„Kunststoff kann man nicht verbannen, aber besser verwenden“
Borealis-Vorstandschef Thomas Gangl warnt davor, Plastik zu verteufeln. Er will es künftig besser nützen.
Es könne nicht länger sein, dass Kunststoffe verbrannt oder deponiert werden, sagt der neue Vorstandschef der OMV-Tochter Borealis, Thomas Gangl. Um zu verhindern, dass Plastik im Meer und in den Flüssen landet, müsse es in viel stärkerem Maß als bisher wiederverwertet werden. Borealis investiert daher stark in mechanisches und chemisches Recycling. Um das so effizient wie möglich zu machen, müsse man bereits beim Design von Produkten ansetzen. Rufe nach einem völligen Ausstieg aus Plastik hält er für einen Irrweg. In vielen Bereichen des täglichen Lebens, von der Mobilität bis zum Gesundheitssektor, komme man nicht ohne Kunststoff aus.
MONIKA GRAF
Borealis, einer der weltgrößten Hersteller von Kunststoff und seit 2020 mehrheitlich im Besitz der OMV, legt den Fokus künftig voll auf Recycling. Neo-Vorstandschef Thomas Gangl hat da schon Erfahrung.
SN: Borealis hat sich kürzlich in Belgien an einem Start-up für Kunststoffrecycling beteiligt. Ist das die künftige Strategie? Thomas Gangl: Wir waren der erste große Kunststoffhersteller, der Recycling als Teil des Geschäftsmodells gesehen hat. Wir haben 2016 begonnen, in dieses Geschäft einzusteigen, mit dem Kauf der steirischen Ecoplast und der MTM in Deutschland, weil dieses Knowhow in der Borealis nicht vorhanden war. Das war ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft. Mechanisches Recycling ist ein zentraler Bestandteil unserer Überlegungen, aber es reicht nicht, weil damit doch ein wesentlicher Anteil von Kunststoff nicht in den Kreislauf zurückgebracht werden kann.
SN: Was kann Renasci, was Borealis bisher nicht kann?
Ich habe in der OMV als Leiter der Forschung das Thema chemisches Recycling schon vor zehn Jahren gepusht. Renasci hat eine Technologie entwickelt, die sowohl im mechanischen als auch im chemischen Recycling gute Fortschritte macht. Daher haben wir uns entschlossen, einzusteigen. Bei diesem Prozess kommt gemischter Abfall zum Einsatz, der Metall, Glas und dergleichen enthält. Er wird so aufbereitet, dass in jeder Fraktion die maximale Wiederverwendbarkeit und Einsatzmöglichkeit sichergestellt ist. Am Ende bleiben fünf Prozent übrig, und die bleiben auch nicht übrig, sondern werden in der Bauindustrie zugemischt. Damit ist eine abfallfreie Aufbereitung möglich. Das ist eine einzigartige Herangehensweise und die einzig logische.
SN: Planen Sie weitere Beteiligungen?
Wir haben auch Forschungsprojekte mit Unis laufen. Wir könnten uns an vielen Unternehmen beteiligen, es gibt laufend Anfragen. Derzeit werden allein 400 chemische Recyclingverfahren erforscht. Wir haben beschlossen, wir fokussieren uns auf zwei, drei Technologien und entwickeln die bis 2025 weiter.
SN: Chemisches Recycling stößt auf Kritik, weil es viel Energie braucht. Ändert das nichts an Ihrer Haltung?
Es funktioniert, die Frage ist, wie groß es sich skalieren lässt. Der Energieeinsatz ist bei Glas-Recycling viel höher, da sind 2000 Grad notwendig. Für das ReOil-Verfahren der OMV reichen 400 Grad. Trotzdem braucht es Energie, aber der CO2-Ausstoß ist um 45 Prozent geringer als bei Rohöl. Das habe ich auch mit Ministerin (Leonore, Anm.) Gewessler besprochen. Es ist ein Lösungsansatz, den wir in Kombination mit anderen brauchen. Wo schaffen Sie sonst in einem Schritt eine solche CO2-Reduktion?
SN: Die beste Lösung wäre Vermeiden, sagen Klimaschützer. Sie sehen das anders?
Wir sehen, dass wir mit dem Kreislauf ganz vorn beginnen müssen, schon bevor wir produzieren. Wir suchen derzeit Kooperationen, um die Einsatzstoffe in Richtung erneuerbar zu trimmen. Es gibt da noch wenig Möglichkeiten. Der nächste Schritt ist, mit den Kunden zu überlegen, wie ein Produkt designt sein muss, damit es überhaupt wiederverwendet oder gut recycelt werden kann. Das heißt, es muss aus möglichst wenig verschiedenen Materialien bestehen. Weil wir die gesamte Wertschöpfungskette abdecken, wissen wir, was bei Recycling wichtig und was materialtechnisch möglich ist. In dieser Kombination können wir maximale Ökoeffizienz erreichen. In der Vergangenheit wurden die Materialien mit den besten Eigenschaften verwendet. Dann kamen Mischprodukte heraus, mit Zusatzstoffen. Das Ziel ist, das Bewusstsein bei unseren Kunden dafür zu schärfen, wo am Ende der Kette ein Problem auftritt, wenn sie ein Produkt so oder so machen.
SN: Plastik ist nicht schlecht per se, sondern nur bestimmtes? Es gibt immer wieder Ansätze, „wir müssen von Plastik loskommen“. Man kann aber kein modernes Leben ohne Plastik führen – weder ökologisch noch ökonomisch. Lebensmittel, Mobilität, der Gesundheitssektor funktionieren nur mit Kunststoff. In der Pandemie hätten wir ohne Kunststoffe Verhältnisse wie bei der Spanischen Grippe gehabt. Auch im Energiesektor geht es nicht ohne. Für Stromkabel, vor allem für Isolierung, sind hochreine Kunststoffe nötig, Borealis ist hier Weltmarktführer. Windräder zu bauen ohne Kunststoff ist nicht möglich, Photovoltaik ohne Kunststoff auch nicht. Wenn man die Fakten ansieht, zeigt sich: Nicht Kunststoff ist schlecht, sondern das, was die Menschen mitunter damit tun.
SN: Sie meinen Millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren? 55 Prozent der Abfälle im Meer kommen aus fünf Ländern, China, Indonesien, Thailand, Vietnam, Philippinen. 2017 haben wir in Indonesien das Projekt „Stop Ocean Plastics“initiiert, gemeinsam mit der NGO Systemiq. Es geht nicht nur um Plastik, sondern um den Aufbau einer kreislauforientierten Abfallinfrastruktur. An einem vermüllten Strand sind nur 10 bis 15 Prozent Kunststoff, aber der ist gut sichtbar. Wir haben Mülltrennung für 200.000 Menschen aufgebaut samt Recyclinganlagen. Das ist so gut gelaufen, dass wir das Projekt bis 2025 auf zwei Millionen Menschen ausweiten wollen. So wollen wir sicherstellen, dass die Materialien nicht in den Flüssen und im Meer landen. Wir haben Partner gefunden, die mitfinanzieren, denn es geht um Millionenbeträge.
SN: Für Recycling wird viel mehr Geld nötig sein. Warum passiert hier noch so wenig?