Lou Reed schickt Stromstöße vom Grab im Underground
SALZBURG. In diesen elf Songs war nichts zu hören, was in die Zeit gepasst – oder in dieser Zeit gar massenhaft gefallen hätte: In provokanten Texten erzählten The Velvet Underground über Gewalt, Sadomasochismus, Trans- und Homosexualität, Drogensucht. Tabu! Jedenfalls damals 1967, als das Debüt „The Velvet Underground & Nico“erschienen war.
Zum größten Teil wurde es von Kunstfabrikant Andy Warhol produziert. Nico sang sanft. John Cale und Lou Reed waren in der Band die beiden Antipoden, in einer aufregend unkonventionellen Musiklandschaft, in der Songs wie „Venus In Furs“, „All Tomorrow’s Parties“oder „I’m Waiting For The Man“geboren wurden. Heute gilt das einst wenig beachtete Album als Kult, ja als wegweisend, wird zu den einflussreichsten der Popgeschichte gezählt. Und es sind wohl auch jetzt unter denen, die diesem Album in der Gegenwart Tribut zollen, welche, die ohne dieses Album nicht täten, was sie tun: Pop- und Rockmusik machen. Es ist nicht überraschend, dass eine ganze Reihe großer Namen Teil dieser kompletten Neueinspielung mit dem Titel „I’ll Be Your Mirror – A Tribute To The Velvet Underground“sind. Mit dabei sind unter anderem Sharon Van Etten, St. Vincent, Iggy Pop und auch Michael Stipe (einst R.E.M.).
Das Erstaunliche: Die Huldigung gelingt, auch wenn die Vorlagen sich wie Ikonen eingebrannt haben ins kulturelle Popbewusstsein und der Charme der Düsternis und des Tabus freilich fehlt. Auch dort, wo es etwa bei Stipe und seiner Version von „Sunday Morning“ein bisserl glatt wird, bleibt die Grundkraft erhalten. Es herrscht – dazu höre man vor allem Iggy Pops räudige Version von „European Son“– enorme Energie; so als versetzten die schon verstorbenen Velvet-Mitglieder Nico und Lou Reed aus dem Grab noch einmal Stromstöße.