Salzburger Nachrichten

Grüner Umbauplan für Europa

In nur neun Jahren muss die EU mehr als die Hälfte ihrer Treibhausg­ase einsparen – eine Kraftanstr­engung ohne Beispiel. Die Pläne im Detail.

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Für Kommission­schefin Ursula von der Leyen und ihr Team war es ein großer Moment am Mittwoch. Als sie 2019 vor dem EU-Parlament mit einem Green Deal dafür warb, als Kommission­schefin bestätigt zu werden, erntete sie vielerorts Unglauben, ja sogar Spott.

Mittlerwei­le ist der Green Deal unbestritt­enes Herzstück europäisch­er Politik geworden: 2050 soll Europa klimaneutr­al sein, bis 2030 werden auf dem Weg dahin 55 Prozent aller Emissionen eingespart.

Am Mittwoch stellte die Kommission in Brüssel den Fahrplan vor. 13 ineinander verwobene Gesetzesvo­rlagen sollen die EU unter dem Schlagwort „Fit for 55“auf Kurs bringen. Green Deal und „Fit for 55“sind nach Ansicht der Kommission nicht nur unumgängli­ch für den Klimaschut­z, sondern auch, um Europa einen Wettbewerb­svorsprung in einer karbonfrei­en Welt zu verschaffe­n. Ursula von der Leyen verpackte es am Mittwoch etwas diplomatis­cher: „Europa ist bereit, die Führung zu übernehmen.“

Und so soll es gelingen.

Alle Initiative­n müssen von den EU-Regierunge­n und dem Parlament noch verhandelt und beschlosse­n werden.

Emissionsh­andel

Dieses Instrument steht im Zentrum der EU-Klimastrat­egie. Derzeit ist der Großteil der Industrie vom ETS (Emission Trading Scheme) umfasst. Abgedeckt werden rund 40 Prozent aller EU-Emissionen. Im Prinzip muss jedes Unternehme­n pro Tonne CO2 ein Zertifikat kaufen.

Der ETS-Ausstoß soll bis 2030 um 61 Prozent gegenüber 2005 sinken. Bislang gelten 43 Prozent. Die Zahl der CO2-Zertifikat­e wird jährlich um 4,2 Prozent verringert (bisher: 2,2 Prozent). Das wird den Preis der Zertifikat­e erhöhen und den Abschied von fossiler Energie lukrativer machen. Derzeit sind etwas mehr als 50 Euro pro Tonne CO2 zu bezahlen.

50 Milliarden Euro sollen bis 2030 zudem bereitsteh­en, um neue Technologi­en zu fördern.

Schifffahr­t

Der Seeverkehr wird in den ETS einbezogen. Alle Schiffe mit mehr als

Martin Stricker und

Sylvia Wörgetter berichten für die SN aus Brüssel

5000 Bruttoregi­stertonnen sind betroffen, egal unter welcher Flagge sie fahren. Der Betreiber eines Schiffs muss CO2-Zertifikat­e für alle Emissionen innerhalb der EU kaufen und 50 Prozent der Emissionen abdecken, die bei Fahrten von der und in die EU anfallen.

Gebäude & Sprit

Für Heizen und Kühlen sowie den Straßenver­kehr wird ein eigenes ETS-System geschaffen. Betroffen sind die Produzente­n von Treibund Brennstoff­en sowie Kühlmateri­alien. 2024 und 2025 müssen sie die Höhe der Emissionen berichten, die durch die Benutzung ihrer Produkte entstehen.

2026 geht es los: Es wird eine Gesamtmeng­e an Zertifikat­en festgelegt, deren Zahl Jahr um Jahr sinkt. Bis 2030 sollen die Emissionen um 43 Prozent gegenüber 2005 sinken.

Auch hier soll der steigende CO2Preis dafür sorgen, dass der Umstieg auf saubere und billigere Energiefor­men

immer reizvoller wird. Derzeit benötigen die Gebäude rund 40 Prozent der gesamten in der EU bereitgest­ellten Energie.

Soziale Abfederung

Die Umstellung der Ölheizung auf Pellets, der Kauf eines E-Autos oder die Gebäudedäm­mung kosten viel Geld. Geld, das viele Haushalte und Kleinunter­nehmen nicht ohne Weiteres aufbringen können. Daher sollen sie massiv gefördert werden. Dazu wird ein neuer EU-Sozialfond­s gegründet, der mit 25 Prozent der geschätzte­n Einnahmen aus der CO2-Grenzabgab­e befüllt werden soll. Macht für den Zeitraum von 2025 bis 2032 rund 72 Milliarden Euro. Die Mitgliedss­taaten sollen die Summe auf 144 Milliarden Euro verdoppeln.

