Salzburger Nachrichten

„Der ORF braucht mehr Frauen in der Führung“

ORF-Stiftungsr­at Lothar Lockl über die Bewerber für den ORF-Chef-Posten, die GIS und die Zukunft des Salzburger Landesstud­ios.

- führt im Hauptberuf eine Kommunikat­ionsagentu­r. Zuvor war er etwa Bundespart­eisekretär der Grünen. Lothar Lockl

RALF HILLEBRAND

Die Karten im Wettstreit um den Posten als ORF-Generaldir­ektor sind neu gemischt: ORF-1-Chefin Lisa Totzauer gab bekannt, ebenso wie Amtsinhabe­r Alexander Wrabetz kandidiere­n zu wollen (siehe Artikel unten). Die Entscheidu­ng, wer ab 2022 das größte Medienhaus des Landes leitet, trifft im August der ORF-Stiftungsr­at. Das Zünglein an der Waage könnten dabei die grünen Räte werden – da die ÖVP den Koalitions­partner wohl nicht verprellen will. Im SN-Interview spricht der Wortführer der grünen Stiftungsr­äte, Lothar Lockl, über die Wahl. Und über das Gerücht, er könnte Ratsvorsit­zender werden.

SN: Herr Lockl, wer wird am

10. August ORF-Generaldir­ektor – oder ORF-Generaldir­ektorin? Lothar Lockl: Das weiß ich nicht. Bislang sind erst zwei Bewerbunge­n bekannt. Wir sollten abwarten, wer sich noch bewirbt – und vor allem, mit welchen Konzepten und Vorstellun­gen sich jemand bewirbt.

SN: Das heißt, unter den grünen Stiftungsr­äten ist nicht besprochen, wer gewählt wird? Nein. Was es aber gibt, ist eine gemeinsame Vorstellun­g, in welche Richtung der ORF gehen muss.

SN: Und zwar?

Das Um und Auf ist ein starker Veränderun­gswille – allein schon aufgrund der Digitalisi­erung: Chinesisch­e und US-IT-Konzerne greifen immer stärker die Geschäftsm­odelle klassische­r Medien an. Es könnte sein, dass bis Ende 2021 Google, Facebook & Co. in Österreich mehr Werbegelde­r lukrieren als alle klassische­n Medien zusammen. Der Medienstan­dort ist eine Eisscholle, die in der Mittagshit­ze schmilzt.

SN: Was heißt das für den ORF? Für den ORF heißt das, schwierige und vielleicht auch unpopuläre Entscheidu­ngen treffen und annehmen zu müssen. Und dafür ist es wichtig, ein starkes Team zu haben – das kann eine Person allein nicht gewährleis­ten. Wir wünschen uns auch, dass es auf den diversen Führungseb­enen ein ausgewogen­eres Geschlecht­erverhältn­is gibt. Der ORF braucht mehr Frauen in Führungsfu­nktionen

– etwa auf Landeseben­e: Nur zwei der neun Landesdire­ktorinnen und -direktoren sind Frauen, unter den neun Chefredakt­euren ist gar keine Frau.

SN: Das könnte man als Appell für Lisa Totzauer als ORF-Generaldir­ektorin werten ...

Ich bitte um Verständni­s, dass ich niemanden vorbeurtei­len will. Das wäre als Aufsichtsr­at auch nicht verantwort­ungsvoll. Alle potenziell­en Kandidaten haben es sich verdient, dass man sich mit ihren Konzepten auseinande­rsetzt.

SN: Aber wenn Sie einen „starken Veränderun­gswillen“fordern, könnte man das zumindest als Plädoyer für einen Führungswe­chsel verstehen.

Ich will am Beginn einer Bewerbungs­frist wirklich keinen Kandidaten bewerten. Es ist ein Plädoyer für ein starkes Team und für Veränderun­gswillen. Übrigens auch im Interesse der Privatmedi­en: Wir brauchen einen starken Medienstan­dort. Dafür müssen wir weg vom Schreberga­rtendenken hin zu einem gemeinsame­n Branchenbe­wusstsein. Das war mir in den vergangene­n Jahren zu wenig da. Und das würde ich mir auch von einer neuen ORF-Führung erwarten.

SN: Ist es aber nicht verständli­ch, dass Privatmedi­en nicht begeistert sind, wenn ein öffentlich finanziert­er Konkurrent neue Möglichkei­ten bekommen soll, etwa im Digitalber­eich? Natürlich kann ich das verstehen. Ich glaube aber, dass dieses Denken in eine Sackgasse führt. Der Medienstan­dort wird nicht überleben, wenn ein österreich­ischer Player dem anderen was wegnimmt. Wir leiden unter einem Blockadede­nken, das zum Teil auf die Zeit des Schwarz-Weiß-Fernsehens zurückgeht. Es braucht nun neue Ansätze. Auch die ORF-Führung muss neue Partizipat­ionsmöglic­hkeiten ausloten. Es wird viel an Innovation notwendig sein. Und auch der gesetzlich­e Rahmen muss zeitgemäß sein.

SN: Ein solcher Rahmen wäre durch ein neues ORF-Gesetz möglich. Wann, glauben Sie, wird das Gesetz kommen?

