Warum man dem Gesang der Sirenen widerstehen sollte
Der griechischen Mythologie zufolge ist der Gesang der Sirenen betörend. Seefahrer, die ihm folgten, kamen mit Sicherheit um. In der Neuzeit ist die Funktion von Sirenen eine grundlegend andere, nämlich Menschen vor einer Katastrophe zu warnen, um ihre Haut retten zu können. Dennoch erweckt die Diskussion in Deutschland über die missglückten Warnungen vor der Flut den Eindruck, das gesamte Problem wäre mit der Wiederanschaffung von Sirenen in den Gemeinden gelöst. Im Unterschied zu Österreich wurden in Deutschland nämlich nach dem Kalten Krieg die Sirenen in den Orten abgebaut, weil man davon ausging, sie nicht mehr zu benötigen.
Warum man dem Gesang der Sirenen auch heute nicht erliegen sollte, hat einen einfachen Grund: Wer Menschen erreichen will, die sich alle rühmen, einen höchst individuellen Lebensstil zu haben, braucht nicht bloß eine Sirene, um in der Breite zu ihnen vordringen zu können. Die permanente Erreichbarkeit, auf die man so stolz ist, ist eine Illusion. Zwar hatte die Bevölkerung noch nie so viele Medien im Haus wie heute, von der Zeitung über Fernsehen und Radio bis hin zu Social Media und dem World Wide Web. Noch nie waren so viele Informationen in Echtzeit abrufbar. Auch waren die Menschen in Summe noch nie so gebildet wie heute. Und doch dringt man im Fall des Falles zu diesem Kollektiv kaum vor.
Es fehlt die Klammer, das eine Ding, das im Notfall alle hören oder sehen, und alle verstehen. Der Zauberstab. Gibt es den? Nicht mehr. Da haben Unternehmen, die täglich trotz permanenter Reizüberflutung mit Mitarbeitern und Kunden im Kontakt stehen müssen, bereits viel gelernt: In der Breite erreicht man die Bevölkerung nur, da sind die Erfahrungen im Marketing auch für den Katastrophenschutz lehrreich, indem man mehrere Technologien und Kanäle gleichzeitig einsetzt, also moderne
Sirenen, die Nachrichten weitergeben, Radio, Fernsehen und SMS über Mobiltelefone etwa mittels Cell Broadcasting, über das Warnungen automatisch an alle Menschen gehen, die mit ihren Mobiltelefonen in einer Region eingeloggt sind. Die alte Sirene genügt heutigen Ansprüchen nicht. Es braucht direkte Anweisungen, wie sich Menschen in einer Katastrophe verhalten sollen. Gewiss, der nötige Mix an Medien und Technologien ist teuer, doch das ist der Preis der Individualisierung und Reizüberflutung. Will man Erfolg haben, muss man investieren, da führt kein Weg vorbei. Die Kunst ist stets, alte und moderne Technologien gut zu verbinden. Auf diesen Stand muss auch der Katastrophenschutz gebracht werden.