„Das ist nur noch Babysitten statt Bildung“
Den Kindergärten und Krabbelgruppen geht das Fachpersonal aus. Dabei bräuchte es die Besten für die Kleinsten, sagt Ilona Schwaiger.
SALZBURG. Auch in Salzburgs Kinderbetreuungseinrichtungen herrscht akuter Personalmangel. Die SN sprachen mit Ilona Schwaiger, der Vize-Obfrau der Berufsgruppe der Pädagoginnen in Kinderbildungseinrichtungen in Salzburg (BPKS). Sie führt eine Gruppe im städtischen Kindergarten in Aigen. Zuletzt hat sie berufsbegleitend das dreijährige Studium Elementarpädagogik an der PH Salzburg absolviert.
SN: Das Personal der privaten Wiener Kindergärten geht aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen am
12. Oktober erstmals auf die Straße. Werden auch die Salzburger Pädagoginnen streiken?
Schwaiger: Als Berufsgruppe können wir keinen Streik ausrufen. Wir brauchen die Gewerkschaft im Hintergrund. Wenn die Gewerkschaft sagt, es wird österreichweit in privaten und öffentlichen Einrichtungen gestreikt, sind garantiert Kolleginnen aus Salzburg mit dabei. Viele sind frustriert und ausgebrannt. Sie können nicht mehr so arbeiten, wie es ihrer Gesundheit und den Kindern zuträglich ist. Die Arbeitsbedingungen während der
Pandemie verstärken die Unzufriedenheit.
SN: Woran hapert es am meisten?
Es geht nicht erstrangig um das Gehalt, aber Zusatzausbildungen müssten honoriert werden. Viele haben zum Beispiel die Montessori-Ausbildung gemacht und dafür privat 2000 Euro bezahlt. Das freut die Kinder und die Eltern, aber auf dem Gehaltszettel merken wir davon nichts. In erster Linie geht es aber um die Gruppengröße und den Personalschlüssel. Die meisten Träger drängen darauf, die Gruppen bis zum Maximum, das sind 25 Kinder, anzufüllen. Jede zweite Kollegin, die sich bei uns meldet, sagt, dass in vielen Gruppen keine pädagogische Fachkraft mehr ist, sondern nur mehr Helferinnen oder Quereinsteigerinnen. Das ist nur noch Babysitten statt Bildung.
SN: Wie wirkt sich das auf die Kinder aus?
Man plant für die Kinder, aber die Umsetzung scheitert oft. Wenn man allein 25 Kinder zu betreuen hat, kann man sich nicht auf jedes Kind fokussieren. Wir wollen den Kindern beibringen, sich auf ein Spiel einzulassen, aber das geht nicht, wenn ich ständig wegrennen muss. Studien besagen, dass sich jeder in die Elementarpädagogik investierte Euro achtfach lohnt. Die Gehirnentwicklung von Kleinkindern ist so ausgeprägt wie nie wieder im Leben.
Eigentlich müsste man die Priorität umdrehen: Die Besten für die Kleinsten. Mich wundert, dass die Eltern nicht aufschreien.
SN: Die Betreuung der Kinder wird immer herausfordernder. Wodurch?
Immer mehr Kinder sind immer länger da. Wird ein Kind schon um sieben Uhr gebracht, ist es oft länger in der Einrichtung als eine Teilzeitkraft. Die Zahl der autistischen Kinder, die Entwicklungsbegleitung brauchen, nimmt zu. Viele Kinder kommen ohne Deutschkenntnisse in den Kindergarten. Dazu kommt, dass die Kinder immer früher pubertieren. Sie sind gestandene Persönlichkeiten, da muss man über jede Regel diskutieren und diese vor den Eltern rechtfertigen. Das ist herausfordernd.
SN: Nur 60 bis 70 Prozent der Absolventinnen der
BAfEP gehen in den Beruf und viele Junge steigen bald wieder aus. Warum?
Viele Schulabgängerinnen sollen mit ihren 19 Jahren aufgrund des Mangels gleich die Gruppenführung übernehmen und sind überfordert. Plötzlich sollen sie die Theorie in die Praxis umsetzen und den Ansprüchen der Eltern gerecht werden. Es kann sein, dass sie zugleich die Zusatzkraft anlernen müssen. Es erfordert Selbstbewusstsein, als 19-Jährige Eltern mit drei Kindern zu erklären, wie der Hase läuft. Es gibt keine Begleitung für die, die frisch in den Job kommen. Wir fordern schon seit Jahren eine Art Mentoring. Die Ausbildung in der BAfEP ist gut, es bräuchte aber viel mehr Praxis, die zum Beispiel einen Monat lang geblockt zu absolvieren ist. Man ist zwischen 14. und 19. Lebensjahr in der Schule, da steckt man selbst noch mitten in der Entwicklung. Viele entscheiden sich dann doch für ein Studium oder ein Auslandsjahr.
SN: Es braucht also mehr berufsbegleitende Kollegs? Unbedingt. Wer sich dafür entscheidet, geht in den Beruf. Das Kolleg muss aber so gestaltet sein, dass es für Berufstätige zeitlich und vom Stoff zu schaffen ist. Dass es seit September ein Fachkräftestipendium gibt, ist gut.
SN: Seit Jahren sagt das Personal: „Uns reicht’s.“Warum findet die Berufsgruppe so wenig Gehör?
Wir haben oft aufgeschrien, 2018 waren mehr als 1000 Pädagoginnen und Pädagogen bei unserem Protestmarsch. Schon als 2007 ein neues Kinderbetreuungsgesetz verabschiedet wurde, hat es geheißen, alle zwei Jahre wird die Gruppengröße verkleinert. Passiert ist nichts. Es wird im elementarpädagogischen Bereich an allen Ecken und Enden gespart. Es braucht Geld, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Es sind aber zu viele Player im Spiel: der Bund bei der Ausbildung, das Land, die Gemeinden und die Gemeindeaufsicht.
SN: Wäre es besser, die Elementarpädagogik zur Bundessache zu machen?
Mich wundert, dass die Eltern nicht laut aufschreien.