Khol, Katschthaler und der St.-Gilgen-Gast
Wie der deutsche Bundeskanzler die ÖVP-Obmannwahl des Jahres 1995 beeinflusste.
WIEN. Die ÖVP-Obmannwahl des Jahres 1995 war eine politische Weichenstellung von großer Tragweite. Eine wesentliche Rolle spielte dabei ein Sommergast in St. Gilgen. Die Details dazu sind nun nachzulesen, und zwar in der Festschrift für Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol zu dessen 80. Geburtstag.
Die ÖVP befand sich 1995 in einer ähnlichen Lage wie die SPÖ heute: erbitterte Flügelkämpfe, jahrelange Obmanndebatten, Furcht vor einer Parteispaltung. Die Wiederwahl von Parteichef Erhard Busek war daher umstritten. Als Gegenkandidat zu Busek, der dem liberalen Flügel der ÖVP angehörte, war der konservative Klubobmann Andreas Khol im Gespräch, als Kompromisskandidat der damals gerade auf Dienstreise in Südafrika befindliche Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel.
In der entscheidenden Sitzung des Parteivorstands ging es hoch her, die ÖVP konnte und konnte sich nicht auf einen Kandidaten einigen. Da meldete sich der Salzburger Landeshauptmann Hans Katschthaler zu Wort und überbrachte folgende Botschaft des deutschen Bundeskanzlers und langjährigen St.-Gilgen-Urlaubers Helmut Kohl: „Wenn der Andreas
Khol gewählt wird, dann komme ich nicht mehr jedes Jahr nach St. Gilgen! Nehmt den Schüssel!“
Der frühere CDU-Ministerpräsident von Thüringen und Rheinland-Pfalz, Bernhard Vogel, nennt in der Festschrift für diese Intervention Kohls einen eigenartigen Grund: „Andreas Khol sprach ihm zu häufig englisch.“Laut Khol hat diese kuriose Begründung einen realen politischen Hintergrund: Österreich habe bei seinem Weg in die EU darauf geachtet, nicht „an der Hand Deutschlands“in die Union zu gehen, um keine Widerstände seitens Frankreichs und Englands zu provozieren. Daher hätten er, Khol, und auch Außenminister
Alois Mock bei internationalen Tagungen immer englisch und französisch gesprochen, nicht deutsch. Das habe der deutsche Kanzler nicht goutiert.
Inwieweit Kohls Intervention zugunsten Schüssels ausschlaggebend war, ist nicht bekannt. Jedenfalls wurde Schüssel zum neuen Parteichef gewählt, führte die ÖVP wenige Jahre später aus der Großen Koalition und damit ins Kanzleramt und auf Platz eins. Sein heutiger Nachfolger ging den gleichen Weg.