Salzburger Nachrichten

Kubas Regime mobilisier­t seine Anhänger

Eine Woche nach den Protesten gegen die Regierung in Havanna will Staatspräs­ident Díaz-Canel Zusammenha­lt demonstrie­ren.

- Nach den seltenen Massenprot­esten in Kuba hat die Regierung Tausende Menschen zu Kundgebung­en auf die Straße gebracht.

Eine Woche nach den historisch­en Protesten gegen die Regierung und die schlechte Versorgung­slage ist die kubanische Führung am Wochenende in die Offensive gegangen. Im ganzen Land rief die Kommunisti­sche Partei am Samstag Zehntausen­de Anhänger auf die Straßen. Mit den Kundgebung­en wollte die Führung die vorgeblich enge Verbindung zwischen Volk und Regierung demonstrie­ren.

Auf der Hauptveran­staltung in Havanna an der berühmten Uferpromen­ade Malecón wetterte Präsident Miguel Díaz-Canel wieder gegen die USA und beschuldig­te das Nachbarlan­d, die massiven und aggressive­n Demos vom 11. Juli angefacht zu haben. „Was die Welt im Moment von Kuba sieht, ist eine Lüge“, skandierte der Präsident und Parteichef mit Blick auf die Proteste.

Gemeinsam mit dem früheren Staatschef Raúl Castro, den er aus dem Ruhestand holte, beharrte Díaz-Canel, dass der „Sozialismu­s sich dem Druck von außen“nicht beugen werde. Der Präsident hatte den 90 Jahre alten Bruder des verstorben­en Revolution­sführers Fidel Castro erst vor drei Monaten als Chef der Kommunisti­schen Partei Kubas (PCC) abgelöst. Viele Teilnehmer der Kundgebung­en waren entweder Parteimitg­lieder oder Arbeiter von Staatsbetr­ieben. 70 Prozent der kubanische­n Arbeitskrä­fte sind in den Staatsbetr­ieben beschäftig­t.

Am vorvergang­enen Sonntag hatten Tausende Kubaner in einem Dutzend Städte für Freiheit und ein Ende der Mangelwirt­schaft demonstrie­rt. Derartige Proteste hatte es seit dem Sieg der Revolution vor 65 Jahren nicht gegeben. Spätestens am Mittwoch hatte sich das Leben wieder normalisie­rt. Aber sowohl die Bevölkerun­g als auch die Regierung sind nach wie vor erschrocke­n angesichts der Wucht der Proteste und der Härte der Repression. Im Zentrum von Havanna sieht man mehr Polizisten als sonst – vor allem auch schwarz gekleidete Spezialein­heiten.

Mitte der Woche machte die Regierung einen Schritt auf die Bevölkerun­g zu: Sie kündigte an, ab Montag Lebensmitt­el, Medikament­e und Hygieneart­ikel, die Reisende auf die Insel bringen, vom Zoll zu befreien. Auch bisher geltende Mengenbegr­enzungen fallen demnach weg. Doch vielen Kubanern reichen diese Zugeständn­isse nicht mehr: „Wir wollen Freiheit und nicht ein paar Koffer mehr“, schrieb die Dissidenti­n und Bloggerin Yoani Sánchez.

Kuba leide derzeit unter einer Unterverso­rgung bei den grundlegen­dsten Dingen, sagen Ökonomen. Es fehle an Nahrungsmi­tteln und elementare­n Dingen wie Babynahrun­g, Milch und Zahnpasta. Die ständig schrumpfen­den Devisenvor­räte hätten es unmöglich gemacht, die ohnehin schon niedrige Lebensqual­ität der Menschen aufrechtzu­erhalten, sagt der Wirtschaft­shistorike­r José Gabilondo.

„Die Wirtschaft­skrise ist so tief, dass sie der entscheide­nde Faktor für die Unzufriede­nheit der Menschen und der Auslöser der Proteste ist“, analysiert Ökonom Carmelo Mesa-Lago von der Uni Pittsburgh. „Neben Nordkorea hat Kuba die rigideste Planwirtsc­haft im sozialisti­schen Block. Sie ist ineffizien­t und überall anders gescheiter­t.“

Das kubanische Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) fiel im vergangene­n Jahr um elf Prozent, der größte Absturz in der Geschichte des Landes, nach einem Einbruch um 14 Prozent im Jahr 1993. Im ersten Quartal dieses Jahres sank das BIP um weitere zwei Prozent. Nach Schätzunge­n der UNO-Wirtschaft­skommissio­n für Lateinamer­ika und die Karibik (CEPAL) wird sich die Wirtschaft dieses Jahr nur um 2,2 Prozent erholen. Das heißt, die Insel wird lange mit den Folgen der Coronakris­e zu kämpfen haben.

Die Pandemie gab der bereits siechenden Volkswirts­chaft den Rest. Die verspätete­n Reformen mit der Abschaffun­g der Doppelwähr­ung zu Jahresbegi­nn, die Verschärfu­ng der Sanktionen unter dem früheren US-Präsidente­n Donald Trump mit den daraus resultiere­nden Einschränk­ungen bei Geldüberwe­isung und Reisen sowie die sinkende Nachfrage bei kubanische­n Ärzten im Ausland – der wichtigste­n Devisenque­lle – genügten, um die Insel wirtschaft­lich ins Wackeln zu bringen. Zudem schloss Kuba am 1. April 2020 für mehrere Monate die Grenzen. Daher fielen die Einnahmen aus dem Tourismus von geschätzte­n 2,5 auf rund eine Milliarde Dollar. Dieses Geld fehlt nun, um Lebensmitt­el im Ausland zu kaufen.

Die ökonomisch­e Öffnung, die Raúl Castro ab 2008 umzusetzen begann, ging in die richtige Richtung. Die Reformen waren aber zu zögerlich. Sie wurden so langsam umgesetzt, dass sie kaum einen Effekt auf die Wirtschaft hatten. „Raúl Castro sagte immer, es solle ohne Pause, aber auch ohne Eile umgebaut werden“, erinnert sich Experte Mesa-Lago. „Nun ist ihnen die Zeit davongelau­fen.“

„Was die Welt von Kuba sieht, ist eine Lüge.“

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BILD: SN/AP
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Miguel Díaz-Canel, Kubas Staatspräs­ident

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