 2009 aufhörte, als das Internet zu drängen begann und auch seine Mode keine Kunst mehr sein sollte, sondern eine Marketingidee, war logisch. Das Drängen von außen machte ihn krank und verlegen. Er blieb unerkannt, aber revolutionär. So sagt Jean Paul Gaultier in der Doku über seinen ehemaligen Schüler, dass kein anderer die Modewelt der vergangenen 30 Jahre stärker beeinflusst habe. Modekritikerinnen und Kulturhistoriker stimmen ihm zu.
Margielas Verschwinden, oder besser: sein Niemals-aufgetauchtSein, hatte zur Folge, dass seine Mode und deren Präsentationen für sich selbst sprechen mussten und einen enormen Interpretationsspielraum schufen. Dementsprechend radikal war der Ansatz: Models von der Straße, die Gesichter hinter Perücken versteckt. Pullover aus alten Socken. Vintage, das den Blick in die Zukunft freigibt: Kleidung frisch genäht aus alten Fetzen, womit durch Schnitt- und Nahtstellen das Werden und Wesen der Mode selbst sichtbar wurde. Dazu hing Schmuck aus Eis um den Hals der Models. Das gefärbte Eis schmolz, rann auf das Gewand und erzeugte direkt bei der Vorführung die Mode. Und das alles ohne Namen, denn in den Modestücken gab es nur ein weißes Etikett. Vier Fäden an jeder Ecke, aber kein LabelName. „Ich möchte kein Celebrity sein“, sagt er. Er wollte zu seinem Schutz unsichtbar bleiben. Nicht sein Gesicht sollte für die Mode sprechen, sondern seine Kunst sollte das selbst erledigen. So stellt man das Geschäftssystem auf den Kopf, weil es eben keinen Kopf gibt, den man auf die Cover von Hochglanzmagazinen bringen könnte. Es war ein ständiges Hinterfragen des glitzernden Systems und damit hinterfragte er auch dauernd sich selbst und seine Rolle. Immer ein Geheimnis bleiben – und so die Kräfte nicht verschwenden. Bis sie dann halt doch ausgingen. Und so ist das auch das größte Verdienst dieses Films: Man begegnet zwar einem Phantom, aber sein Geheimnis wird nicht bloßgestellt.
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