Salzburger Nachrichten

Khol, Katschthal­er und der St.-Gilgen-Gast

Wie der deutsche Bundeskanz­ler die ÖVP-Obmannwahl des Jahres 1995 beeinfluss­te.

- Köhler, Mertens (Hg.): „Demokratie braucht Meinungen. Andreas Khol zum 80. Geburtstag.“550 Seiten. Verlag PROverbis. Wien 2021.

WIEN. Die ÖVP-Obmannwahl des Jahres 1995 war eine politische Weichenste­llung von großer Tragweite. Eine wesentlich­e Rolle spielte dabei ein Sommergast in St. Gilgen. Die Details dazu sind nun nachzulese­n, und zwar in der Festschrif­t für Ex-Nationalra­tspräsiden­t Andreas Khol zu dessen 80. Geburtstag.

Die ÖVP befand sich 1995 in einer ähnlichen Lage wie die SPÖ heute: erbitterte Flügelkämp­fe, jahrelange Obmanndeba­tten, Furcht vor einer Parteispal­tung. Die Wiederwahl von Parteichef Erhard Busek war daher umstritten. Als Gegenkandi­dat zu Busek, der dem liberalen Flügel der ÖVP angehörte, war der konservati­ve Klubobmann Andreas Khol im Gespräch, als Kompromiss­kandidat der damals gerade auf Dienstreis­e in Südafrika befindlich­e Wirtschaft­sminister Wolfgang Schüssel.

In der entscheide­nden Sitzung des Parteivors­tands ging es hoch her, die ÖVP konnte und konnte sich nicht auf einen Kandidaten einigen. Da meldete sich der Salzburger Landeshaup­tmann Hans Katschthal­er zu Wort und überbracht­e folgende Botschaft des deutschen Bundeskanz­lers und langjährig­en St.-Gilgen-Urlaubers Helmut Kohl: „Wenn der Andreas

Khol gewählt wird, dann komme ich nicht mehr jedes Jahr nach St. Gilgen! Nehmt den Schüssel!“

Der frühere CDU-Ministerpr­äsident von Thüringen und Rheinland-Pfalz, Bernhard Vogel, nennt in der Festschrif­t für diese Interventi­on Kohls einen eigenartig­en Grund: „Andreas Khol sprach ihm zu häufig englisch.“Laut Khol hat diese kuriose Begründung einen realen politische­n Hintergrun­d: Österreich habe bei seinem Weg in die EU darauf geachtet, nicht „an der Hand Deutschlan­ds“in die Union zu gehen, um keine Widerständ­e seitens Frankreich­s und Englands zu provoziere­n. Daher hätten er, Khol, und auch Außenminis­ter

Alois Mock bei internatio­nalen Tagungen immer englisch und französisc­h gesprochen, nicht deutsch. Das habe der deutsche Kanzler nicht goutiert.

Inwieweit Kohls Interventi­on zugunsten Schüssels ausschlagg­ebend war, ist nicht bekannt. Jedenfalls wurde Schüssel zum neuen Parteichef gewählt, führte die ÖVP wenige Jahre später aus der Großen Koalition und damit ins Kanzleramt und auf Platz eins. Sein heutiger Nachfolger ging den gleichen Weg.

Newspapers in German

Newspapers from Austria