Schwammstädte könnten Regenkatastrophen mildern
Versiegelte Flächen sollten zu grünen Rückhaltesystemen umgebaut werden. Darüber hinaus braucht es eine radikale Änderung unseres gesamten Lebensstils.
Städte mit einem Schwamm-Effekt könnten uns bei der Bewältigung der Klimakrise helfen, sagt der Meteorologe Michael Staudinger.
SN: War das, was wir jetzt in Deutschland und Österreich erlebt haben, Wetter oder
Klima?
Michael Staudinger: Es war ein extremes Wetterereignis als Teil des Klimas.
SN: Klimaskeptiker sprechen davon, solche Gewitter und Regenereignisse habe es immer schon gegeben. Ist da was dran?
Natürlich hat es auch schon früher heftige Gewitter mit Überflutungen gegeben. Aber deren Häufigkeit ist dramatisch gestiegen.
SN: Es war bisher immer wieder von 30-jährlichen oder 100-jährlichen Hochwasserereignissen die Rede. Lässt sich diese Einteilung noch aufrechterhalten?
Die Jährlichkeit wird geringer. Was früher 30-jährlich war, wird bald zehnjährlich. Die Statistiken und Rechenmodelle deuten ganz stark auf diese Entwicklung hin.
SN: Wie entstehen solche Starkregen in Salzburg und
Teilen Österreichs?
Zunächst ist da sehr viel Feuchtigkeit in den bodennahen Luftschichten bis 4000 oder 5000 Meter vorhanden, dazu kommt eine starke Erwärmung vom Boden her, und ganz oben ist es sehr kalt. Das ergibt eine explosive Mischung. Die vertikalen Geschwindigkeiten sind extrem hoch. Das steigert die Niederschlagsmengen. Je rascher die Luft aufsteigt, umso intensiver regnet es. Bei den letzten Ereignissen war es keine Front, die durchrauscht, sondern eine sehr geringe horizontale Verlagerungsgeschwindigkeit der Gesamtsysteme.
SN: Die einen sagen, wir müssen sofort etwas gegen die Klimaveränderung tun. Die anderen setzen auf Anpassung. Welcher Weg ist richtig?
Das Problem allein mit Anpassung zu lösen, das wird nicht funktionieren. Oft wird durch eine lokale Schutzmaßnahme das Problem nur nach unten verlagert. Selbst wenn ich überall einen zehn Meter hohen Damm baue, rauscht das Wasser nur noch schneller durch. Wir brauchen Retentionsräume.
SN: Die haben wir aber vor allem in den Städten nicht mehr. Was kann man tun?
Eine Möglichkeit wäre die sogenannte Schwammstadt. Da werden versiegelte Flächen ausgetauscht. Ein grünes Dach mit 20 Zentimetern Humus darauf kann sehr viel Wasser zurückhalten. Wir müssen auch den Bäumen Wurzelraum zurückgeben. Wir würden wertvolle Stunden gewinnen, in denen das Wasser zwischengespeichert werden kann. Das wäre auch für das Mikroklima von Städten gut und würde die Überhitzung verhindern. Wichtig sind auch große landwirtschaftliche Retentionsräume.
SN: Ist das genug? Schutzmaßnahmen werden immer teurer. Und sie werden nicht ausreichen. Wenn man in der Küche steht, es schon warm ist, und man schaltet noch weitere Geräte ein, dann löst man das Problem nicht damit, dass man das Mineralwasser mit Eiswürfeln abkühlt und trinkt. Da müssen wir einfach Maschinen abschalten, Wärmequellen reduzieren. Vereinfacht gesagt: Die Abgabe von weniger Treibhausgasen in die Atmosphäre ist mindestens so wichtig, wenn nicht noch wichtiger als die Anpassungsmaßnahmen. Beides sind große Herausforderungen auch für Österreich.
SN: Sind wir für die Vermeidung nicht schon zu spät dran?
Die politischen Maßnahmen, die jetzt in Europa und auch Österreich getroffen werden, sind unbedingt notwendig. Wir müssen auch ganz schnell die Energieeffizienz verbessern, dezentral Energie erzeugen, so wie es mit der Sonnenenergie ja möglich ist. Sonst sind wir zu spät dran. Energieverbrauch, Mobilität, Lebensstil, wir müssen uns umstellen. Da heißt es immer gleich, das sei radikal. Dabei ist es nur neu. Radikal kommt ja von der Wurzel, meint also grundlegend. Wir müssen alle Wertschöpfungszyklen überdenken. Wir müssen mehr im Homeoffice arbeiten und dadurch Wege sparen. Und wir müssen weg davon, immer auf andere zu zeigen und zu sagen, zuerst müssen die anfangen. Die Schuldzuschreibung innerhalb der wirtschaftlichen Sektoren hilft uns ebenso wenig wie die geografische oder politische. Alle müssen sich ändern.