Demokraten flüchten aus Texas
Keine Anwesenheit, keine Abstimmung: Demokratische Abgeordnete fliegen nach Washington, um einen Beschluss zu verhindern.
Der Plot könnte aus einem Hollywood-Thriller stammen: In einer Nacht-und-Nebel-Aktion versammeln sich 51 Abgeordnete des texanischen Landesparlaments heimlich in einem Gewerkschaftshaus, bevor sie mit Bussen zum Flughafen von Austin fahren. Noch bevor die Nationalgarde anrücken kann, heben die Parlamentarier mit zwei gemieteten Jets in Richtung Washington ab. Nach ihrer Landung in der Hauptstadt stimmen sie das Protestlied „We Shall Overcome“an.
Was wie die Geschichte einer dramatischen Flucht aus einem autoritären Staat klingt, ist in der Tat eine politische Demonstration gegen die von Republikanern betriebene Verschärfung des Wahlrechts in den USA. 14 Bundesstaaten haben seit der Wahlniederlage von Donald Trump mit restriktiven Regelungen, die vor allem Afroamerikaner betreffen, die Stimmabgabe erschwert. Am heftigsten tobt der politische Streit in der Republikaner-Hochburg Texas.
Mit ihrer Minderheit von 67 der 150 Abgeordneten im dortigen Regionalparlament können die Demokraten auf regulärem Weg die vom republikanischen Gouverneur Greg Abbott geplanten Eingriffe nicht blockieren. Ihr kollektiver Exodus soll aber verhindern, dass das Parlament
beschlussfähig ist. Die Demokraten wollten verhindern, dass das texanische Parlament eine „gefährliche Gesetzgebung durchpeitscht, welche die Wahlfreiheit der Texaner mit Füßen treten würde“, erklärten der regionale Fraktionschef der Demokraten, Chris Turner, und mehrere seiner Parteikollegen in einem gemeinsamen Statement. Turner deutete an, dass die Parlamentarier bis zum 7. August, dem Ende der Sitzungsperiode, außerhalb des Bundesstaates bleiben wollen. Sobald die Demokraten texanischen Boden betreten, könnten sie von der Nationalgarde an ihren Arbeitsplatz gezwungen werden.
Karl Doemens berichtet für die SN aus den USA
„Das ist kein Urlaub. Das ist keine Vergnügungsreise“, begründete der demokratische Abgeordnete Trey Martinez Fischer die Flucht: „Es geht um ein ,Jetzt oder nie‘ für unsere Demokratie.“In seiner Partei war die Aktion durchaus umstritten. Einige Demokraten in Texas fürchteten Negativschlagzeilen wegen angeblicher Arbeitsverweigerung. Auch wurde an einen ähnlichen Protest von 2003 erinnert, als elf demokratische Senatoren den Staat für 45 Tage in Richtung New Mexico verließen, um einen parteipolitisch motivierten Neuzuschnitt der Wahlkreise zu verhindern. Am Ende wurde die Reform dennoch beschlossen.
Von prominenten Demokraten gab es viel Lob für den ungewöhnlichen parlamentarischen Widerstand. „Ich spende ihnen Beifall dafür, dass sie die Rechte aller Amerikaner und aller Texaner verteidigen“, sagte Vizepräsidentin Kamala Harris. Der einstige Präsidentschaftskandidat Beto O’Rourke bescheinigte den Kollegen, sie zeigten „den Mut, den das Land gerade jetzt braucht“.
Tatsächlich ist die spektakuläre Flucht auf bundesweite Wirkung angelegt. In Washington kämpfen die Demokraten nämlich darum, durch ein umfassendes Bundesgesetz die Beschränkungen der Wahlrechte durch republikanische Staaten zu verhindern. Das Paragrafenwerk wurde vom Repräsentantenhaus beschlossen, scheiterte jedoch im US-Senat, wo auch zehn republikanische Stimmen erforderlich gewesen wären.
Präsident Joe Biden hatte dem parteipolitisch aufgeheizten Streit um das Wahlrecht zunächst keine hohe Priorität eingeräumt und wurde deshalb vom linken Parteiflügel der Demokraten kritisiert. Er setzte für Dienstag eine symbolträchtige Rede zum Wahlrecht in Philadelphia, dem Geburtsort der amerikanischen Demokratie, an. Seine Sprecherin Jen Psaki geißelte bereits vorher „autoritäre“Bemühungen, die Wahlrechte einzuschränken, und sprach von der „schlimmsten Herausforderung für unsere Demokratie seit dem Bürgerkrieg“.
In Texas wollen die Republikaner unter anderem die Öffnungszeiten der Wahllokale am Abend verkürzen, Drive-through-Wahlschalter in entlegenen Gebieten verbieten, zusätzliche Ausweisdokumente bei der Briefwahl verlangen und die Rechte der von den Parteien entsandten Vertreter bei der Auszählung der Stimmen ausweiten.
Die Republikaner begründen die Reform mit angeblicher Betrugsanfälligkeit der bisherigen Wahlgesetzgebungen. Die Demokraten sehen darin einen Versuch der Republikaner, Afroamerikanern und anderen nicht weißen Minderheiten die Teilnahme an Wahlen zu erschweren.
Dauerhaft verhindern können die Demokraten in Texas die Wahlreform trotzdem nicht. Der Gouverneur kann sie jederzeit erneut auf die Tagesordnung setzen. Doch die Polit-Exilanten wollen mit ihrer Protestaktion zögerliche Parteifreunde im US-Senat unter Druck setzen.
Die Demokraten könnten nämlich aus eigener Kraft die sogenannte Filibuster-Regelung kippen, die eine Zweidrittelmehrheit für das Bundes-Wahlgesetz erforderlich macht. Anschließend könnten sie das Bundesgesetz mit einfacher Mehrheit beschließen. Doch mehrere moderate demokratische Senatoren stellen sich bislang quer.