Deutschland erwartet Rekordanteil von Briefwählern
Zweifel an der Sicherheit der Briefwahl gibt es kaum. Ihre Verfassungsmäßigkeit beschäftigte aber schon die Gerichte.
Allgemein, unmittelbar, frei, gleich, geheim, öffentlich: Nach diesen Grundsätzen müssen Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland ablaufen. Ob die Briefwahl dem entgegensteht, darüber mussten die Verfassungsrichter in Karlsruhe schon mehrfach entscheiden. Ganz grundsätzlich taten sie das schon 1967, zehn Jahre nach der Einführung der Briefwahl. Damals urteilte das Gericht, die Briefwahl verletze weder die Freiheit bei der Abstimmung noch das Wahlgeheimnis; unter anderem, weil der Wähler mit seiner Unterschrift eidesstattlich erkläre, frei gewählt zu haben, und durch das Postgeheimnis in diesem Fall auch das Wahlgeheimnis gewahrt sei.
Damals mussten die Deutschen noch gute Gründe vorbringen, wollten sie per Wahlschein abstimmen. Krankheit, fortgeschrittenes Alter oder berufliche Verpflichtungen galten als Argumente. Seit 2008 ist diese Angabe von Gründen nicht mehr notwendig, um einen Wahlschein zu beantragen. Erstmals schlagend wurde die neue Regelung bei der Europawahl 2009.
Es war eine politische Entscheidung, die letztlich erneut vor dem Verfassungsgericht landete. Der befand 2013, dass auch die Änderung im Wahlrecht nichts an der Verfassungsmäßigkeit der Briefwahl ändere. Gleichzeitig verwiesen die Richter auf Einschränkungen durch die Briefwahl, etwa bei der öffentlichen Kontrolle der Stimmabgabe. „Unverhältnismäßig eingeschränkt“würden die Grundsätze der Wahl aber nicht. Es ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung, das heißt: Der Vorteil, die Wahlbeteiligung durch die Briefwahl zu erhöhen, überwiegt. Zumindest gilt das derzeit. Denn die Richter sagten auch, bei einer starken Zunahme der Briefwahl könne es einen Konflikt mit dem Verfassungsrecht geben.
Wann aber ist die Zunahme zu groß? Bei der Bundestagswahl 2013, etwa zu der Zeit also, als die Richter sich dazu äußerten, lag der Anteil der Briefwähler bei 24,3 Prozent. Bei der darauffolgenden Bundestagswahl
2017 waren es bereits 28,6 Prozent. In mehreren Bundesländern lag die Quote damals schon weit über 30 Prozent, etwa in Bayern mit 37,3 Prozent, in Hamburg mit 37 Prozent oder in Rheinland-Pfalz mit 34,8 Prozent. Diesmal wird mit einem Anteil von Briefwählern von bis zu 50 Prozent gerechnet.
Ob das schon zu viel ist, müssten letztlich die Verfassungsrichter beurteilen. Für den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags steht nur fest: Eine reine Briefwahl wäre nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts nicht möglich. Er verwies in einem Bericht vom Frühjahr 2020 darauf, dass auch unter Experten die gegebene Einschränkung von Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit bei der Briefwahl nur toleriert werden könne, solange diese Ausnahme bleibe. Eine Ausnahme, die in Pandemiezeiten wohl sehr leicht zu rechtfertigen ist.