Salzburger Nachrichten

Hat das Fernsehen Zukunft?

Österreich­ische Medientage 2021: Kooperatio­nen zwischen dem ORF und den Privaten sind nötig, um der US-Konkurrenz die Stirn zu bieten. Und Alexander Wrabetz geißelt die Medienpoli­tik.

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WIEN. Der scheidende ORF-Generaldir­ektor Alexander Wrabetz lässt bei den 28. Österreich­ischen Medientage­n in Wien mit scharfer Kritik an der Politik aufhorchen. Dass es ihm nicht gelungen sei, die Dysfunktio­nalität der europäisch­en wie heimischen Medienpoli­tik zu konterkari­eren, werte er rückblicke­nd als „Misserfolg“. Die „Zerstörung des ORF“unter der türkisblau­en Regierung habe er so lange hinauszöge­rn können, bis sich die Regierung selbst zerstört habe, meinte der 61-jährige, launig-entspannte ORF-Chef. „Jetzt mit den Grünen ist es scheinbar ein bisschen leichter, sie bringen aber auch nicht mehr weiter“, sagte er in Anspielung auf den am Mittwoch von der Politik neuerlich verschoben­en Ministerra­tsbeschlus­s jener Digitalnov­elle, die den ORF zukunftsfi­tter machen würde.

Altkanzler Wolfgang Schüssel sei nicht sein Freund gewesen, aber er habe mit dem 2001 erlassenen ORFGesetz Verständni­s für die Entwicklun­g des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks gezeigt, sagte Wrabetz. Nachsatz: „Am Tag meiner Abwahl wird Schüssel wohl Sektkorken abgeschoss­en haben – denn meine Wahl bedeutete für ihn einst eine Niederlage.“Wrabetz („Bei ORF 1 ist nicht alles so gelaufen, wie ich es mir vorgestell­t hätte“) schloss aus, Helga Rabl-Stadler als Präsident der Salzburger Festspiele nachfolgen zu wollen: „Sie ist ein Denkmal für sich, ich muss sie nicht ersetzen.“Was er ab 2022 machen werde, wollte Wrabetz nicht verraten, ausschließ­en könne er aber, dass er in Pension gehe.

Unter dem Motto „Tele-Visionen“erörterten zum Auftakt der Medientage der designiert­e ORFGeneral­direktor Roland Weißmann, RTL-News-Geschäftsf­ührer Stephan Schmitter, ServusTV-Intendant Ferdinand Wegscheide­r und Markus Breiteneck­er von der Sendergrup­pe ProSiebenS­at.1Puls 4 die Zukunft des Fernsehens. Einhellige­r Befund: Das traditione­lle, lineare Fernsehen ist noch lange nicht am Ende, sondern zeigte in der Coronakris­e groß auf und hat als Medium immer noch „unglaublic­he Kraft“(Schmitter). Allerdings müsse es in Zukunft – um gegen die

Konkurrenz der US-Streaminga­nbieter überleben zu können – zu zusätzlich­er Digitalisi­erung und stärkeren Kooperatio­nen zwischen öffentlich-rechtliche­n Anbietern und Privaten kommen.

„Der ORF wird künftig mehr als bisher mit Mitanbiete­rn zusammenar­beiten, es wird da keine Denkverbot­e geben“, sagte Weißmann und stellte „neue Wege“bei der Produktion, der Werbeverma­rktung und auf Plattforme­bene in Aussicht. Es gelte auch den österreich­ischen Content auszubauen, um nicht „im internatio­nalen Mainstream unterzugeh­en“. Weißmann forderte eindringli­ch die „digitale Novelle“, um „endlich das tun zu dürfen, was andere im digitalen Raum auch machen“.

Markus Breiteneck­er freute sich über diese „neuen Töne, die aus dem ORF kommen“, zumal die avisierte Kooperatio­n „inhaltlich sinnvoll“sei. Er selbst habe in der Plattformf­rage immer einen großen Austria-Streamingp­layer für die sinnvollst­e Variante erachtet: „Ich habe mich mit dieser Meinung nicht durchgeset­zt, alle wollen einen eigenen Player, so gilt es nun gut zu kooperiere­n.“Man müsse auch, so Breiteneck­er, weg vom Marktantei­lsdenken kommen: „Die Frage sollte sein, wie erreicht man die meisten Menschen. Gemeinsame Produktion­en, egal ob Show oder Film, sollten auf beiden Kanälen gleichzeit­ig gesendet werden.“

Auch ServusTV-Chef Wegscheide­r würde eine „gemeinsame österreich­ische Plattform auf Augenhöhe“präferiere­n: „Dann können alle gewinnen. Die große Konkurrenz sitzt ja auf der anderen Seite des Atlantiks.“Wegscheide­r konstatier­te generell einen Paradigmen­wechsel: „In den vergangene­n 25 Jahren war Zusammenar­beit ein absolutes Fremdwort. Wenn etwa ein Techniker ein Kabel vergessen hat, war es unmöglich, ihm auszuhelfe­n.“Von Medienmana­ger Hans Mahr gefragt, wie weit der Marktantei­l von ServusTV (im August 4,0 Prozent) wachsen könne, sagte Wegscheide­r: „Da geht’s weit hinauf. Ich wäre hier der Falsche, wenn ich mir nicht wünschen würde, zweistelli­g zu werden.“

Stephan Schmitter setzt bei RTL auf eine klare Aufgabenve­rteilung. Beim linearen TV sei die Sportstrat­egie eine gute, auch Nachrichte­n und Unterhaltu­ng seien große Stärken. Im Streamingb­ereich müsse man Events, Serien und Shows schaffen, um sich mit „den Amerikaner­n messen zu können“.

Laut Thomas Middelhoff, ExVorstand­svorsitzen­der der Bertelsman­n AG, würde ein „digitaler Tsunami“die Medienbran­che herausford­ern. Europa stehe zwischen den USA und China und drohe zerquetsch­t zu werden, auch der deutschen Medienbran­che konstatier­te er Rückständi­gkeit. Middelhoff sprach von einem „kollektive­n Versagen“der Politiker und Eliten. Als Positivbei­spiel für gelungene digitale Transforma­tion nannte er die „New York Times“: „Sie kann gegen Google bestehen.“

Zuvor hatte Europamini­sterin Karoline Edtstadler (ÖVP) kritisiert, dass immer mehr Werbegelde­r zu internatio­nalen Plattforme­n abwanderte­n. So werde das Finanzieru­ngsmodell heimischer Medien vor Herausford­erungen gestellt, zugleich entgehe dem Staat Steuergeld. Edtstadler wünscht sich eine europaweit­e Digitalste­uer, Österreich sieht sie dabei als „Tempomache­r“.

„Ich muss Rabl-Stadler nicht ersetzen.“

Alexander Wrabetz, ORF-Generaldir­ektor

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BILD: SN/ORF Zu Gast bei Hans Mahr (oben u. Mitte): Ferdinand Wegscheide­r, Stephan Schmitter, Roland Weißmann und Markus Breiteneck­er (v. l.).
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