Salzburger Nachrichten

Es ist mächtig Druck im Kessel

Während Europa Amerikaner einreisen lässt, bleiben die Grenzen der USA dicht. Der Protest der Wirtschaft gegen die Einreisesp­erre wächst.

- KARL DOEMENS Mark Tomkins, Handelskam­mer

WASHINGTON. Wenn Mark Tomkins, der Chef der Deutsch-Amerikanis­chen Handelskam­mer in Chicago, morgens in sein Büro kommt, ahnt er schon, was auf ihn wartet: ein E-Mail eines weiteren Mitgliedsu­nternehmen­s, das Schwierigk­eiten mit der Einreise hat. „Das ist das Thema Nummer eins für unsere Unternehme­n“, sagt Tomkins.

Auf der anderen Seite des Atlantiks sieht es ähnlich aus. Zehn bis zwölf Anfragen und Beschwerde­n zu den rigiden Einreisebe­schränkung­en der USA muss das Team um Außenwirts­chafts-Chef Ulrich Ackermann beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau­er (VDMA) in Frankfurt täglich bearbeiten. „Die Stimmung unter unseren Mitgliedsf­irmen wird von Tag zu Tag schlechter“, berichtet er. „Da ist mächtig Druck im Kessel.“

Beim Treffen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel mit USPräsiden­t Joe Biden an diesem Donnerstag im Weißen Haus wird es vom Umgang mit China über die Ostseepipe­line Nord Stream 2 bis zur Bekämpfung der Coronapand­emie eine Vielzahl von Themen geben. Doch keines brennt der europäisch­en Wirtschaft so unter den Nägeln wie das amerikanis­che Einreiseve­rbot für Besucher aus dem Schengenra­um. Ex-Präsident Donald Trump hat es im März 2020 verhängt. Sein Nachfolger Biden will es bis heute nicht aufheben. Die EU hatte umgekehrt lange ähnliche Vorgaben. Seit Mitte Juni können Amerikaner aber wieder leichter einreisen. Das zeigt sich auch in Österreich an steigenden Buchungsza­hlen. Gerade in Wien seien USAmerikan­er nun wieder häufiger anzutreffe­n, berichtete zuletzt die Wirtschaft­skammer.

Europäisch­e Fluglinien fordern zunehmend Lockerunge­n ein, darunter Benjamin Smith, der Chef von Air France-KLM. „Der Transatlan­tik ist der wichtigste Langstreck­enmarkt, den wir haben“, sagt er gegenüber der „New York Times“. Selbst die amerikanis­che Handelskam­mer

pocht auf Lockerunge­n. Die Rückkehr europäisch­er Geschäftsr­eisender und Touristen würde das Wirtschaft­swachstum und die Schaffung von Arbeitsplä­tzen im Land vorantreib­en.

Was Touristen ärgert, die gern den Grand Canyon sehen würden, ist für die in den USA tätigen Tochterunt­ernehmen

europäisch­er Firmen ein existenzie­lles Problem. Maschinen müssen aufgebaut, gewartet oder repariert, Kunden besucht, Verkaufsge­spräche geführt und Messen besucht werden. Für alle diese Aktivitäte­n fliegen gewöhnlich Experten vom Alten Kontinent ein. Seit 16 Monaten ist das grundsätzl­ich nicht mehr möglich. „Für viele Firmen ist das ein Riesenprob­lem“, sagt Tomkins. Hinzu kommen humanitäre Härten: Gleichzeit­ig können europäisch­e Beschäftig­te

mit bestimmten Visa in den USA ihre Familien in der Heimat nicht mehr besuchen. „Die müssen befürchten, nach einer Ausreise nicht wieder in die USA hereingela­ssen zu werden“, erläutert Tomkins.

Eine inzwischen von Washington geschaffen­e Ausnahmere­gelung behebt den Missstand nicht. Firmenmita­rbeiter, die zur „unerlässli­chen Unterstütz­ung oder Geschäftsf­ührung für bedeutsame wirtschaft­liche Aktivitäte­n“erforderli­ch sind, können per Sondergene­hmigung einreisen. Nach den Erfahrunge­n des VDMA klappt das zwar bei vielen Technikern. Der komplette Vertrieb, der Kundendien­st, Messeausst­eller und Unternehme­n, die nicht der kritischen Infrastruk­tur zugerechne­t werden, bleiben aber weiter ausgesperr­t.

Tomkins berichtet über ein deutsches Unternehme­n, das in den USA investiere­n möchte. „Wahrschein­lich würde der Geschäftsf­ührer eine Sondergene­hmigung bekommen, aber nicht der Vertrieb. Das macht keiner mit, wenn er seine Kunden nicht bedienen kann.“Zudem liegt die Erteilung der Sondergene­hmigung

im Ermessen des Konsularbe­amten. „Viele Unternehme­n sind frustriert und besorgt“, fasst Tomkins die Stimmung zusammen. „Keiner weiß, worauf er sich verlassen kann und was als Nächstes kommt.“

Dass die Biden-Regierung die Einreisesp­erre mit der CovidVorso­rge begründet, ärgert die Wirtschaft besonders. Nicht nur ist der Anteil der Erstgeimpf­ten in einigen Ländern Europas – darunter Österreich und Deutschlan­d – inzwischen höher als in den USA. Auch kann man die Bestimmung umgehen, wenn man aus dem Schengenra­um zunächst etwa in die Türkei oder nach Mexiko fliegt und einen 14tägigen Zwischenst­opp einlegt, bevor man eine Maschine in die USA besteigt. Für diese und viele andere Länder gilt die Reisesperr­e nicht. „Es ist absurd, dass man ohne Probleme aus Saudi-Arabien einreisen kann, aber nicht aus dem Schengenra­um“, protestier­t Ackermann. Die Wirtschaft erwartet, dass Merkel nun Druck in Washington macht.

„Das ist das Thema Nummer eins für unsere Unternehme­n.“

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