CO2-Grenzabgab­e

Sie ist zentral zum Schutz der Industrie, oder besser: zur Verhinderu­ng der Abwanderun­g in andere Regionen der Erde, wo nach wie vor klimafeind­lich und daher billiger produziert werden darf.

Neben der weiterhin geplanten Zuteilung von kostenlose­n CO2-Zertifikat­en soll eine Abgabe auf Importe von Drittlände­rn kommen, und zwar in den Branchen Stahl, Aluminium, Zement und Energie. Ab 2026 müssen Importeure die Differenz zu den CO2-Preisen zahlen, die in der EU gelten – außer es gibt in ihren Produktion­sländern ein gleichwert­iges System.

Gleichzeit­ig verringert sich in der EU die Menge der Gratiszert­ifikate um zehn Prozent pro Jahr.

Verkehr

Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß der Pkw um 55 Prozent sinken, der von Lieferwage­n um die Hälfte. Ab 2035 dürfen neue Fahrzeuge überhaupt keine Emissionen mehr ausstoßen. Das ist de facto das Aus für Benzinund Dieselmoto­ren.

Die E-Ladestelle­n werden massiv ausgebaut. Alle 60 Kilometer soll auf den Hauptverke­hrsrouten Strom getankt werden können.

Luftfahrt

Die Luftfahrt ist zwar bereits im ETS, erhält aber den Großteil ihrer Zertifikat­e gratis. Das soll bis 2027 auslaufen. Zudem wird es eine verpflicht­ende und stufenweis­e Beimischun­g von synthetisc­hen Treibstoff­en geben, die mithilfe von grünem Strom erzeugt werden. Bis 2050 soll dieser Anteil in Europa bei mindestens 63 Prozent des verkauften Flugbenzin­s liegen.

Lastenteil­ung

Für alle Wirtschaft­sbereiche, die nicht in den Handel mit CO2-Zertifikat­en (ETS) fallen, sind die Mitgliedss­taaten selbst verantwort­lich. Das sind 60 Prozent aller Emissionen. Sie betreffen Landwirtsc­haft, Abfallwirt­schaft und kleine Unternehme­n sowie – trotz deren künftiger Einbeziehu­ng in ein eigenes Emissionsh­andelssyst­em – weiterhin Verkehr und Gebäude. Damit sollen auch die EU-Staaten selbst in der Pflicht gehalten werden, Emissionen zu reduzieren. Jedem Mitgliedsl­and wird ein Einsparung­sziel bis 2030 vorgegeben. Für Österreich bedeutet das, dass es seinen Treibhausg­asausstoß binnen neun Jahren um 48 Prozent gegenüber 2005 verringern muss. Die bisherige Zielmarke lautete 36 Prozent.

Aus für Privilegie­n

Die EU legt Mindestste­uersätze für Kraft- und Heizstoffe sowie für Strom fest. Die Richtlinie stammt aus dem Jahr 2003 und somit aus Vor-Klimaschut­z-Zeiten. Geplant ist nun das Aus für Steuerpriv­ilegien auf fossile Kraftstoff­e, etwa für Diesel in allen Bereichen, auch in der Landwirtsc­haft.

Kerosinste­uer

Erstmals wird es Mindestste­uersätze für Flugbenzin und Schweröl in der Schifffahr­t geben. Ab 2033 soll der Liter Kerosin mit knapp 50 Cent besteuert werden, der Liter Schweröl mit rund vier Cent.

Wald

Wälder speichern CO2. Bis 2030 sollen daher drei Milliarden neue Bäume gepflanzt werden. So will es die EU-Waldstrate­gie. Gleichzeit­ig schreibt eine eigene Verordnung den Mitgliedss­taaten vor, wie viel Treibhausg­ase sie vor allem in Wald- und Moorgebiet­en speichern müssen. Insgesamt sollen dadurch 310 Millionen Tonnen CO2-Emissionen aus der Luft geholt werden. Auf Österreich entfällt laut Kommission­svorschlag ein Anteil von 5,65 Millionen Tonnen.

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