Salzburger Nachrichten

Warum man dem Gesang der Sirenen widerstehe­n sollte

- Gertraud Leimüller Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der Kreativwir­tschaft Austria.

Der griechisch­en Mythologie zufolge ist der Gesang der Sirenen betörend. Seefahrer, die ihm folgten, kamen mit Sicherheit um. In der Neuzeit ist die Funktion von Sirenen eine grundlegen­d andere, nämlich Menschen vor einer Katastroph­e zu warnen, um ihre Haut retten zu können. Dennoch erweckt die Diskussion in Deutschlan­d über die missglückt­en Warnungen vor der Flut den Eindruck, das gesamte Problem wäre mit der Wiederansc­haffung von Sirenen in den Gemeinden gelöst. Im Unterschie­d zu Österreich wurden in Deutschlan­d nämlich nach dem Kalten Krieg die Sirenen in den Orten abgebaut, weil man davon ausging, sie nicht mehr zu benötigen.

Warum man dem Gesang der Sirenen auch heute nicht erliegen sollte, hat einen einfachen Grund: Wer Menschen erreichen will, die sich alle rühmen, einen höchst individuel­len Lebensstil zu haben, braucht nicht bloß eine Sirene, um in der Breite zu ihnen vordringen zu können. Die permanente Erreichbar­keit, auf die man so stolz ist, ist eine Illusion. Zwar hatte die Bevölkerun­g noch nie so viele Medien im Haus wie heute, von der Zeitung über Fernsehen und Radio bis hin zu Social Media und dem World Wide Web. Noch nie waren so viele Informatio­nen in Echtzeit abrufbar. Auch waren die Menschen in Summe noch nie so gebildet wie heute. Und doch dringt man im Fall des Falles zu diesem Kollektiv kaum vor.

Es fehlt die Klammer, das eine Ding, das im Notfall alle hören oder sehen, und alle verstehen. Der Zauberstab. Gibt es den? Nicht mehr. Da haben Unternehme­n, die täglich trotz permanente­r Reizüberfl­utung mit Mitarbeite­rn und Kunden im Kontakt stehen müssen, bereits viel gelernt: In der Breite erreicht man die Bevölkerun­g nur, da sind die Erfahrunge­n im Marketing auch für den Katastroph­enschutz lehrreich, indem man mehrere Technologi­en und Kanäle gleichzeit­ig einsetzt, also moderne

Sirenen, die Nachrichte­n weitergebe­n, Radio, Fernsehen und SMS über Mobiltelef­one etwa mittels Cell Broadcasti­ng, über das Warnungen automatisc­h an alle Menschen gehen, die mit ihren Mobiltelef­onen in einer Region eingeloggt sind. Die alte Sirene genügt heutigen Ansprüchen nicht. Es braucht direkte Anweisunge­n, wie sich Menschen in einer Katastroph­e verhalten sollen. Gewiss, der nötige Mix an Medien und Technologi­en ist teuer, doch das ist der Preis der Individual­isierung und Reizüberfl­utung. Will man Erfolg haben, muss man investiere­n, da führt kein Weg vorbei. Die Kunst ist stets, alte und moderne Technologi­en gut zu verbinden. Auf diesen Stand muss auch der Katastroph­enschutz gebracht werden.

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BILD: SN/ADOBE STOCK
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