Ein Riese in China wankt, die Welt zittert
Der Immobilienkonzern Evergrande steckt seit geraumer Zeit in Schwierigkeiten. Die Angst vor der Pleite geht um. Tritt der Staat als Retter auf?
Der Chef des vom Zusammenbruch bedrohten chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande hat Mitarbeitern in einem Brief Mut zugesprochen. Er sei fest davon überzeugt, dass man den „dunkelsten Moment“überwinden könne, hieß es in dem am Dienstag anlässlich des chinesischen Mondfestes verschickten Schreiben von Vorstandschef Xu Jiayin, das von Staatsmedien verbreitet wurde. Evergrande werde in der Lage sein, die Wiederaufnahme des Baus und der Produktion in vollem Umfang zu beschleunigen und das Hauptziel der „Sicherstellung der Übergabe von Gebäuden“zu erreichen, um Hauskäufern, Investoren, Partnern und Finanzinstituten eine „verantwortungsvolle Antwort“zu geben.
Evergrande hat Schulden von umgerechnet mehr als 300 Mrd. US-Dollar (256 Mrd. Euro) angehäuft. Anleger befürchten einen Zahlungsausfall. Der angeschlagene Konzern muss frisches Geld auftreiben, um Banken, Zulieferer und Anleihegläubiger fristgerecht zu bezahlen. Wie der Finanzdienst Bloomberg berichtete, muss der Konzern am Donnerstag auf zwei Anleihen Zinszahlungen im Umfang von über 100 Mill. Dollar leisten. Jedoch gelte dafür eine Nachfrist von 30 Tagen, was Evergrande weitere Zeit verschaffen könnte.
Die Angst vor einem bevorstehenden Kollaps hat den Aktienkurs von Evergrande am Dienstag erneut kräftig schwanken lassen. An der Hongkonger Börse verloren die Papiere des Konzerns in der Spitze um über sieben Prozent, holten im Verlauf des Tages aber wieder auf. Seit
Anfang des Jahres haben die Aktien des Immobilienkonzerns bereits mehr als 85 Prozent eingebüßt.
Die US-Ratingagentur S&P hatte in einer Mitteilung am Montag davor gewarnt, dass nicht von einer Rettung des Konzerns durch die chinesische Regierung ausgegangen werden könne. Peking wäre demnach nur dann zum Eingreifen gezwungen, „wenn es zu einer weitreichenden Ansteckung käme, die den Zusammenbruch mehrerer großer Bauunternehmen zur Folge hätte und systemische Risiken für die Wirtschaft darstellen würde“, teilte S&P mit. Eine Pleite von Evergrande allein würde aber vermutlich nicht zu einem solchen Szenario führen, hieß es von S&P weiter.
Evergrande hat binnen 15 Jahren den Aufstieg zum zweitgrößten Immobilienentwickler in China geschafft. Der frühere Stahlwerksarbeiter Xu Jiayin kaufte günstige Objekte in kleineren Städten und nützte den Immobilienboom geschickt für sich. Die stetig steigenden Preise ermöglichten ein rasantes Wachstum, weil die im Wert gestiegenen Objekte als Sicherheit für den Kauf neuer eingesetzt werden konnten. Aktuell ist Evergrande in 1300 Bauprojekten in der gesamten Volksrepublik engagiert. Die Immobiliensparte ist aber nur ein Teil des Firmenimperiums, das der inzwischen zum Milliardär gewordene Xu Jiayin seit 1996 aufgebaut hat – zum Portfolio gehören mittlerweile auch Elektroautos, Versicherungen, Mineralwasser, selbst im Fußball mischt Evergrande mit.
Im Vorjahr geriet allerdings Sand ins Getriebe der bis dahin gut geölten Geldmaschine. Im September 2020 kursierten erste Gerüchte, der Konzern sei auf Staatshilfe angewiesen, was Evergrande heftig dementierte. Nachdem man im Juni mit Zinszahlungen in Verzug gekommen war, erfolgte allerdings der Offenbarungseid. Das Management von Evergrande musste zugeben, in massiven Liquiditätsproblemen zu stecken und dass ohne neue Kredite für Projekte und den Verkauf von Beteiligungen Ausfälle drohten. Das schreckte einige Banken auf, die Kredite nicht verlängerten, Ratingagenturen stuften die Bonität herab. Damit stand das auf Pump finanzierte Geschäftsmodell mit einem Schlag auf der Kippe.
Chinas Zentralbank hatte schon 2018 gewarnt, dass Evergrande möglicherweise ein Risiko für das Finanzsystem darstelle. Im Vorjahr stand der Immobilienriese bei rund 130 Banken und 120 Unternehmen außerhalb der Finanzbranche in der Kreide. Die Ratingagentur Fitch glaubt zwar nicht an einen Crash des chinesischen Bankensystems, erwartet aber, dass kleinere Institute in die Pleite rutschen könnten.
Mit Argusaugen wird in und außerhalb Chinas beobachtet, wie sich die Regierung verhält. Bisher hat sich die Hoffnung, dass der Staat Evergrande zu Hilfe eilt, nicht erfüllt. Im Gegenteil, die von den Aufsichtsbehörden in den vergangenen Monaten erlassenen Vorschriften für den Immobilienmarkt hinsichtlich der zulässigen Verschuldung und der nötigen liquiden Mittel haben die Lage noch verschärft. Daher halten es Experten für unwahrscheinlich, dass die Regierung den Immobilienriesen auffängt. Es dürfte eher auf eine Zerschlagung hinauslaufen. Um zu verhindern, dass viele kleine Anleger um ihr Geld umfallen, das sie in Evergrande investiert haben, könnten regionale Behörden die in Bau befindlichen Projekte fertigstellen.
Am Montag hatten die Ängste um einen möglichen Kollaps des chinesischen Immobilienriesen auch an der Wall Street für große Kursverluste gesorgt. Dass ein Crash von Evergrande Schockwellen im Weltfinanzsystem auslösen könnte, erwarten Experten allerdings nicht.
Es könnte aber indirekte Effekte geben. Evergrande ist nicht das einzige Unternehmen im Immobilienmarkt, das Probleme hat. Wenn die Blase dort platzt, bliebe das nicht ohne Wirkung auf die übrige Wirtschaft. Chinas Wachstum würde sich verlangsamen, das würde auch die Exporte der Welt in die Volksrepublik dämpfen.
„Ich bin fest überzeugt, dass wir den ,dunkelsten Moment‘ überwinden.“
Xu Jiayin, Evergrande-Vorstandschef