Nicht hinter einer Maschine verstecken
Chatbots kündigen Mitarbeitern, Software überwacht sie: Wollen wir das?
Wieder einmal ist es der Onlinehändler Amazon, der das Spiel zu weit treibt: Laut einer Recherche der Nachrichtenagentur Bloomberg wird in den USA Zustellern des weltgrößten Onlinehändlers via Chatbot gekündigt. Eine Überwachungssoftware entscheidet, wie gut Fahrer ihren Job machen, und wirft jene, die den Anforderungen nicht entsprechen, über eine automatisch versandte Nachricht hinaus.
Da bleibt einem der Mund offen. Dass die Software es auch als Fehler wertet, wenn Zusteller von einem Auto überholt werden, ist nur ein kleines Detail, das das Ausmaß der Kaltschnäuzigkeit zeigt, mit der hier mit Menschen umgegangen wird: Unter dem Deckmantel der Effizienz – Wie kann man aus der Ressource Mensch möglichst viel an Leistung herausquetschen? – wird künstliche Intelligenz eingesetzt, um in großem Stil Verantwortung auf Maschinen zu übertragen, die diese niemals haben sollten. Amazon weiß längst, dass die Maschine Fehler macht, aber nimmt es in Kauf, weil in den USA angesichts vieler unqualifizierter Arbeitskräfte ohnehin genug andere Menschen darauf warten, Arbeit als Zusteller zu bekommen.
Nicht nur, dass die betroffenen Zusteller Freiberufler sind, die durch keinen Arbeitsvertrag geschützt sind und sich dadurch kaum wehren können, wenn der Onlinehändler von heute auf morgen auf ihre Dienste verzichtet und sie damit ihr Einkommen verlieren.
Künstliche Intelligenz wird im aktuellen Hype überschätzt: Kündigungen sind niemals Entscheidungen, die man einer schwachen, weil nur mit eingeschränktem Datenmaterial gefütterten Maschine überlassen kann – und schon gar nicht die Mitteilung der schlechten Nachricht. Das Gleiche gilt für das Recruiting, das vor allem große Unternehmen immer häufiger künstlicher Intelligenz überlassen: Die angeblich klugen Werkzeuge zur Beurteilung von Bewerbungen übersehen viele Eigenschaften von Menschen, weil sie auf bestimmte Muster trainiert sind. Dass sie gute Entscheidungen treffen, welche Mitarbeiter am besten zum Unternehmen und zum Jobprofil passen, darf massiv bezweifelt werden. Die Letztverantwortung übernehmen Menschen aus Fleisch und Blut. Das muss so bleiben, wenn wir eine faire Zukunft für alle haben wollen.
Daher müssen wir den Spieß umdrehen: Anstatt Menschen zu überwachen, sollten Maschinen Menschen dabei unterstützen, ihre Arbeit noch besser und informierter zu tun. Künstliche Intelligenz muss per se fair und unterstützend ausgelegt sein. Nur dann brauchen wir tatsächlich mehr davon.