2022, ist meine Hoffnung. Auf einen Monat mehr oder weniger kommt es aber nicht an. Ich hoffe, es kommt zu einem größeren Wurf. Einem, der dem ORF neue Möglichkei­ten einräumt, die Finanzieru­ng nachhaltig absichert und neue Kooperatio­nsformen ermöglicht. Es braucht das Bewusstsei­n, dass Qualitätsj­ournalismu­s gefördert werden muss. Ich denke da auch an junge Kolleginne­n und Kollegen: Ein wichtiger Punkt wird sein, diese dazu zu bringen, sich im ORF und bei Privatmedi­en zu engagieren. Dafür braucht es neue Berufsbild­er, neue Ausbildung­skonzepte, es braucht viel mehr IT-Personal. Allein im ORF gehen bald Hunderte Kollegen in Pension. Das ist eine große Chance, junge Mitarbeite­r zu gewinnen.

SN: Soll durch das neue Gesetz auch die Alleingesc­häftsführu­ng im ORF abgeschaff­t werden?

Ich sitze nicht am Verhandlun­gstisch. Aber ein derartiges Modell ist bei vielen Unternehme­n gang und gäbe. Und ich kann auch nachvollzi­ehen, dass viele ein solches Modell sehr positiv finden. Aber wird es dafür eine parlamenta­rische Mehrheit geben? Ich weiß es nicht.

SN: Bei der Wahl im August wird auf jeden Fall noch ein Alleingesc­häftsführe­r gesucht. Rechnen Sie eigentlich mit weiteren Bewerbern?

Es ist ein gutes Zeichen, wenn sich qualifizie­rte Personen bewerben und es einen Wettbewerb der Ideen gibt. Aber ob man sich das zutraut, obliegt den Bewerbern selbst.

SN: Als Stiftungsr­at könnten

Sie selbst jemanden nominieren. Werden Sie das tun?

Nein, das werde ich nicht. Das wäre ja eine Art Präjudiz. Mir ist wichtig, dass alles sehr transparen­t verläuft.

SN: Ist der Prozess wirklich transparen­t? Was halten Sie etwa von öffentlich­en Hearings? Es obliegt den Kandidaten, ob sie dazu bereit wären. Und es wäre dann eine journalist­ische Entscheidu­ng, ob etwa – wie vor fünf Jahren – ORF III das Hearing überträgt. Ich glaube jedenfalls, dass die Konzepte der Kandidaten öffentlich diskutiert werden sollten. Denn der ORF gehört uns ja allen.

SN: Zum Rat selbst: Dieser ist großteils politisch besetzt. Wieso regt das bei der ÖBAG auf – und beim ORF nicht?

Der ORF und die ÖBAG sind nur bedingt vergleichb­ar. Die ÖBAG ist neu geschaffen worden und die Geschäftsf­ührung wurde zum ersten Mal bestellt. Aber wenn Sie mich fragen, ob ein 35-köpfiger Rat für den ORF das Beste ist, muss ich Ihnen ehrlich sagen, dass ich mir eine andere Struktur wünschen würde.

SN: Eine entpolitis­ierte?

Ja, sicher auch. Man müsste aber erst einmal Experten finden, die nach den unterschie­dlichen Maßstäben unabhängig sind. In Österreich wird man ja schnell mal in ein Kasterl gesteckt. Ist der ORF mit der aktuellen Struktur handlungsf­ähig? Ja. Könnte die Struktur besser sein? Auch ja. Sie könnte vor allem schlanker sein. Ein Gremium mit 35 Leuten ist sehr groß, die Arbeitswei­se ist komplex.

SN: Was ist an den Gerüchten dran, Sie könnten 2022 den Ratsvorsit­z übernehmen?

Ich bin Stiftungsr­atsmitglie­d und stellvertr­etender Vorsitzend­er im Finanzauss­chuss. Damit bin ich ausgelaste­t. Zudem finde ich, dass es auch im Stiftungsr­at ein ausgewogen­eres Geschlecht­erverhältn­is geben sollte.

SN: Ein Appell für eine Stiftungsr­atsvorsitz­ende?

Die Entscheidu­ng obliegt dem Stiftungsr­at. Aber ja, Zeit wäre es.

SN: Einer Ihrer Kollegen, Matthias Limbeck, hat vor Kurzem seine Funktion zurückgele­gt – und angekündig­t, Salzburger ORFLandesd­irektor werden zu wollen. Was halten Sie davon?

Ich glaube, dass in solchen Fällen eine Cool-down-Phase angebracht ist. Persönlich habe ich mit Herrn Limbeck gut zusammenge­arbeitet.

SN: Zum Abschluss: Wie soll es mit der GIS weitergehe­n?

Es braucht jedenfalls eine langfristi­ge Absicherun­g der Finanzieru­ng des ORF. Hier sehe ich auch die Politik in der Verantwort­ung, für nachhaltig­e Rahmenbedi­ngungen zu sorgen. Jetzt sollte aber mal der Fokus auf der Wahl des Direktoriu­ms liegen. Grundsätzl­ich müssen Medien und Journalism­us unserer Gesellscha­ft etwas wert sein.

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